Bohema Magazin Wien

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Wann das Ego den Platz räumen muss

Ein Theaterhaus im Bereitschaftsdienst - wie das Dschungel Wien - Theaterhaus für junges Publikum sich als Zufluchtsort in der Krise jederzeit bereit hält.

Foto: aus Zeugs, Dschungel Wien - Theaterhaus für junges Publikum, © Guido Mentol

Schillers Utopie des Theaters als Bildungsanstalt der Gesellschaft ist leider auch heute oft nicht mehr als bloße Wunschvorstellung. Zumal Bildung nicht erst an dem Punkt beginnt, an dem seine Werke rezipiert werden können. Der Startpunkt findet sich viel früher, bei den Kleinsten unter uns. Für unsere Reihe Bohema fragt nach haben wir bei der künstlerischen Leiterin des Dschungel Wien - Theater für junges Publikum, Corinne Eckenstein nachgefragt und über Planungstetris, Authentizität und überhörte Appelle an die Bundesregierung gesprochen.

Wie plant uhr die nächste Spielzeit eines Theaters für junges Publikum, wenn die Möglichkeit besteht, dass Bildungseinrichtungen und Institutionen für jüngere Generationen geschlossen werden?

Das klingt ja schon wie ein Widerspruch. Ich hoffe, dass wir bis zum Herbst zu dem Punkt kommen, an dem wir wieder normal spielen können. Wir haben viel herumgeschoben, wir sind überhaupt gerade viel am herumschieben. Es fallen Sachen aus und dann schiebt man wieder was anderes rein, das ist eigentlich ein dauerndes Tetris. Das Problem ist: es werden natürlich immer mehr Produktionen, die sich in der Warteschlange sammeln. Ich plane nach dem “Was wäre wenn?” und “Wenn, dann das…” Prinzip. Und das mit 13 fertigen, aber nicht gespielten Produktionen… (lacht) Irgendwann haben wir den Supergau und dann wird es zu dem Punkt kommen, dass gewisse Produktionen nie gespielt werden können und das ist dann schade. Aber Verdruss ist keine Möglichkeit. Und es ist schön, wenn die Gruppen hier arbeiten und proben, man hat ein bisschen mehr Zeit als im laufenden Spielplan. Das gibt manchen Teams die Möglichkeit anders zu arbeiten, so wie es wünschenswert aber manchmal nicht möglich ist. 

In eurem aktuellen Spielzeitheft wird die Pandemie im Vorwort angesprochen. Wird die Pandemie in Zukunft thematisch eine Rolle spielen? Oder sollte das Theater mit seinen Inhalten reine Realitätsflucht für die jüngere Generation sein, die mit den Ereignissen momentan vielleicht gar nicht so gut klarkommt?

Also die Wirklichkeitsflucht findet im Kinder- und Jugendtheater erstaunlicherweise sehr selten statt. Die Wirklichkeit ist immer unmittelbar da, weil wir uns ja mit dem Publikum und deren Lebenswelt direkt in Resonanz setzen. Kein einziges Stück ist bei uns angekommen, in welchem die Pandemie, so wie sie die Welt momentan beherrscht, haargenau Thema ist. Das würde ja eine Art Tagesaktualität erfordern und ich glaube nicht, dass das Theater dafür stehen sollte. Es geht mehr um die Lebensrealitäten, die Emotionen, die Visionen und die Wünsche - die sich natürlich verändert haben durch diese Situation - aber die ändern sich auch sonst andauernd. Man kann ja nicht sagen, Kinder sind noch jung, die werden das schon alles verarbeiten... ja, das werden sie sicher, aber es wird etwas mit ihnen gemacht haben, weil es passiert ist, es war und ist real. Es ist unsere Aufgabe, sie bei der Verarbeitung zu begleiten. Mit den Auswirkungen werden wir uns sicher befassen.

Als Theater für junges Publikum prägt ihr die nächste Generation. Wie geht ihr mit dieser Verantwortung um? Habt ihr auch Sorge - hier, als ältere Generation - was falsch zu machen? 

Sich in Resonanz mit den Kindern zu setzen, ihnen auf Augenhöhe begegnen und deren Anliegen, Bedürfnisse und Wünsche zu verstehen, ist der Weg. Ich glaube, letztendlich geht es immer um ein Ernstnehmen des Gegenübers, das ist unabhängig vom Puls der Zeit. Vieles entsteht ja in der Auseinandersetzung mit den Kindern und Jugendlichen, in Gesprächen, Workshops oder über Feedback bei Probenbesuchen. Natürlich hast du als Erwachsener trotzdem deine eigene Sichtweise und deine Art, wie du etwas auf die Bühne bringen möchtest. Da wären wir bei der Ästhetik und bei der Erzählweise, aber die muss auch nicht immer dem Kind entsprechen. Ein Kind hat auch nur die Erfahrungswerte seiner Sichtweise, die es von zu Hause oder seiner Umgebung mitkriegt. Da ist es unsere Aufgabe zu zeigen, dass es noch andere Perspektiven gibt. Wir müssen diese Offenheit selbst leben, wir können nicht etwas propagieren und nicht dahinterstehen. Es ist eine Herausforderung. Du bist sehr viel geforderter als Theatermacher:in für Kinder und Jugendtheater. Das ist auch ein Privileg, dass ich als Künstlerin da sehe und habe. Ich kann da nicht zurückstehen. Authentizität ist das Allerwichtigste. Du musst authentisch sein, um deine Glaubwürdigkeit zu behalten. Und in der Art und Weise, wie man Theater macht, spiegelt sich das wider. 

