Bohema Magazin Wien

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Das Theater ist pervers und wir in es vernarrt

Über die (Un-)Kunst der Theatermacherei: Die Rollen vertauscht, die Stimmen verzerrt und das Hitlerkleidchen zurecht gerückt - das Volkstheater eröffnet mit einem starken Ensemble und einer Inszenierung, in der am Ende nichts so endet, wie es anfing.

Anna Rieser erinnert in ihrem Kostüm und ihrer Energie an die Popmusiklegende Nena /// Foto: Nikolaus Ostermann/Volkstheater Wien

Der Vorhang öffnet sich mit Va, pensiero aus dem Dritten Akt von Verdis Nabucco. Die Dramatik in der Komposition lässt das Publikum erahnen, welch’ theatrale Dramatik in den fast drei Stunden folgt. Das Volkstheater erwacht aus seinem erzwungen Theater(winter)schlaf, mit neuer Intendanz (Kay Voges, der hier auch Regie führt) und bringt Der Theatermacher von Thomas Bernhard auf die Bühne. Ein Freund hat mal gesagt, Bernhard sei gut um die österreichische Mentalität zu verstehen und dann fragte ich mich kurz ob die folgende Inszenierung das Gleiche versuchen wird - mit den Mitteln des Theaters.

Die Legende wird zum Stück

Der Notlichtskandal während der Salzburger Festspiele 1972 dient als historische Inspiration für den Inhalt des Dramas. Das Stück spielt in Utzbach mit seinen 280 dörflichen Einwohner*innen. Mit seinem Debüt Das Rad der Geschichte ist der Staatsschauspieler und Familienvater Bruscon (Andreas Beck) mit dem Rest seiner Familie auf Tournee - gestern in Gaspoltshofen, heute eben in Butzbach ehhh Utzbach. Der Text, der zu Beginn fast nur ein Monolog zu sein scheint, ist zunächst ein  Aufbegehren des Bruscon gegen alles, was ihn hier erwartet, und entpuppt sich schnell als eine Wutrede gegen die Theaterkunst. Pervers ist es, die reinste Absurdität, eine Falle und doch seine größte Lebensleidenschaft. So wird aus Hass und Liebe Hassliebe und Bruscon richtet diese auch an sein dumm-dörfliches Publikum, seine geschätzten Dramatiker (bewusst männlich, denn in seiner Welt gibt es nur Goethe, Kierkegaard und Voltaire) und gegen seine eigene Familie, die gleichzeitig die Besetzung seines Stückes ist (seine Frau: Anke Zillich, deren Tochter Sarah: Anna Rieser und deren Sohn, Ferruccio: Nick Romeo Reimann). Der Text ist eine Empörung, die Worte sind schauspielerisch gehüllt in Wut und Verzweiflung, Ignoranz und ganz viel Selbstironie. 

Die Retter in der Not

Uwe Rohbeck spielt den Wirt - der die Familie in seinem Wirtshaus empfängt - ängstlich und leicht verstört, doch mit einer Prise Humor, so dass sein Spiel neben der großen und textlastigen Rolle des Bruscon nicht in den Hintergrund gedrängt wird, im Gegenteil. Doch auf das schauspielerische Können des Ensembles brauche ich im Folgenden nicht einzeln einzugehen, denn bald folgt ein Rollentausch dem nächsten und am Ende ist keine*r mehr, was er*sie war. Eins wird dabei schnell klar: das Ensemble brilliert, ist unglaublich präsent und spielfreudig. Während der schrillen zweiten Hälfte der Inszenierung, denke ich kurz, dass es das alles überhaupt nicht gebraucht hätte, denn die Schauspieler*innen sind so stark in ihrer Darstellung, dass alleine das Zusehen den Abend zu einem Erfolg macht. Die Stunden vor der geplanten Aufführung in Utzbach spielen in einer Art Lagerhalle in unangenehmen Grautönen, mit grell-grünen Notlichtern, roten Feuerlöschern, stechend-weißen Neonröhren und Treppen, die ins Nirvana führen (Bühne: Daniel Roskamp). Fehlt nur noch der Nebel, denke ich mir. Der kommt natürlich später.

