Bohema Magazin Wien

View Original

Doppelt sehen: „Barbenheimer“, Double-Features und das Ende der Genregrenzen

Double-Features existieren als dekadenlange Tradition, der zur Zeit ein neues Kapitel hinzugefügt wird. Aber was macht ein gutes Double-Feature aus und wie unterscheidet es sich von herkömmlichen Filmerfahrungen? Eine Untersuchung eines Screening-Formates, was sich immer wieder selbst erfindet- und dabei von Vertriebsmodell bis Genresprenger alles sein kann. 

Illustration: Fabia Wirtz (c)

Das Double-Feature ist zurück. Begonnen im frühen Kino der Kurzfilm-Events, fortgesetzt, um B-Filmen eine Bühne (beziehungsweise ein Vertriebsmodell) zu geben, feiert das Screening-Format diesen Sommer eine Renaissance.

Nur mit einem prägnanten Unterschied. Denn Auslöser ist diesmal, wie könnte es anders sein, das Barbenheimer-Phänomen. Und so geht es nicht um Strategien, die Studios anwenden, um auch obskurere Filme zu verwerten, sondern um einen verselbstständigten Hype rund um zwei Hochglanzproduktionen, die rein inhaltlich auf den ersten Blick wenig miteinander gemeinsam haben. Viel mehr noch, der Grund für das vorgeschlagene Double-Feature scheint genau diese tonale und stilistische Dissonanz zu sein. Die Gegenüberstellung von Prestigedrama und Komödie stellt hier das Gimmick dar.

Doppeltes Spiel?

Gleichzeitig wird online versucht, den Hypemoment zu wiederholen. Baldige Filme werden nach Parallelveröffentlichungen durchsucht, die zusammen ähnlich schräg klingen. Spitzenkandidaten sind bisher Napoleon und Disneys Wish oder, sogar schon mit eigenem Wortspiel, Saw Patrol, also das mögliche Crossover zwischen Saw X und Paw Patrol. Kontrasterfahrungen werden zum Erlebnisgaranten.

Das lässt sich natürlich kritisch sehen, es ist leicht, aus dieser Bewegung einen perfekten Ansatz für Filmmarketing zu kreieren, der den „Geheimtipp“ in Form des B-Films aus dem Double-Feature als Kinomodell entfernt und stattdessen dazu dienen kann, ohnehin populäre Marken nur weiter zu popularisieren. Das ist an sich nichts neues, wenn man beispielsweise konsekutive Vorführungen einer Filmreihe in den Begriff Double-Feature miteinbezieht. Solche Marathons oder Sequel-Prequel-Screenings bieten aber weniger zwei miteinander vereinte Erfahrungen an, sondern sind geplant Teil eines Gesamtwerkes, sodass aus dem Double-Feature am Ende doch wieder ein homogenes Screening wird.

Das ist schade, denn eigentlich steckt im Double-Feature, insbesondere in diesem neuen Format, welches auf Kontraste abzielt, transgressives Potenzial, sobald man dieses abseits von seinen rein wirtschaftlichen Komponenten betrachtet.

Denn durch das Gegenüberstellen und den unterbewussten Vergleich zweier Filme ist es möglich, verschiedene Genres und deren Stilmittel bewusster zu erleben. Doch führt dies dazu, Genregrenzen verschwimmen zu lassen? Oder kann das Berufen auf Kontraste dazu beitragen, dass sich Genrekonventionen nur weiter verhärten?

Geteilte Freude ist doppelte Freude?

Die neue Double-Feature-Devise heißt also Differenz aufstellen. Im Fall von Barbenheimer durch das Kombinieren zweier unterschiedlicher Genres. Vor allem die ästhetischen Anstrengungen der beiden Filme werden so um einiges offensichtlicher. Sowohl Nolans optischer Naturalismus als auch die bewusst künstliche Ästhetik bei Gerwig wirken durch die Gegenüberstellung intensiver, als ohne den jeweils anderen Film als Referenzwert. CGI-Verzicht als Qualitätsversprechen, dafür genauste Observation von Natur und Technik zwischen mikroskopischen Nächstaufnahmen und Supertotalen treffen auf Sets und Kostüme, die darin aufgehen, so unnatürlich auszusehen, wie nur möglich. Dies zieht sich auch durch andere stilistische Ebenen: Orchestraler Score vs. Popmusik, naturalistisches Schauspiel vs. komödiantische Darbietungen. Eben durch diese Abwechslungen zwischen stilistischen Gegenpolen können sich beide Filme weiter definieren, wirken in Folge besonders einzigartig und entziehen sich als Gesamterlebnis fast Genrebegrenzungen.

