Bohema Magazin Wien

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Die Mittelkinder der Instrumentenfamilie?

Warum Emanuel Pahud nicht nur gut spielt, sondern auch gut ist, dass er spielt: Ein Appell an mehr Blasmusik in der Klassikszene.

Emmanuel wer? Pahud! Zurzeit zählt der erste Flötist der Berliner Philharmonikern zu den besten Querflötisten der Welt und spielt gerade kreuz und quer auf den Kontinenten umher. Unter anderem stattete er dem Wiener Konzerthaus am 23. Oktober ein Besuch ab, gemeinsam mit dem Pianisten Yefim Bronfam. Die beiden bescherten dem Publikum ein bunt ausgewähltes Programm bestehend aus Mozart, Carl Emmanuel Bach und Carl Reinecke. Eine Reise durch die Epochen und eine wahre Freude für jedes Querflötenherz. Insbesondere die Sonate Wg. 132 von C. P. Bach. Neben der subjektiven Schönheit des Stückes, handelt es sich hierbei um ein Solostück, welches die Querflöte in ihrer schlichten Eleganz erstrahlen lässt. Wann hat man eigentlich das letzte Mal einem Solostück gelauscht und dies noch auf einem Blasinstrument?

Wer sucht der findet (nichts)?

In der Pause blättere ich das aktuelle Programm des Wiener Konzerthauses durch und die Frage kommt wieder auf. Das Abo für Klavier, eins für Meisterstimmen, Orgel und Violine ist kaum zu übersehen, aber für Blasinstrumente, ganz zu schweigen für ein spezifisches? Ein Déjà-vu Gefühl beschleicht mich, wenn ich an das Programm der diesjährigen Salzburger Festspiele denke. Daheim google ich aus Spaß die best of classic Playlists, große Orchesterwerke, Klavierkonzerte und Violinkonzerte sind drauf und irgendwie schleicht sich Mozarts Klarinettenkonzert auch – immerhin, aber die Einsamkeit des Stücks lässt einen eher auf ein Glücksphänomen schließen. Ist die Klassikwelt den Streicher*innen vorbehalten?

Sind die Blasinstrumente eher bei den Blaskapellen und Big Bands aufgehoben? Wobei zugegeben, die Flöte geht im letzteren klaglos unter. Vielleicht freuen sich manche sogar darüber. So war auch Mozart nicht der größte Fan des Flötenklangs, welche sich auch in der Scherzfrage „was ist schlimmer als eine Flöte – zwei Flöten“ niederschlägt. Ist der Klang wirklich so grausam, so schrill und unerträglich, dass man das Instrument am liebsten gar nicht hören möchte, von der Piccolo zu schweigen?

Eine gute Gelegenheit, Komponistinnen zu spielen

So verhasst kann die Flöte dennoch nicht sein, über Jahrhunderte existiert ein großes Repertoire von Flötenkonzerten, mit vielleicht dem Höhepunkt im Barock. Mit Johann Joachim Quantz, der Lehrer von Friedrich II. gab es ein größeres Interesse, resultierend in dutzenden Werken. Aber das ist schon ein paar Jahrhunderte her. Befinden wir uns im Zeitalter des verträumten Klaviers im Sinne von Ludovico Einaudi? So verstaubt ist das Repertoire nicht, gerade angesichts der Debatte um Komponistinnen in der Klassik wäre es doch die Gelegenheit das Concert pour flute von Cecile Chaminade auf die Bühne zu bringen, ein durchaus bekanntes Werk der Flötenmusik. Schaut man genau hin, findet man in der Musikgeschichte durchgängig Kompositionen für Flöte, auch aktuellere Stücke. Wäre das noch nicht genug, kann die Flöte so gut wie jedes Stück der Geige, wohlgemerkt umgeschrieben, ebenso spielen. Jasmine Choi, eine ebenfalls berühmte Querflötistin hat unter anderem Mendelsohns Violinkonzert präsentiert, welches sich durchaus in den oben genannten best of classic Playlist finden lässt.

