Bohema Magazin Wien

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Ein Delphin gegen die Blauäugigkeit

Gabriele Weber im Gespräch über das Theater als Arbeitsmarkt, Inklusion und Kritiker*innen, die das Wesentliche übersehen.

(c) Fotos von Nina Ebner /// (c) Design von Lara Cortellini

Im zweiten Wiener Gemeindebezirk, in der Blumauergasse, neigt man dazu, die schmale Eingangstür zu einem der modernsten Theaterhäuser zu übersehen. Modern im Sinne einer Vorreiterrolle, denn das Theater Delphin hat schon vor über 20 Jahren erkannt, dass Barrierefreiheit und Inklusion in der Schauspielszene deutlich zu kurz kommen. Why though?

Was sich hinter der alten Holztür auftut, ist ein Theater in der Zündholzschachtel: Werkstatt, Kostüme, Küche, Aufenthaltsraum, Bühne, Technik und eine Tribüne mit 30 Sitzplätzen finden auf nur wenigen Quadratmetern ihren Platz. Wer eintritt, geht durch einen kurzen Gang mit Fotos früherer Produktionen und wird eingeladen, das kreative Universum der Gründerin Gabriele Weber und ihres Lebensgefährten Georg Wagner zu erkunden. Es öffnet sich ein persönlicher Raum der Erinnerungen und Zukunftsvisionen für ein inklusives Projekt, das schon 1998 seine Anfänge fand. Seither hat sich das Theater Delphin mit mehreren Produktionen pro Saison und einem Stammensemble zu einem festen Bestandteil der freien Szene der Bundeshauptstadt entwickelt. Und will es auch bleiben.

Theater, Werkstatt und Küche auf kleinster Fläche: Wer sich hier ein Stück ansieht, ist mittendrin im Theatermachen /// (c) Nina Ebner

Selbstbestimmung und Fair Pay 

Das erste Stück, das Weber für ihren Sohn mit Mehrfachbehinderung schrieb, entspricht nach wie vor der Grundhaltung des Theaters: Mit “Nico der kleine Delphin” wurde damals ein Stück mit Musik und Tanzelementen konzipiert, um ihrem Kind über das Bühnenspiel Freude schenken zu können. Folglich wurde es zum klaren Konzept des frisch gegründeten Theaters, Menschen mit Behinderungen den Zugang zur Schauspielerei zu öffnen, ihnen volle Sprechrollen zuzuteilen und zuzutrauen. Ein Umstand, der nach wie vor eine positive Ausnahme in Theaterhäusern bedeutet.

In der Kunst- und Kulturszene ist ein Umdenken gefragt, stellt Weber klar, denn ein Engagement und faire Bezahlung seien ein notwendiger Schritt für ein selbstbestimmtes Leben der Schauspieler*innen mit Behinderung. Obwohl es ein wachsendes Bewusstsein und Verständnis für diese Thematik gebe, bemerkt Weber kaum Diversität auf den Bühnen. Das ist in der Blumauergasse anders: Sowohl im Ensemble als auch Behind-the-Scenes in der Organisation arbeiten inklusive Teams an großen Stücken der Theaterliteratur und eigenen Stückentwicklungen für Sprechtheater und Musicals. Das Theaterhaus ist damit ein wichtiger Arbeitgeber für engagierte Mitarbeiter*innen, die sonst voreilig dem sogenannten Zweiten Arbeitsmarkt zugeordnet werden. Das Theater Hora wäre hier das erfolgreiche Schweizer Pendant.

Künstlerisches Niveau ist nicht körperabhängig

Das Label eines inklusiven Projekts kann auch Vorurteile seitens der Zuschauer*innen und der Theaterkritik bedeuten. Häufig werde der eigentliche Wert der schauspielerischen Leistung und der künstlerischen Ausgestaltung gegenüber der sozialen Relevanz des Projekts in den Schatten gedrängt, berichtet Weber. “Das Wichtigste ist uns, dass inklusives Theater nicht mit ‘ah, ihr spielts ein bissl’ abgetan wird. Es geht uns um die Wertschätzung der künstlerischen Arbeit. Wie geht der Schauspieler, der vielleicht ein bisschen anders ist, an die Figur heran? Wie gliedert sie sich in das Stück ein?”

Die Probebühne für das Stück Andorra (Max Fritsch) /// (c) Nina Ebner

Der Blick fürs Wesentliche

Gefragt danach, wie Kritiker*innen mit den Produktionen umgehen sollen, erinnert sich Weber an den Besuch einer Journalistin: “Im Endeffekt ist bei ihrer Berichterstattung herausgekommen: Die Stimmen sind sprachlich nicht so gut, weil es keine Schauspielschule für Menschen mit Behinderung gibt.” Dass es an Ausbildungsmöglichkeiten fehlt, sei zwar korrekt, doch damit kratze man nur an der Oberfläche: “Ich will die künstlerische Arbeit an dem Stück an und für sich kritisiert sehen. Ist die Dramaturgie gut? Ist das Stück gut? Das Bühnenbild? Füllt er/sie die Figur aus… Es geht ja um das. Nicht darum, dass jemand zufällig im Rollstuhl sitzt.” Ob der Text stimmlich dem klassischen Anspruch an Bühnenhochdeutsch genügt, sei damit irrelevant, ob das Schauspiel aufgeht, das ist wesentlich.

Ob zum Theatergenuss oder für die Theaterkritik, Interessierte haben im April wieder die Chance, eine Aufführung des Theater Delphins mitzuerleben: Nach Omega steht mit dem “Stationentheater” EROS 2023 schon die zweite Eigenproduktion dieses Jahres am Spielplan. Gabriele Weber führt Regie, Georg Wagner zeichnet sich für die Produktionsleitung und das Bühnenbild verantwortlich.

Wer sich auf eine Auseinandersetzung mit der menschlichen Sexualität als Antrieb allen menschlichen Lebens bei gleichzeitiger sozialer Regulierungsfunktion einlassen will, wird sich im Theatersaal im Brick-5 in differenzierten Betrachtungen wiederfinden.