Bohema Magazin Wien

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100 Jahre niederländische Bach-Manie

Von passionierten Passionen zu komödienreichen Kantaten – Ausgewählte Schmankerl von der Nederlands Bach Society.

Foto: Alexandra Timofeeva/Wikimedia Commons

Seitdem die Nederlandse Bachvereinigung 1921 gegründet wurde, um die Matthäus-Passion aufzuführen, widmet sie sich dem Werk unseres Leipziger Lieblingsgiganten und ist somit wahrscheinlich das älteste Barockensemble der Welt. Mit historisch informierten Aufnahmen und einem tollen YouTube-Auftritt versucht die Society Bachs Musik uns allen zugänglich zu machen. So so, nehmen wir gerne, oder? Schauen wir also gleich mal rein.

That one cello piece: Nach dem ersten Satz ist nicht Schluss!

Los geht’s mit dem womöglich bekanntesten Stück Bachs, seiner ersten Cello-Suite. Gib auf YouTube „that one cello piece“ ein und du wirst den ersten Satz dieser Suite mit den berühmten gebrochenen Akkorden finden. Das Problem: Was derart oft gespielt wird, gibt es auch ziemlich oft in fragwürdiger Qualität. Bei der NBS wird man nicht enttäuscht. Lucia Swarts’ luftige Interpretation lädt ein zum Weiterhören nach dem ersten Satz. Ein Höhepunkt: die Sarabande bei 9:17, langsam, meditativ und mit stolzen Doppelgriffen.

Das erste Präludium aus dem Wohltemperierten Klavier könnte der Cello-Suite eventuell den Titel des bekanntesten Bach-Werks strittig machen. So gut wie jede Pianist*in hat dieses Stück mal gespielt, das Internet überquillt nur so von Aufnahmen. Es sind wieder Dreiklangsbrechungen, scheint den Massen besonders zu gefallen. Der größte Unterschied zwischen Interpretationen ist weder Tempo noch Pedalgebrauch. Sondern… das Instrument. Es ist ein Fakt, dass es zu Bachs Zeiten kein Klavier wie wir es heute kennen gegeben hat. Die zwei Instrumente, die in Frage kamen, waren das Cembalo und das vibratofähige Clavichord (Bachs Lieblinsinstrument).

Es wäre sehr elitär zu sagen, man müsse Stücke immer historisch akkurat spielen. Also Bach ohne Pedal am Klavier, ohne Vibrato auf der Violine und auf 415 Herz gestimmt. (Allein, weil wir im Detail gar nicht wirklich wissen, was wie gespielt wurde...) Falls man sich aber auf den neuesten Stand der Originalklang-Pedanterie bringen möchte, ist die NBS keine schlechte Adresse. Wenn die Originalklangmanie zu solchen herrlich-majestätischen Interpretationen führt, wie Siebe Henstras Präludium auf dem Cembalo, dann her damit!

Bachs Matthäus-Passion gilt landläufig als das Werk mit dessen Aufführung Mendelssohn Bach von den Toten zurückgebracht und die Bach-Renaissance gestartet hat (dass Bach davor nicht ganz so „tot“ war, ist eine andere Geschichte...). Beide erhaltenen Bachpassionen findet man in voller Länge im Katalog der Niederländischen Bachvereinigung. Falls du gerade keine drei Stunden für die ganze Matthäus-Passion übrighast (für die authentische Erfahrung müsstest du eh in einer kalten Kirche mit himmelsschreiend unbequemen Bänken sitzen...), kannst du dir zumindest den berührenden Schlusschor der Johannespassion anhören.

Zum Schluss mein NBS-Favorit: Die Kaffeekantate kombiniert historisch informierte Aufführungspraxis mit herzlichem Humor. Die Kantate erzählt die Geschichte einer kaffeesüchtigen Tochter und ihrem Vater, der die Kaffeesucht nicht gut findet und sie erfolglos versucht davon abzubringen. Die Tochter scheint sich vom letzten Versuch des Vaters überzeugen zu lassen, doch sie hat ein Ass im Ärmel…

Übrigens: Die NBS bietet neben Musik auch Interviews. Ob über ein spezifisches Instrument oder ein bestimmtes Stück; falls du dich rund um Johann Sebastian und die Originalklang-Bewegung etwas weiterbilden möchtest, wirst du hier gut bedient. Falls nicht: Für die tägliche Dosis Bach ist die NBS dein Freund und Helfer.