Barbenheimer /// Variety (c)

Doppelt hält besser?

Trotzdem bleibt das immense Marketingpotenzial von Kombinationen wie Barbenheimer ein bremsendes Element, um sie als komplett transgressiv zu betrachten. Umso wichtiger ist es, Double-Features auch abseits von aktuellen Kinotrends als ernstzunehmende Events wahrzunehmen. Sei es für eine Gruppe, oder einfach für sich selbst.

Wo genau man Verbindungen und Kontraste sieht, wie genau man sich Filme aussucht, zwischen denen man interessante Querverbindungen vermutet, ist eigentlich egal. Ein Double-Feature kann helfen, kunsthistorische Prozesse zu verstehen und die Interkonnektivität von ästhetischen Trends sichtbar zu machen. Ein Film kann im Double-Feature als Inspiration für oder als Argument gegen ein anderes Werk gesehen werden. Man kann Entwicklungen oder Stagnationen in der Karriere bestimmter Schauspieler*innen oder Regisseur*innen verdeutlichen. Ähnlich verhält es sich mit Verhältnissen innerhalb des gleichen Genres. Double-Features können die gleiche Prämisse auf komplett unterschiedliche Art und Weise erfahrbar machen und somit die eigene Vorstellung davon, was ein Genre ist, auf den Kopf zu stellen.

Oder man löst sich für ein Double-Feature komplett von Ideen des Zusammenhangs, der Kunstgeschichte, der aktuellen Kinotrends oder der kuratorischen Ambition und stellt eventuelle Vergleiche erst im Nachhinein her – oder eben nicht. In diesen Momenten, in denen es fast unmöglich scheint, Verbindungen zwischen dem Gesehenen zu ziehen, fällt besonders auf, inwiefern der eigene Filmkonsum mitsamt Interpretationsversuchen von festgefahrenen Denkmustern durchzogen ist. An deren Stelle treten, wenn alle kognitiven Bindeprozesse durch komplette Dissonanz unmöglich scheinen, neue Potenziale, Film wieder affektiv, weniger voreingenommen wahrzunehmen. Sich nicht ganz erklären zu können, wie genau man zu den einzelnen Filmen steht und ein Double-Feature mit Gefühlen der Ambivalenz verlassen, anstatt mit der Ambition, das Gesehene direkt zu entschlüsseln. Vielleicht lässt sich sogar durch das gemeinsame Schauen von vermeintlichem „Trash-“ und „Kunstfilmen“ hinterfragen, wie viel Sinn diese Hierarchien ergeben, wenn man doch Vertreter beider Gruppen irgendwie im gleichen Rahmen zusammenfügen kann.

Hier kann man schlussendlich wieder die Brücke zu Oppenheimer und Barbie schlagen. Denn die größte, und positivste Überraschung an diesem Double-Feature bleibt, wie es verhindert, dass alte Kluften zwischen „anspruchsvollem“ Prestigedrama und der „anspruchslosen“ Komödie als Gegenpol weiter vertieft werden. Dies wird in Diskussionen zwar versucht, ist durch den direkten Vergleich aber kaum möglich. Denn in diesem offenbart sich, dass es sich trotz der gewaltigen Genre-Unterschiede  letztendlich um zwei Filme handelt, die Spektakel nutzen, um Aussagen über soziopolitische Probleme und Ereignisse zu treffen, ganz egal, wie genau sie dabei vorgehen.

Und dementsprechend wird das Double-Feature für unser Genre-Verständnis vielleicht erst so richtig schön subversiv, wenn man beginnt, alle Filme, ob Blockbuster oder nicht, als potenziell kombinierbar zu betrachten – sowohl in ihren Gemeinsamkeiten als auch ihren Unterschieden.