Bohema Magazin Wien

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Ein durchwachsenes Homecoming

Früher waren Klischees in Musikkritiken antisemitisch, frauenfeindlich sind sie immer noch: Ein paar Gedanken zum Klavierabend von Klassikstar Kathia Buniatishvili.

Kathia Buniatishvili am Steinway /// Julia Wesely, Wiener Konzerthaus ©

Dieser Artikel ist zunächst in der ‘Presse’ erschienen.

Mit geschlossenen Augen hätte man meinen können, da spiele eine Ü80-Legende Schuberts „Vier Impromptus“, es war aber Khatia Buniatishvili, die ihr Konzert schleppend, leise und fragil begann. Als sie sich im ersten Impromptu dann doch zu einem Forte durchrang, tat sie auch das mit viel Pathos und Pedal. Das zweite Impromptu spielte sie dafür derart blitzschnell, dass im Saal nur ein rauschendes Murmeln ankam, das fast wie Neue Musik klang.

Für den Klavierstar war das Konzert ein Homecoming, sie studierte hier bei Oleg Maisenberg. Von den Einflüssen der Russischen Klavierschule, die sie in ihrer postsowjetischen Form sicherlich schon in ihrer Kindheit in Tiflis zu spüren bekam, hat sich Buniatishvili mittlerweile befreit, zumindest im Anschlag: Statt à la Matsuev, Pogorelich und Co. kräftig zuzuschlagen, klingt bei ihr alles, wie mit einem Instagram-Filter versehen. Es ist zwar technisch beeindruckend, wie sie durchgängig derart weich und schwebend spielt, etwas mehr Kontur würde besonders ihren Läufen guttun, die meist schon den Steinway verschwommen verlassen, bevor sie vom Saal akustisch weiter vermischt werden. Irgendwie schafft es Buniatishvili, dass ihr Anschlag sogar im Fortissimo oberflächlich bleibt, auf die Dauer ist das so irritierend, wie eine Kopfmassage, die nur streichelt.

Wo früher antisemitisch gehetzt wurde, sind Klischees über Frauen immer noch präsent

Mahler, Mendelssohn und Konsorten wurden in den zeitgenössischen Kritiken mit mehr oder weniger versteckten antisemitischen Klischees, wie ‘Kälte’ und ‘Unfähigkeit zur wahren Tiefe’ angegriffen. Aus den Musikkritiken ist der Antisemitismus mittlerweile fast ganz zu Chatforen und zu Social Media umgezogen, Künstlerinnen werden aber nach wie vor mit denselben Klischees diskreditiert, sie seien zu emotional, nicht kraftvoll genug und würden nur durch ihr Aussehen Karriere machen. Nun setzt Buniatishvili aber tatsächlich auf einen besonders emotionalen Stil und weigert sich, ihren Flügel auch nur ein bisschen kräftiger zu behandeln. Ob aus Protest oder aus stilistischen Gründen, das weiß nur sie.

Mit dem Programm zeigte Buniatishvili den Einfluss Schuberts auf die (spät-)romantische Klaviermusik, Chopins Sonate Op. 35 und Liszts Mephisto-Walzer wurden von einer Pause mit Mozarts Sonata facile getrennt. Intendant Matthias Naske brauchte keine Pause, um zwischendurch in die zweite Hälfte eines phänomenal besetzten Kammermusikabends in den Mozart-Saal zu wechseln, von dem der unter glücklicheren Sternen geborene Kollege Laurson berichten durfte. Er verpasste einen weichgespülten Mozart, der genauso wienerisch war, wie ein Edelcroissant aus Paris, einen bravourösen Mephisto, zwei Zugaben und Standing Ovations.