Auf der Suche nach dem neuen Wahnsinn
Das SLASH steht kurz bevor. Ein Interview mit Markus Keuschnigg, künstlerischer Leiter des Filmfestivals.
Bohema: Der Untertitel des SLASH ist Festival des fantastischen Films. Wenn ich aktuell Freund*innen frage, ob sie mit mir Filme bei euch sehen wollen, kommt die Antwort: „Ich mag keine Horror-Filme!“. Was ist fantastischer Film?
Markus Keuschnigg: Die Reaktion wundert mich kaum und ist seit Gründung des Festivals 2010 auch eine treue Begleitung. Mit SLASH tragen wir einen klingenden Namen, der kleben geblieben ist. Dabei haben wir so viel mehr im Programm. Im ersten Jahr haben wir den inzwischen kanonischen Animationsfilme Ponyo (R: Hayao Miyazaki, JP 2010) gezeigt. Der angesprochene Untertitel, der übrigens erst seit einigen Jahren dabeisteht, soll diese Breite in der Auswahl anzeigen. Es gibt von Fantasy über Science-Fiction und dazwischen eigentlich alles. Aber so wirklich geholfen hat das nicht. Zeitweise haben wir begleitend zum Programm eine Hasenfußliste veröffentlicht, die auf zugänglichere Filme hingewiesen hat. Andererseits will ich diesen Ruf auch gar nicht gänzlich loswerden. Horror ist eben ein maßgeblicher Bestandteil des SLASH. Wir sind in dieser Hinsicht darauf angewiesen, dass sich die Leute zu uns verirren.
Werdegang
B: Das passiert inzwischen seit 14 Jahren. Du bist seit dem ersten Festival 2010 künstlerischer Leiter. Wie kam es dazu und was fasziniert dich an Genre-Filmen?
MK: Ich bin viel auf eigene Kosten auf Festivals gefahren. Rotterdam, Berlin, Venedig, Locarno. Also die ganzen größeren europäischen Festivals habe ich auf eigene Faust abgeklappert. Damals war ich Filmkritiker und habe für Die Presse und FM4 gearbeitet. Darüber bin ich dann relativ schnell zu Genre-Festivals gekommen. Zum Beispiel dem Sitges Festival in Spanien. Damals wurde ich von der katalanischen Kritiker-Vereinigung eingeladen, eigentlich um lokale Produktionen zu sichten. Bei der Anmeldung konnte man aber auch ankreuzen im Anschluss auf deren Kosten besagtes Sitges-Festival zu besuchen. Das habe ich natürlich gemacht. Wohl als einziger dieser Gruppe bin ich dann dorthin gefahren und war positiv überrascht, wie leidenschaftlich das Festival-Publikum dort war. Vor allem in Österreich hat es mich schon immer gestört, so devot im Kino zu sitzen. Hier herrscht so eine Form von protestantischer Ethik im Saal. Man macht keinen Mucks und keinen Räusperer. Ein falscher Griff in die Chips-Tüte und schon kommen die Blicke von links & rechts. Hier verfällt man am Ende des Films nicht in frenetischen Applaus. In Sitges war es das genaue Gegenteil.
Seither gehrte dieser Gedanke: Wie schaffen wir das auch in Österreich? Der erste Schritt kam 2008 mit dem Crossing Europe Festival in Linz. Die damalige Leiterin Christine Dollhofer hat mir eine Nacht-Schiene anvertraut. Da war ich Ende 20. Das war sowieso ein guter Jahrgang. Die Welle an Filmen der New French Extremity erfreute sich großer Beliebtheit. Das waren Filme wie REC (R: Jaume Balagueró & Paco Plaza, SPA 2007) und À l'intérieur (R: Julien Maury & Alexandre Bustillo, FR 2007). Wir waren fast immer ausverkauft. Es gab aber auch einige Kontroversen. Die Festivalleiterin bekam böse Anrufe: Wie man nur solchen ‚Schrott‘ zeigen könne.
B: Hat dich das nicht eingeschüchtert?
MK: Im Gegenteil. Mir hat das Vertrauen gegeben. Ich musste mir die Frage stellen: Was ist ein Kurator? Für mich war das einerseits ein learning-by-doing und andererseits eine recht intuitive Aufgabe. Ich war in meiner Jugend ein richtiges Videotheken-Kind. Meinen Freunden habe ich dann immer eine Auswahl an besonders aufregenden Filmen gezeigt. Irgendwann stand für mich nicht mehr der Film, sondern die Reaktion der anderen im Vordergrund. Das war viel spannender und in gewisser Weise auch erotischer. Damals wie heute zeige ich größtenteils das, was mir am besten gefällt. Polarisierende Reaktionen sind mir dabei nicht neu.