Wo bleibt das Fagottkonzert?

Mit gutem Beispiel voran gehen. Das dachten sich die Wiener Philharmoniker als sie neben der Symphonie Fantastique und dem modernen Stück April von Bruno Hartl, das Konzert für Fagott, Streichorchester, Harfe und Klavier von André Jolivet präsentierten. Die begnadete Solofagottistin der Wiener Philharmoniker Sophie Dervaux zeigte nicht nur im Stück ihr Können, sondern schöpft vor allem bei der Zugabe die Virtuosität und den Klang des Fagotts vollständig aus, welches sich auch im Applaus des Publikums wiederspiegelt. „Ich habe noch nie Fagott so gehört“, höre ich meine Nebensitzerin murmeln. Der Satz beschreibt den Abend ganz gut. Als hätte sie das Instrument heute zum ersten Mal gesehen, vielleicht trifft es auch zu.

Wann, liebe*r Leser*in, haben Sie zum ersten Mal, welches Instrument gesehen? Wenn man Glück hat, gibt es bei der Musikschule ein Tag der offenen Tür. Im Trubel der vielen Kinder bekommt man eine paar Instrumente zu Gesicht, vielleicht hört man sie kurz und kann mit etwas Glück eins ausprobieren. Am Klavier kommt man beim Musikunterricht nicht vorbei, die Carl Orff Instrumente und die Blockflöte begegnen einem durchaus. Wenn man es nicht kennt, wie sollte man auch dazu kommen, man nimmt eben das vertraute, bekannte, bewährte. Man muss die Möglichkeit haben, das Instrument zu erleben und dann noch die zweite Hürde, eine*n Lehrer*in dafür zu haben. Fun fact, Harfe wird an meiner heimischen Musikschule nicht einmal angeboten und hat ist immerhin eine 50 000 Einwohner Stadt… also wird es vielleicht doch die Geige und nicht die Tuba.

Es ist eben nicht nur Flöte

Stichwort Erleben - das Publikum des Emmanuel Pahud Konzertes ist relativ einfach in Kategorien einzuteilen. Diejenigen, die mehr durch Zufall hineingestolpert sind und die Flötist*innen, wobei hier von den Profis bis zu den Anfänger*innen, dessen Eltern die Kinder zu mehr Üben bewegen wollen, alle dabei sind. Würde ein vermehrtes Fagottkonzert zu mehr Kindern führen, die Fagott spielen, weil sie es sehen, Inspiration bekommen und vielleicht dann später in (Hobby)Orchestern nicht mehr so ein Mangel an ebenjenen Instrument entstehen würde? Ebenso mit einer Reihe von anderen; Oboe, Bratsche, Kontrabass, Horn, Posaune…Geigen gibt es genug.

Natürlich kann man auf YouTube surfen, so findet man Perlen der Barockmusik zum Beispiel von Telemann das Trompetenkonzert und das Bratschenkonzert in G-Dur. Plötzlich stehen da Menschen, dessen Namen noch nie zuvor gehört hat. Einen berühmte Geigerin oder auch einen Pianisten könnten die meisten musikinteressierten Personen noch zusammenkratzen, vielleicht auch noch einen Cellisten, aber die restlichen, Oboist, Posaunist, Hornist? Ihr Können ist nicht minder von Wert und doch fehlen sie aus den Köpfen der Allgemeinheit. Natürlich kann man sich nun in jegliche YouTube Aufnahmen vertiefen, die Namen der Musiker*innen suchen, aber wäre es doch nicht einfach schön in ein Konzert zu gehen und sich von der Musik live berieseln zu lassen?

Also hier der Appell für mehr Solokonzerte mit Instrumenten abseits des Mainstreams. Es gibt so viel mehr als Beethovens 9. Symphonie und es heißt auch nicht, wie die Philharmoniker gezeigt haben, dass das eine dem anderen weichen muss. Möge ein frischer Wind im Repertoire wehen.