Bohema Magazin Wien

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Momente im Dazwischen

Lilith Kraxner und Milena Czernovsky melden sich nach Beatrix mit ihrem neuen Film bluish zurück und nähern sich ihren zwei Hauptfiguren mit Momentaufnahmen aus der Wiener Kunstwelt an.

© Filmgarten

Es sind keine großen Geschichten, die das Regieduo Kraxner/Czernovsky in seinen Filmen erzählt. Mehr noch: es ist die völlige Abwesenheit außergewöhnlicher, dramaturgisch zugespitzter Momente. So zeichnet sich auch bluish, der im vergangenen Jahr beim FIDMarseille den Hauptpreis gewann, stattdessen durch eine Grundstimmung aus, die man vielleicht melancholisch nennen könnte und die sich ab der ersten Einstellung durch die Leben seiner Protagonistinnen zieht. Die Schweizer Band Les Reines Prochaines singt da Bist du klein, bist du groß, während vor stimmungsvollen Bildern des nächtlichen Wiener Straßenverkehrs krakelige Buchstaben den Filmtitel in die Stadtarchitektur hineinzeichnen.

Mit Errol (Leonie Bramberger) und Sasha (Natasha Goncharova) navigieren sich anschließend zwei junge Frauen durch ihre jeweiligen Leben im Post-Covid-Lockdown-Wien auf der Suche nach ihrem Platz im Leben und in der Wiener Kunstwelt. Dabei sind ihre Figuren zunächst nur schemenhaft zu erahnen; einzelne kleine – zunächst unwichtig erscheinende – Szenen eröffnen dann einen Einblick in ihre Gefühls- und Lebenswelten. bluish gesteht jedem Moment des Lebens eine Bedeutung zu, ein Einkauf im Baumarkt verdient hier die gleiche zärtliche Aufmerksamkeit wie ein nervöses erstes Date. Beide ‚Geschichten‘ laufen parallel nebeneinanderher, die Wege kreuzen sich nicht, und doch sind Errol und Sasha verbunden durch Gesten, Pflanzen und Stimmungen, die eine universelle Erfahrung nahelegen.

Eine Farbe gibt Struktur

© Filmgarten

Wenn bluish höchstens mit einem sehr losen narrativen Gerüst arbeitet, so ist es die titelgebende Farbe, die dem Film und seinen Szenen eine Struktur zu geben scheint. Kaum ein Augenblick vergeht, in dem nicht die kalten und gleichsam beruhigenden bläulichen Farben den Bildausschnitt dominieren. Pullover und Jeans in verschiedensten Blautönen gehören ebenso zur Ausstattung wie Massagebälle, Klebeband, Wasser- und Wärmflaschen, die blaue Akzente setzen. Im Kontext von bildfüllenden blauen Kacheln im Bad und Ausstellungssfernsehergeräten im Elektronikfachgeschäft, die alle farblichen Nuancen einer blauen Qualle im – ebenfalls blauen – Wasser widerzugeben vermag, treten plötzlich auch kleine bläuliche Farbspritzer im Alltag wie das Leuchten des Smartphonebildschirms besonders stark hervor.

Offene digital-analoge Brüche

Sowieso treten die verschwimmenden Bruchlinien zwischen analoger und digitaler Welt in bluish immer wieder in den Vordergrund. Dass Smartphones essenzieller Bestandteil heutiger (erst recht: junger) Lebensrealitäten sind, ist keine bahnbrechende Erkenntnis, aber Errol und Sasha durchqueren eine Welt, die in jeder Einzelheit durch das Dazwischen bestimmt zu sein scheint – eine permanente Übersetzung zwischen Virtualität und Wirklichkeit. Kraxner und Czernovsky finden Bilder für einen gewissen (Post-)Covid-Zeitgeist, in dem es vollkommen normal ist, während Uni-Vorlesungen in 20 verschiedene Mini-Kacheln zu schauen, die nach Belieben mal schwarz bleiben und mal Einblick geben in das Leben, das sich irgendwo auf der anderen Seite des Bildschirms abspielen mag. Bei Verständigungsproblemen greift Sasha, die kein deutsch spricht, im Baumarkt ganz selbstverständlich auf die Computerstimme des Handy-Übersetzers zurück und das Dosenbier-Date, auf das wir Errol später begleiten, kommt erst durch eine Smartphone-App zustande. Selbst beim nächtlichen Versuch, sich von den Anstrengungen und Problemen des Alltags zu lösen, hilft eine Meditations-App.

Die große Stärke von bluish ist nun, dass der Film nicht bei einer bloßen Wiedergabe dieser zeitgeistigen Melancholie verharrt. Stattdessen wird der allgegenwärtige dissoziative Zustand der analogen Körper in einer semidigitalen Welt von Antonia de la Luz Kašiks 16mm-Aufnahmen in eine Ästhetik überführt, die seine Brüche in besonderem Maße erst zum Vorschein bringt. Immer wieder wird die Kamera mit ihrem analogen Filmmaterial auf digitale Räume gerichtet und produziert im Zusammenspiel zwischen der Körnung des Analogfilms und der geringen Auflösung der digitalen Bilder eine doppelte Unschärfe. Eine lange ‚Kamerafahrt‘ durch die digitalen Streetview-Abbildungen der Wiener Straßen etwa – eine der Protagonistinnen klickt sich durch die Lange Gasse – bleibt bezeichnenderweise eine von wenigen ‚Außenaufnahmen‘ im Film.

Den Höhepunkt an Digitalität (und Blauheit) stellen schließlich mehrere videospielartige Sequenzen dar, in denen sich die POV-Kamera durch eine digitale Welt mit Rolltreppen und Portalen bewegt. Ein weiteres bruchstückartiges Element in diesem Film, das sich in den Credits als direktes Zitat aus der experimentellen und plattformübergreifenden Arbeit Glitchbodies von Rebecca Merlic herausstellt. Es steht stellvertretend für die kollaborative Praxis der Regisseurinnen, die bluish mit mehreren ähnlichen Zitaten und Auftritten in der (Wiener) Kunst- und Filmszene verankern. Katrina Daschner wird zitiert und neben den eingangs erwähnten Les Reines Prochaines ist auch eine Performance von ZAK (zentrum für antidisziplinäre kunst) Teil des Films. Diese Einbindungen stehen dabei stets im Dienst des größeren ästhetischen Projekts von bluish: Mal brechen sie mit der Idee größerer Narrative, mal begegnen sie uns in den allgegenwärtigen digitalen Umgebungen unserer Zeit. Und mal sind sie als kollektiver Erfahrungsraum vielleicht eine Möglichkeit, sich frei von jeglicher Digitalität seiner Emotionen bewusst zu werden. Aber nur vielleicht.