Bohema Magazin Wien

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Das Gespenst – eine (Nicht-)Kritik

Ein Gespräch mit Florian Widegger über Blasphemie, Kunstfreiheit, gekreuzigte Frösche und eine Außenseiterfigur des neuen deutschen Films.

Florian Widegger x Das Gespenst /// Filmarchiv Austria (c)

In Herbert Achterbuschs Das Gespenst (1982) steigt Jesus in einem Kloster vom Kreuz und legt sich zur Oberin ins Bett. Da er schließlich auch sein Geld verdienen muss wird er logischerweise Ober. Mit der Oberin führt er Diskussionen über Gott und die Welt, und kann über die Ausformungen des Katholizismus nur den Kopf schütteln. Wie ein Gespenst streicht der durch das Bayern der 1980er Jahre, und mischt sich in das Leben der Menschen ein. Besonders in Erinnerung bleiben die beiden Polizisten, die von ihm ihre Schnapsgläser gern mit Scheiße gefüllt hätten, ehe sie sich zur Schließung der Blutsbrüderschaft gegenseitig erschießen.

Der Film wurde in Österreich kurz nach Veröffentlichung beschlagnahmt und ist aufgrund von „Herabwürdigung religiöser Lehren“ bis heute verboten. Das Filmarchiv Austria zeigt den Film im Rahmen einer Retrospektive des erst heuer verstorbenen Regisseurs. Wir haben mit Florian Widegger, Programmleiter des Filmarchiv Austrias, darüber gesprochen.

 

„Wir sind gespannt, ob diese Vorführung wie geplant stattfinden kann – und sagen Sie nachher nicht, wir hätten Sie nicht gewarnt!“

 

Bohema: Wie würde es ohne Herbert Achternbusch um den deutschen Autorenfilm stehen? War er da in irgendeiner Weise richtungsweisend?

Florian Widegger: Ganz keck: nein - aber es ist nicht so schwarz-weiß zu beantworten. Achternbusch hat sich selbst nie als Teil dieses „Autorenfilm-Kollektivs“, wenn man so will, betrachtet. Er wollte auch nie wirklich etwas mit dem „Neuen deutschen Film“ zu tun haben, obwohl es einzelne personelle Überschneidungen gib. So spielte beispielsweise Margarethe von Trotta in seinen ersten beiden Filmen mit. Er hat auch für Herz aus Glas von Werner Herzog das Drehbuch geschrieben. Aber grundsätzlich war er sein eigener Kosmos, der ansonsten nur wenige Berührungspunkte hatte. Und sich diese Abgrenzung auch immer bewusst gesucht hat.

In einem Interview mit dem ORF meinte er einmal, er fände eigentlich nur Kluge und Schroeter interessant. Und alle anderen hat er dann mehr oder weniger mit lustigen Bonmots abgekanzelt. Bei Kluge ist das insofern spannend, weil rein auf semantischer Ebene sind beide sich gar nicht so unähnlich. Wenngleich Kluge – überspitzt formuliert – eher der Kopf-Filmemacher, und Achternbusch dann mehr der Bauch-Regisseur ist.

Er war eine Außenseiterfigur des neuen deutschen Films. Also hat er ihn großartig mitgeprägt? Jein. Oder nein. Aber ohne ihn wäre es wahrscheinlich trotzdem sehr viel langweiliger gewesen.

B: War ihm der Film als Kunstform wichtig, oder mehr Mittel zum Zweck? Er war ja auch Autor, Dramaturg und Maler.

Achternbusch hat immer die Abwechslung gesucht. Wenn er mal einen Film gemacht hat, dann wollte er wieder malen oder schreiben. Und wenn er geschrieben hat, dann wollte er wieder drehen. Das ist wirklich als eine Art Gesamtkunstwerk zu sehen, es greift ja auch alles ineinander über.

B: Ist Das Gespenst aus künstlerischer oder rein filmtechnischer Sicht eigentlich bemerkenswert? Das Hauptaugenmerk liegt ja auf dem Verbot.