Ein Polit-Spaß

Theater live and in stereo ist nach den vielen Lockdowns ein Highlight, die politischen Referenzen lassen also nicht lange auf sich warten. Die altbekannte Affirmation “Die nächsten 14 Tage sind entscheidend” - ein Satz aus dem Polittalk Repertoire der Bundesregierung - fügt sich perfekt in den Dialog. Als diese Worte durch den Zuschauersaal hallen, wird gelacht, kurz geklatscht, aber es scheint so, als traue man sich noch nicht zur Gänze.Vielleicht ist nächste Woche wieder alles zu. Oder vielleicht weil der Bürgermeister samt Gefährtin nur eine Reihe weiter in seiner Loge sitzt. 

Kopf voraus in den Genre Topf gefallen

Die erste Hälfte lässt uns entspannt in den Theatersesseln den bernhardtschen Worten lauschen, die so poetisch-schön, melancholisch-wahr sind, dass sie erstmal kurz verdaut werden müssen. 

Nick Romeo Reimann geht in seiner Musicalszene bis ans Ganze /// Foto: Nikolaus Ostermann/Volkstheater Wien

Aber nichts mit entspannt zurücklehnen und berieseln lassen, die zweite Hälfte hat es in sich. Die Inszenierung beginnt ganz klassisch, gegen Ende sind wir unter anderem in einem Technoschuppen und Sarah, die Tochter (Anna Rieser) stampft im Takt der Beats über die Bühne, schreit den Text in das Mikrofon und erinnert in ihrem punkigen Kostüm (an den Darstellenden erkennbar durch blaue Anzugteile mit Nadelstreifen, Kostüm: Mona Ulrich) und der Vokuhila Frisur an eine Nena der 80er Jahre. Ihr Bruder, Ferruccio (Nick Romeo Reimann) hat vor ihr den Musicalmen gegeben und den Text zersungen und zertanzt. Auch Bruscons Frau (Anke Zillich) darf sich noch in den Nadelstreifenanzug werfen und spricht mit verzerrter Stimme dämonisch-böse in das Mikrofon. Das nur ein kleiner Auszug dessen, was an Wechseln und Brüchen geboten wird, während der erste, echte, glaubwürdigste Bruscon von Andreas Beck im Krankenhauskleidchen die Szenen wie in einem Alptraum durchlebt. 

Hier sind alle  Männer Hitler…

...ist ein Satz der genauso in dem Stück steht. Generell bemüht sich Bernhard nicht um Zurückhaltung wenn es um die österreichische Geschichte geht, so auch nicht Regisseur Kay Voges in seiner Inszenierung. Auch wenn es als Zuschauer*in unangenehm ist, mit dem rot-schwarz-weiß der Nazireliquien und den direkten Hitlerdarstellungen konfrontiert zu werden, ist es gleichzeitig kein Wunder, dass diese Sequenzen an den Alptraum anknüpfen, der das Ende des Theater prophezeit. Ob und inwiefern es produktiv ist, diesen Teil der Weltgeschichte in seiner derartigen Explizität darzustellen - seine Schauspieler*innen den Hitlergruß zeigend und in Hitlermanier sprechend - ist eine Frage, die im Spezialfall Theater noch nicht so oft gestellt wurde. Auf bohema wurde in diesem Essay das Thema unter dem Deckmantel der Kunstfreiheit besprochen.

Das Ensemble nach dem sich das Rad der Rollen mehrmals gedreht hat /// Foto: Nikolaus Ostermann/Volkstheater Wien

Das Rad der Geschichte des Volkstheaters hat sich mit dieser Inszenierung von neuem begonnen zu drehen und die erste Premiere hinterlässt Eindruck. Ein Spielspaß für die Darsteller*innen und ein Schauerlebnis für das Publikum gerinnt in dieser Inszenierung zu einem wahren Schauspiel.

Am 4. Juni 2021 steht das Stück ein weiteres Mal auf dem Spielplan.