Bohema Magazin Wien

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Baby Did a Bad Thing

Oxytocin Baby vom Schauspielhaus im Odeon Theater - wie mir ein Theaterstück half, meine Ängste abzulegen und es schaffte, das Thema Abtreibung und Mutterschaft gekonnt auf die Bühne zu bringen.

Baby’s Daddy talking some sense into his daughter /// (c) Matthias Heschl, Schauspielhaus Wien

Kurz nach Beginn der Vorstellung glaube ich mitzuerleben, wie mein persönlicher Alptraum wahr wird: (Baby-)Puppen, die lebendig werden und zu mir sprechen. Da muss ich kurz Luft holen, meinen Blick über die griechischen Säulen im schönen Odeon Theater schweifen lassen, an was anderes denken. Kurz darauf ist die Einstiegsszene vorbei, das Licht auf der Bühne wechselt von einem höllischen Rot in ein Wattezuckerrosa und die Puppen auf der Bühne sehen gar nicht mehr so gruselig aus. Bin ich gerade den ersten Schritt zur Überwindung meiner Angst gegangen? Phobos Leute, Aristoteles wäre stolz.

Anybody seen my Baby? 

Das Debütstück von Dramatikerin Anna Neata trägt den Titel Oxytocin Baby und verhandelt Themen wie Schwangerschaft und Mutterschaft, Geburtenkontrolle und Kindsmord. Zum Titel: Oxytocin ist ein Hormon, das einerseits den Geburtsprozess einleitet und andererseits Einfluss auf die Beziehung zwischen Geschlechtspartner*innen im Speziellen und soziale Interaktionen im Allgemeinen hat. In der Inszenierung (Regie Rieke Süßkow) gibt es feste Rollen, aber keine feste Besetzung. Durch die Inszenierung führt uns der engelsgleiche Babychor - es wird chorisch gesprochen und chorisch gesungen, die grandiose Ensemblearbeit soll an dieser Stelle gelobt werden -  das Elternpaar, ein Gynäkologe und historische Figuren. Und natürlich die Protagonistin Baby, die mit ihrem eigenen Baby schwanger wird. 

Baby’s got a Baby

Die Regisseurin hat sich für Babypuppen in Menschengröße entschieden und ihrem Ensemble Halbmasken und rosa Rüschenkleidchen übergestülpt (Kostüme Sabrina Bosshard). Diese Halbmasken, jede ein Ticken individueller als die andere, sitzen auf den Köpfen des Ensembles bis zur Mundpartie, so dass das Publikum die Bewegungen des Mundes sieht, die Stimmen unverfälscht hört. Auch die Körperarbeit gehört zu dem Kunstgriff, den die Inszenierung ausmacht. Die Darsteller*innen bewegen sich mit stets angewinkelten Armen wie Puppen im Marionettenspiel. Dieser Mittelweg zwischen Verfremdung und Realismus gelingt ganz wunderbar, auch wenn man sich kurz daran gewöhnen muss, dass die Puppen wortwörtlich zum Leben erweckt werden. 

Born to be my Baby

Aufgeteilt ist die Inszenierung in Szenen, die nach einem Popsong benannt sind und den Kosenamen Baby beinhalten. So tropft das Stück nur so vor popkulturellen Referenzen, Mother Mary tritt sogar höchstpersönlich im weißen Kleid auf und singt Let it be. In dem Klassiker Dirty Dancing scheint die weibliche Hauptdarstellerin unter gar keinem anderen Namen als Baby bekannt zu sein. Kein Wunder, dass eine Studie von Harvard herausfand, dass das Hormon Oxytocin vermehrt ausgeschüttet wird, sobald ein*e Partner*in Baby genannt wird. Selbst Billie Eilish singt in einem ihrer neuen Songs Baby I need you for the Oxytocin…

Baby’s painful visit to the gynacologist /// (c) Matthias Heschl, Schauspielhaus Wien

Love to Love you Baby

Neben jeder Schwangerschaft und Geburt steht die Frage nach dem Vater wie ein Elefant im Raum. Nicht nur der Kindesvater, auch Vater und Mutter von Baby werden thematisiert, wenn es um elterliche Liebe und Unterstützung, Erziehung und finanzielle Hilfe für alle möglichen Optionen geht. Der Vater von Baby’s Baby in der Geschichte ist ein blasser, blonder und mittelmäßiger Typ in grüner Collegejacke namens Schleim. 

Baby Please don’t go

Das Stück hat einen unglaublich guten Text. Die Worte sind so gut gewählt, die Sätze in ihrer Wahrheit so treffend, dass es mir um die Flüchtigkeit der Worte weh tut. Sprachliche Gegebenheiten, wie Muttersprache und Vaterstaat, werden dem Publikum wie große Ausrufezeichen hingeworfen. Seht doch, wie tief in uns und unserer Sprache dieser Riss ist.

Too Busy Thinking About my Baby

Historische Figuren wie Marie Baschtarz und Marie Bernhuber die im Wien des 19. Jahrhunderts Abtreibungen durchführten und Susanna Margaretha Brandt, die im Frankfurt des 18. Jahrhunderts als Kindsmörderin beschuldigt wurde, treten auf. Geschichten und Schicksale von denen keine Rede ist. Der damalige Zeitgeist und der Gesetzeskodex ließen den Frauen kaum Optionen. Und statt in Geschichtsbüchern, stehen die Geschichten dieser Frauen in Gerichtsakten.

Bang Bang my Baby shot me Down

Die Geschichte der Frau ist auch immer die Geschichte des Patriarchats. So geht eine der Textstellen, dass es sich bei dieser Thematik nicht um Zauberei handelt, sondern um Wissen das immer schon da war, welches die patriarchalischen Machtinhaber aber nie haben wollten. Verständlich, dass die Szene, indem die Frauen ihren langersehnten Rachefeldzug kurz in die Tat umsetzen und plötzlich der Mann derjenige ist, der gebärt, das Publikum zum lachen bringt.

Love to Love you Baby

Schwangerschaft und Elternschaft steht an und für sich für zum Großteil noch unter dem Licht der Geschlechterbinarität. Die Inszenierung schafft es aber an einem ganz besonderem Punkt, Mutterschaft von Frausein zu trennen und eröffnet so einen Raum, in welchem das Thema auf die queere Community trifft. Das muss man auch erstmal schaffen. 

Das wirklich tolle Programmheft lässt erahnen wie viel Recherche und Vorsicht, Engagement und Arbeit hinter dieser Inszenierung steckt. Ein Stück, dass es schafft feministisch zu sein, ohne es zu müssen oder zu wollen. So please, hit me baby one more time!