F: Das Verbot ist ja nicht von ihm.

B: Klar, aber wäre er auch ohne das Verbot genauso interessant oder Wert, ihn zu zeigen?

F: Er ist ein absolut schöner, lustiger und diskussionswürdiger Film. Er ist auch gut für Achternbusch-Einsteiger geeignet, er war auch mein erster. Aber natürlich ist er aufgrund der Aura, die ihn umweht, interessant oder interessanter als andere Filme, die nicht so aufgeladen sind. Denn wann gibt’s in Österreich schon verbotene Filme? Und dann auch noch wegen Blasphemie!

Der einzige andere ist Das Liebeskonzil von Werner Schroeter, der ja auch so eine Außenseiterfigur war, und ja auch im Gespenst eine Rolle hat. In den 90ern wurde ja erst durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eine Vorstellung in Innsbruck für nicht gesetzeswidrig erklärt und man konnte ihn zeigen. Möglicherweise wäre das auch 1:1 umlegbar auf Das Gespenst.

Mich sprechen andere Sachen von ihm noch mehr an: Das letzte Loch zum Beispiel, ist wohl mein Liebling. Den hat er vor dem Gespenst gemacht, und dafür sogar den Bundesfilmpreis bekommen. Aber auch andere Filme wie Servus Bayern oder Bierkampf. Wobei man die früheren vielleicht zuerst sehen sollte. Wenn du mit Hick’s Last Standanfängst, ist das vielleicht etwas schwierig, weil der Film nochmal auf eine ganz andere Weise avantgardistisch ist.

 „Heute kräht danach ja kein Hahn mehr.“

B: Warum konnte die Vorstellung jetzt ohne Probleme stattfinden? Ist das mehr die österreichische Wurschtigkeit, oder wollte niemand einen etwaigen Shitstorm kassieren?

F: Naja, wenn dann hätten wir ja eventuell den Shitstorm kassiert. Aber ehrlich gesagt, es interessiert doch niemanden mehr. In der Vorstellung waren um die 50 Leute, und sie alle haben es mit Humor genommen. Einige kannten den Film auch schon. Ich glaube es gibt wichtigere Skandale auf der Welt. In Deutschland ist der Film mittlerweile auch ab 12 freigegeben.

B: Sowohl Das Gespenst als auch Das Liebeskonzil stammen aus den früheren 80er Jahren. Gibt es da irgendeinen Zusammenhang? Haben sich die Verbote gegenseitig inspiriert?

F: Die Verbote haben sich sicher gegenseitig mehr oder weniger inspiriert. Aber Achternbusch hat mit seiner Arbeit immer wieder versucht die Grenzen auszudehnen. Und mit diesem Film hat er sie dann halt überschritten. Und die Gesellschaft war auch noch eine andere, in der die Religion, religiöse Gefühle oder die katholische Kirche einen ganz anderen Stellenwert hatten. Die Zeit war ja extrem geprägt von so einem Konservatismus. In den 70ern hatte man mit der SPD in der BRD noch eine linke Regierung, dann kam in den 80ern halt Kohl und dieser „Backlash“ zum Konservativen. Und dann gibt es dann solche Künstler wie Achternbusch oder später auch Schlingensief, die sich ausprobiert haben und geschaut haben, was geht. Und da ist er halt einmal zu weit gegangen.

B: Geht das heutzutage überhaupt noch?  Großartig Tabus anzugreifen oder versuchen, möglichst extrem zu sein? Oder wurde schon alles gezeigt und gesehen?

F: Ja und nein. Ich glaube heute kassiert man Shitstorms aus anderen Gründen. Wenn du – ohne Namen zu nennen – am Set ein Kind zum Weinen bringst zum Beispiel. Dann hast du vielleicht eine Grenze überschritten, über die sich in den 80ern niemand Gedanken gemacht hat. Oder wenn du für den Film ein Tier schlachtest, zum Beispiel.

B: Wie die gekreuzigten Frösche im Gespenst.