Rolle der Provokation & Politische Dimension
B: Du hast bereits die Nähe zur New French Extremity angesprochen. Unter dem Schirmbegriff werden Filme versammelt, die durch ihre extreme Gewaltdarstellungen besonders häufig für Provokationen sorgen. Unterwirft man sich damit nicht von Jahr zu Jahr einer gewissen Überbietungslogik? Wie gehst Du damit in der inzwischen 14. Ausgabe des SLASH um?
MK: Das Überleben sichert und seither ein viel breiterer Zugang zu Film. Als Filmkritiker bin ich im Kino omnivor. Anfang der Nullerjahre bin ich unbefleckt aus Tirol nach Wien gekommen und habe quasi im Filmmuseum gelebt. Dort habe ich so ziemlich alles gesehen, was sie gespielt haben. Mein Zugang war damit weniger ein intellektueller als vielmehr ein schlichtweg offener. Meine Queerness hat diesen Hunger nach anderen Darstellungen sicher beschleunigt. Beim ersten SLASH war es dann selbstverständlich, dass so jemand wie Bruce LaBruce mit seinen Zombie-Splatter-Porn-Movies laufen muss. Und so haben wir uns glaube ich das Vertrauen nicht eines Publikums, sondern vieler Publika erarbeitet. Das sind genauso die feministischen Kunststudent*innen, wie auch die sogenannten „Gore-Bauern“ in ihren Mid-40ern und Lederjacke. Meine Hoffnung ist, dass für jeden und jede immer noch die Möglichkeit besteht, überrascht zu werden. Dafür finde ich Widerhaken, Herausforderungen und eben durchaus auch Beleidigungen sehr wichtig. Wenn sich Fan-Kulturen bilden, grauen sie schnell ein. Als Kurator langweilt es mich dann immer gleichbleibende Erwartungen erfüllen zu müssen. Wenn wir es stellenweise schaffen unsere Besucher*innen abzuwerfen, dann sehe ich das als Kompliment.
B: Der Slasher-Film, immerhin titelgebend für das Festival, wird häufig dafür kritisiert, patriarchale Strukturen zu reproduzieren. Im Schnitt flieht ein hilfloses Final Girl, am besten Nackt, vor einem blutrünstigen männlichen Killer. Welchen Anspruch hast du an deine eigene Arbeit als Programmleiter zwischen Gore-Eskapismus und subversivem Horrorfilm?
MK: Ich wehre mich dagegen mit einer Check-Liste an Filme heranzugehen. Bei uns hat jeder das gleich Recht geschlachtet zu werden. Erst einmal bin ich natürlich abhängig davon, was jedes Jahr produziert wird. Da ist inzwischen auch immer mehr Social Horror dabei. Meiner Meinung nach hatte vor allem das vulgärste Genre-Kino aber sowieso schon immer ein politisches Moment. Natürlich nicht offensiv, in Freitag der 13. (R: Sean S. Cunningham, USA 1980) ist wahrscheinlich weder ein politischer, geschweige denn ein intellektueller Gedanke in die Produktion geflossen. Aber mir persönlich hat das damals als Außenseiter viel gegeben, dass hier die „Jocks“ und die „Cheerleader“ gemeuchelt werden, während es die Mauerblümchen sind, die am Ende das Monstrum zu Fall bringen. Das Problem ist nicht die Agenda, der ich in den meisten Fällen ja auch zustimme, sondern das lieblose Über den Film legen. Da merkt man einfach einen Marktzwang und das endet häufig in einem fadgasigen preaching-to-the-converted.
Das SLASH als Filmfestival
B: Damit sprichst du implizit eine ökonomische Ebene an. Du bist künstlerischer Leiter des Festivals. Die Berlinale soll diese Trennung auf Wunsch der Kulturstaatsministerin Claudia Roth nun wieder zugunsten eines Intendanz-Modell aufgeben. Daraufhin trat der künstlerische Leiter zurück. Wie ist das SLASH organisiert?
MK: Neben mir hat das SLASH auch einen Geschäftsführer. Ich finde die Doppelspitze wichtig. Daraus ergibt sich auch ein produktiver Antagonismus. Im Unterschied zu uns steht in Berlin aber auch Venedig, Cannes und Co ja vor allem die Vermarktung von neuen Filmen im Fokus. Wir sind dafür als Festival viel zu klein. Dieses Deal-Making spielt bei uns eher eine untergeordnete Rolle. Wir definieren uns nach wie vor ganz stark als Publikumsfestival. Wir wollen den Leuten, die mit dieser Art des Kinos und dieser Art des Geschichten Erzählens etwas verbinden eine lässige und leiwande Zeit bieten. Und wenn dann Filme Aufmerksamkeit generieren, darüber dass wir sie selektiert haben, dann freuen wir uns natürlich. Aber ich würde keinen Fokus darauflegen wollen.
