Bohema Magazin Wien

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Das schlaue Herheimlein

Stefan Herheims erste Produktion am Theater an der Wien nimmt einem die Sorgen um die Zukunft des Hauses: Mit Janáčeks Das schlaue Füchslein macht er Lust auf Regietheater.

Hier hatte jemand offensichtlich viel Fantasie /// TAW, Monika & Karl Forster (c)

Oh yeaaah, Oper macht Spaß! Versnobbt? Verstaubt? Veraltet? Sicher nicht an diesem Abend. Es hat perfekt gepasst, dass die erste große Produktion unter dem neuen Direktor des Theater an der Wien nicht im wunderhübschen Opernhaus an der Wien stattfand (die wird ja noch lange renoviert), sondern in der Halle E im MQ. Räume wirken, zeitgenössisches Regietheater schmeckt in moderner Architektur irgendwie anders.

Regietheater? Ideentheater!

Regietheater, das ist ja dieser schwammige Begriff für Inszenierungen, die Opernhandlungen umschreiben, in andere Zeiten setzen und so die Traditionalist*innen in Bayreuth und Co so richtig zum Kochen bringen, meist vor Wut und manchmal nicht ganz ohne Grund. Der neue TAW-Direktor Stefan Herheim lieferte mit seiner ersten Produktion ein flammendes Plädoyer an die unbegrenzten Möglichkeiten von modernen Inszenierungen. Literally, Janáčeks allegorische Mensch-Tier-Oper Das schlaue Füchslein deutete er nämlich als ein Märchenstück über Operninszenierungen um. Das aber so dezent, dass JANACEKS eigenen Themen, das Verhältnis der Menschen zur Natur, der ewige Kreislauf des Lebens (und noch viele mehr, das Stück ist eine wahre Fundgrube an Denkanstößen) auch erhalten blieben.

Die etwas unklare Handlung der Oper lädt ohnehin zu Deutungen ein, die vielen Momente, in denen nur das Orchester spielt, müssen irgendwie überbrückt werden. Im Grunde geht es um einen Förster, der aus dem Wald eine freche Füchsin mit nach Hause nimmt, die dort die Welt der Menschen kritisch beäugt, sich mit Haustieren austauscht. Zum Beispiel mit dem Dackel, der berichtet, wie er Liebeslieder schreibt, wenn er läufig ist. Setzte sich Janáček da selbst ein Denkmal, der sich von seiner (platonischen, sort of) Geliebten Kamila Stösslová zum freigeistigen Füchslein inspirieren ließ?

Der Clou bei Herheim ist, dass der Wald mit all den Tieren eine Theaterwerkstatt ist. Ich meine im Förster ihn selbst erkannt zu haben (sah ihm sogar ähnlich), also den Regisseur, der aus dem wilden Wald der Theaterideen etwas mitnimmt in die reelle Welt. Herheim webt noch ein weiteres Riesenthema in diese Inszenierung: das Verhältnis zwischen der Intention des Komponisten und dessen Umsetzung. Das tut er, indem er einen kleinen weißgekleideten Herren durch den Abend flirren lässt. Offensichtlich ist das Janáček selbst, der da immer wieder kleine Rollen übernimmt und mal kritisch, mal ängstlich, mal belustigt das Geschehen verfolgt.

Kreativkanone am Werk

Ich erspare euch, all die Symbole und Ideen des Abends zu analysieren, es gibt derer ziemlich viele. Das Rätselraten ist aber irgendwie spaßig, man versteht vieles gleich und hat auch dann Spaß, wenn man sich einfach mittreiben lässt von all den lustigen Ideen Herheims. Der ist nämlich eine absolute Kreativkanone; da gibt’s Szenen, wie die mit dem Frauenchor à la Pussy Riot, der den nervig predigenden Priester-Dachs zerlegt und vergewaltigt. All das in einer wunderbaren Choreografie (Beate Vollack) und mit schauspielerisch groß aufspielenden Sänger*innen, allen voran Mélissa Petit als flinke Füchsin. I want more of this!

Pussy Riot meets Volkslieder-Frauenchor /// TAW, Monika & Karl Forster (c)

Musikalisch war der Star des Abends das Orchester, besser gesagt Giedrė Šlekytė, die aus den Symphoniker*innen einen quicklebendigen, lyrischen Janáček kitzelte. Es ist so schön, dass junge Dirigentinnen endlich zum Zug kommen, im Musikverein stand am Abend zuvor Elim Chan am Pult. Wie wär’s denn mit Giedrė Šlekytė als nächste Chefdirigentin, liebe Symphoniker*innen?

Gute Zeiten für die Oper in Wien

Ich muss zugeben, ich war ein wenig besorgt um die Zukunft des Theater an der Wien (oder Musiktheater an der Wien, wie es neu getauft wurde). Herheims Vorgänger Roland Geyer war ein Großmeister der Programmierung, das TAW war meine erste Lieblingsinstitution in Wien. Es gab kaum je eine Produktion in den letzten Jahren, die nicht meinen Appetit erregt hätte, die meisten schaute ich auch an und wurde selten enttäuscht. Das könne man fast nur schlechter machen, war meine Angst. Mit dieser spielerisch schlauen Eröffnung nahm mir Herheim aber meine Sorgen. Es sind gerade gute Zeiten für das Musiktheater in Wien, es weht ein frischer Wind. Sowohl im TAW als auch an der Volksoper mit der neuen Direktorin Lotte de Beer. Da muss sich die Staatsoper warm anziehen.

Having fun /// TAW, Monika & Karl Forster (c)