F: Genau. Wobei dir nur angebunden waren. Im Rosenkönig von Schroeter wurde auch eine Katze gekreuzigt. Das war allerdings eine Szene, wo sich schon damals alle aufgeregt haben. Oder wenn du – nur als extremes Beispiel – Mohammed in einem Film zeigst, dann würden sich auch viele in ihren religiösen Gefühlen verletzt fühlen und ein Shitstorm wäre vorprogrammiert.

B: Würde das Filmarchiv einen Film zeigen, der Mohammed abbildet?

F: Natürlich, warum nicht? Ich wüsste nur nicht in welchem Zusammenhang. Aber da gibt es auch gar nicht so wahnsinnig viele, glaub ich.

„Ich muss eben nicht alles aushalten.“

B: Gibt es aus rein inhaltlicher Sicht einen Grund, dass ein Kunstwerk vielleicht zu Recht verboten oder gecancelt wird?

F: Natürlich, wenn jemand zum Beispiel strafrechtlich relevante Dinge propagiert und etwa heute den Nationalsozialismus verherrlicht oder ähnliches, dann gibt es keinen Grund, so etwas in irgendeiner Weise zu „unterstützen“, indem man ihm Raum gibt. Ich denke, solange sich aber ein Werk im Rahmen der Kunstfreiheit bewegt, dann muss man auch als Publikum möglicherweise etwas aushalten – oder einer Vorstellung fernbleiben. Und wie jeder Mensch habe auch ich Geschmacksgrenzen.

B: Es werden ja auch immer wieder im wissenschaftlichen Rahmen Vorbehaltsfilme aus den 40ern gezeigt. Da kann man ja auch nicht ganz verhindern, dass jemand diese Filme sieht und unironisch genießt.

F: Ja, aber dann ist es halt so. Aber die kommen eh nicht ins Kino, glaub mir. Persönlich finde ich diese Verbote nicht zielführend – man sollte meiner Ansicht nach die Filme zugänglich machen und sie so ihrer „Mystifizierung“ berauben. Sie sind ohnedies im Internet überall zugänglich. Und ich denke nicht, dass etwa Neonazis heutzutage diesen alten Filmen etwas abgewinnen können. Als Kinobetreiber hingegen freut mich andererseits diese Regelung, weil so zumindest in der Öffentlichkeit eine gewisse „Exklusivität“ gegeben ist (lacht).

B: Wird man Das Liebeskonzil auch irgendwann im Filmarchiv sehen können? Oder ist der mittlerweile auch uninteressant geworden?

F: Momentan nicht, ich habe gerade keinen Grund dafür. 2008 gab es auf der Viennale eine Werner Schroeter Retrospektive. Da wurde er auch nicht gezeigt. Der nächsten „Skandalfilm“ bei uns ist übrigens Caligula von Tinto Brass, den ja auch der Nimbus des Unerhörten umweht. Aber mittlerweile sind es wie gesagt eher andere Sachen, die aufregen.

„Eigentlich sind nur Kluge und Schroeter interessant.“ 

B: Achternbusch hatte in seinen letzten Jahren auch nichts mehr gemacht.

F: Ja, aber das hatte andere Gründe. Gesundheitliche Probleme einerseits, und es hat ihn tatsächlich nicht mehr interessiert. Und er hat gar kein Geld mehr bekommen.

Es fing ja schon bei Das letzte Loch an. Das Preisgeld wurde in Raten ausbezahlt. Dann kam der Skandal rund um Das Gespenst und ihm wurde die letzte Rate verweigert. Er hatte danach immer mehr finanzielle Probleme. Er konnte nur mehr ein, zwei Filme auf 35mm drehen. Ab Heilt Hitler schauen seine Filme ja ganz anders aus. Und mit Hick’s Last Stand gibt es nochmal so einen Bruch. Weil er nicht nachgegeben hat. Er hat nie gesagt: „oh jetzt bin ich zu weit gegangen, jetzt muss ich bei meinem nächsten Film schauen, dass ich es mir nicht wieder mit allen verscherze.“ Ganz im Gegenteil, er hat dann noch mehr aufgedreht.