Subkultur & Öffentlichkeit
B: Vor zwei Jahren gewann mit Titane (R Julia Ducournau, FR 2021) in Cannes ein waschechter Genre-Film die Palme d’or. Bei euch ist dieses Jahr der Sohn von David Cronenberg und damit eine richtige Berühmtheit des Genrekinos zu Gast. Verändert sich die Positionierung von fantastischem Film als ‚randständig‘ und welchen Einfluss hat das auf deine Arbeit?
MK: Die Bewegung, die der fantastische Film in den letzten 10 Jahren gemacht hat, ist großartig. Da waren einige Palme d’or & Oscar-Gewinner*innen dabei. Mindestens eine Handvoll Genre-Filme und dabei auch einige wildere Exemplare sind auf den A-Festivals inzwischen selbstverständlich geworden. DogMan (R: Luc Besson, FR 2023) beispielsweise, den wir heuer zeigen, lief gerade im Wettbewerb von Venedig.
Diese erhöhte Visibilität hat aber auch seine Schattenseiten. Einerseits steigt mit der Nachfrage auch der Preis und damit unsere Produktionskosten. Andererseits, das geht aber Hand in Hand, fischen größere Festivals dann im selben Teich wie wir. Beispielsweise haben wir seit Beginn des Festivals die Filme von Quentin Dupieux gezeigt; dessen Rubber war gleich beim ersten SLASH dabei. 2019 lief sein Le Daim dann in der Quinzuaine des cíneastes in Cannes und seither konkurrieren wir mit der Viennale um seine Filme.
Diese Aufmerksamkeit für fantastischen Film finde ich absolut begrüßenswert. Aber es macht meine Arbeit auch maßgeblich schwieriger. Ich sehe unsere Aufgabe dann vielmehr darin, immer wieder neue Spielweisen des Fantastischen ausfindig zu machen.
B: Wie viel Wachstum verträgt Subkultur?
MK: Angebote, das SLASH zu vergrößern gab es über die Jahre reichlich. Wir haben uns aber relativ früh gegen den schnellen Reibach und für eine gewisse Kinokultur und eine Romantik der analog erlebbaren Orte entschieden. Wir sind eben kein Content-Provider. Filme, Menschen, Orte. Das sind die drei Elemente, die ein Filmfestival ausmachen. Nehme ich nur eines davon in den Fokus, schaffe ich mich auch irgendwo selbst ab. Insofern war es eine bewusste Entscheidung nicht größer zu werden, als wir es inzwischen sind. Gerade im heurigen Jahrgang habe ich mich daher auch sehr oft für kleinere, idiosynkratische und bizarrere Filme entschieden, die jetzt sicherlich nicht allen gefallen werden. Das ist im Grunde auch eine Entscheidung gegen das glänzend gebürstete Produkt. Eine berechenbare Logik sucht man da vergebens. Das hat etwas Somnambules und genuin Narrisches.
B: Dieses Jahr liegt der Fokus auf Tierhorror. Was haben wir zu befürchten?
MK: Es gab schon in der Planung die Idee einer solchen Retrospektive. Vor allem Spinnen-Horror ist mir besonders lieb. Dabei sind sie mir im realen Gegenüber gar nicht mal so geheuer. Ich sag es mal so: die Anmoderation beim Eröffnungsfilm könnte eine Herausforderung werden! Aber auch die Insektenfilme der Siebziger und die Big-Bug-Movies der Fünfziger sind unglaublich. Die Sichtung beginnt für mich immer im November. Da war dann schnell klar, dass ich mit einer Auswahl nur an der Oberfläche kratzen kann. Dann ist es doch mehr geworden. Vermin (R: Sébastien Vaniček, FR 2023) eröffnet mit seinen anstürmenden Arachnaiden das Festival und The Animal Kingdom (R: Thomas Cailley, FR 2023) wird es mit zu Tieren mutierten Menschen schließen. Das Anthropozän geht zu Ende!
B: Vielleicht haftet dem SLASH auch deshalb ein Ruf des kultigen an. Doppeldeutigkeit inbegriffen. Spielt euch das in die Karten?
MK: Sicher. Wir arbeiten ja auch hart dafür. Wie ich eingangs gesagt habe, geht es uns ja darum mit dem Sacrosanctum des Kinos zu brechen. Dazu gehört auch eine gewisse Eventisierung und Party-Movies. Auch dieses Jahr findet wieder eine Nacht der 1000 Messer statt. Ab 23 Uhr gibt es circa acht Stunden Programm bestehend aus fünf Lang- und drei Kurzfilmen. Damit heuer sogar ein Langfilm mehr. Wer durchhält darf sich auf eine Überraschung freuen.
Das diesjährige SLASH findet vom 21. September bis 01. Oktober hauptsächlich im Filmcasino & Metro-Kino statt. Einzelne Filme und Rahmenprogramm sind im Gartenbaukino, dem Schikaneder und der Roten Bar im Volkstheater zu erwarten.