Künstlerische Leiterin des Dschungel Wien - Theaterhaus für junges Publikum, Corinne Eckenstein, © Foto: Franzi Kreis Illustration: Luisa Franz Kleopatra & Emanuel Jesse

Was passiert bei euch gerade, wie sieht der Alltag bei euch aus?

Wir sind tatsächlich wahnsinnig beschäftigt. Viele Dinge, die wir so im laufenden Spielbetrieb aufschieben, machen wir jetzt. Beispielsweise Konzepte zu erstellen oder Formate zu entwickeln und diese dann auch nachhaltig zu verfolgen. Das befindet sich alles in der Vorplanung. Wir haben Weiterbildungen gemacht, sei es in der Kunstvermittlung oder Social Media. Wir waren auf der Suche nach neuen Wegen der Kommunikation, weil wir nicht nur mit den Künstler:innen, sondern auch mit pädagogischen Einrichtungen, mit verschiedensten Jugendzentren - die jetzt wahnsinnig schwer zu erreichen sind -  und mit vielen verschiedenen Institutionen kommunizieren. Das heißt, da laufen im Hintergrund irrsinnig viele Gespräche; Community-Work ist hier ein ganz starkes Wort. Ich würde dieses Jahr nicht als Sabbatical bezeichnen. (schmunzelt) Es wäre schön, wenn wir ein Sabbatical hätten nehmen können...es gibt ganz viele Stressfaktoren durch die Ungewissheit. Wir haben ganz bewusst aufgehört zu streamen, um die Ressourcen anderweitig auf etwas zu verwenden, was nachhaltiger ist und nicht so frustrierend. Prinzipiell ist es wichtig zu schauen, dass das Frustlevel sich in Grenzen hält. 

Als Theater für junges Publikum betreibt ihr auch viel theaterpädagogische Arbeit. Ich habe als Jugendliche bis kurz vor dem Studium selber in Anleitung von Theaterpädagogen gespielt und bin der Meinung, dass jede:r Heranwachsende:r diese Erfahrung machen sollte. Können Sie mir da zustimmen?

Unbedingt! Es wäre deshalb auch sinnvoll, dass Theater ein Fach in der Schule wäre. Nicht, damit alle Schauspieler:innen werden, sondern die Möglichkeit haben, genau wie durch Musik eine Erweiterung der Persönlichkeitsbildung zu erfahren. Es schafft soziale Kompetenz und Selbstwertgefühl und all die Dinge, die man braucht, um ein gutes Leben zu führen und genügend Resilienz aufzubauen. Wir Erwachsenen bewegen uns...wir sind nicht unter der Obhut und dem ständigen wachsamen Auge unserer Eltern. Darum finde ich es auch so wichtig, dass diese Institutionen für die jüngeren Generationen - damit habe ich mich mehr als sonst gesellschaftspolitisch beschäftigt und engagiert - für die Stimmen von Kindern und Jugendlichen einsetzen und diese hörbar machen. Und an die Regierung appellieren, dass gewisse Jugendhäuser öffnen müssen, um den Kindern und Jugendlichen einen Raum anzubieten. Wir wissen ja, wie man das macht. Dass momentan gerade mal nur das ZOOM Kindermuseum und die Büchereien offen haben, das ist zu wenig. Wir wären jederzeit bereit und ich finde, das wäre jetzt wichtiger denn je.

Ihr Spielzeitmotto ist “Eine andere Welt ist möglich”, welche Welt möchten Sie mit ihrem Publikum erschaffen, was mitgeben?

Man denkt ja immer, dass man an einer besseren Welt arbeitet und ist dann erstaunt, wie viel Ungeheuerliches an den Rändern wächst, was sich in die Mitte drängt. Kaum hat man eine Errungenschaft, kommt immer eine Gegenbewegung. Aber diese andere Welt hat ganz viel mit der Gleichbehandlung von Menschen und allen Lebewesen zu tun und ist das, was uns eine andere Welt ermöglicht. Ich glaube, viele kapieren das natürlich, vielleicht sogar die meisten Menschen, aber die Kräfte, gegen die man sich aufbringen muss, sind natürlich enorm. Ich meine eine Welt, in der man ein lebenswertes Leben führt, von dem alle profitieren können. Es geht gar nicht immer darum, ob man das erreicht, sondern, dass man zumindest das Ziel vor Augen hat. Es gibt diese Welten, es müssten einfach mehr werden.