Bohema Magazin Wien

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Ein Phänomen namens Trifonov

Ein Superstar, sein Superdrink und wie er mit den Legenden der Russischen Klavierschule verbunden ist - Daniil Trifonovs Rezital im Konzerthaus.

(c) Dario Acosta

„Ich glaube, er mag keine Menschen“, bemerkte jemand im Publikum neben mir in der Pause von Daniil Trifonovs Rezital im Konzerthaus. So drastisch würde ich das nicht formulieren, ich kann aber durchaus nachvollziehen, was der Monsieur neben mir meinte. Trifonov hat tatsächlich etwas Übermenschliches. Er ist ein kleiner, schlanker Mann mit beneidenswertem Bart (meiner ist nicht halb so dicht) und circa schulterlangen, dünnen Haaren, die ihm beim Spielen oft das Gesicht verdecken. Wenn er am Klavier sitzt, vergisst man aber, wie schüchtern und fast schlabberig er gerade eben auf die Bühne lief, beim Spielen ist er ein Halbgott, Mindestens.

Eine der trifonovschen Bedingungen vor Konzerten ist, dass im Künstlerzimmer zwei Flaschen Powerade stehen (recht ekliger, blauer Sport-Energydrink). Wie viel er davon tatsächlich trinkt, weiß ich nicht, vielleicht ist er mittlerweile auch auf Entzug. Das würde ich allerdings bezweifeln: Er spielte nämlich mit einer Intensität, als sei er auf irgendeiner Leistungsdroge, oder eben Powerade. Er wand sich, zuckte wild und atmete wie eine Lokomotive. Das mag nach Showman klingen, doch bei Trifonov hat man das Gefühl, all diese Energie würde er direkt in Musik Umsetzen.

Trifonov ist ein großartiger Pianist, weil er Trifonov ist. Es ist trotzdem erwähnenswert, in welcher prominenten Reihe er steht, wenn es um seine Ausbildung geht. Zunächst lernte er bei Tatjana Selikman am berühmten Gnessin-Institut in Moskau. Selikman hat zwar empörender Weise nur einen russischen Eintrag auf Wikipedia, ist aber eine sehr bekannte Professorin, die schon Pianisten wie Alexei Volodin und Konstantin Lifschitz ausbildete. Sie selbst lernte bei Theodor Gutman, der wiederum beim legendären Heinrich Neuhaus studierte. „Najgauz“, wie er auf Russisch ausgesprochen wird, war in der Mitte des 20. Jahrhunderts das Epizentrum der russischen Klavierschule, obwohl er selbst von polnischer, ukrainischer, deutscher und jüdisch-österreichischer Herkunft war. Dutzende berühmte Pianist*innen lernten bei ihm, darunter auch astronomische Größen, wie Sviatoslav Richter und Emil Gilels (diese Doku über Neuhaus ist wirklich empfehlenswert!

Auch der zweite Lehrer Trifonovs lässt sich bis zu Neuhaus zurückführen: Sergei Babayan studierte bei Lew Naumov, dem langjährigen Assistenten und späteren Nachfolger von Neuhaus. Und am Ende dieser Liste finden wir also Trifonov, der mit gerade einmal 30 schon seit Jahren zu den bestbezahlten und höchstgeschätzten Pianist*innen der Welt gehört. Heinrich Neuhaus war übrigens verwandt mit dem ersten Komponisten des Abends: Statt der angekündigten ersten Sonate von Weber spielte Trifonov gleich die Dritte von Karol Szymanowski, mit der oben beschriebenen Intensität. Schade, sein an die Verrücktheit grenzendes Commitment kombiniert mit seiner unfassbaren Technik hätte ich gerne im berühmten letzten Satz der Weber-Sonate erlebt. In Debussys Suite, Pour le piano, zeigte er seine weichere Seite, die mittlere Sarabande schwebte wie feiner Rauch durch den Großen Saal und wir atmeten sie (endlich!) ohne Maske tief auf Lunge ein.

Vor der Pause kam dann der Ersatz für Weber: die fünf Sarkasmen Op. 17 von Prokofjew. Diese kleinen Stücke feiern die Extremen überschwänglich, wie das Trifonov tut und lagen ihm entsprechend am besten. Die abschließende Nummer, Precipitosissimo (sehr überstürzt) gelang ihm für meinen Geschmack sogar zu gut: Der Schluss hatte eine horrorfilmartige Spannung, die kaum auszuhalten war.

Nach der Pause dann Brahms‘ fünfsätzige dritte Klaviersonate. Mein Highlight: der liebliche zweite Satz, zu dem Brahms ein Gedicht von C.O Sternau beifügte: „Der Abend dämmert, das Mondlicht scheint / da sind zwei Herzen in Liebe vereint / und halten sich selig umfangen“. Ob Brahms dabei an Clara dachte? Trifonov interpretierte den Satz gebetsartig, mit einem besonders feinen Touch. Den packte er dann auch bei seinen Zugaben aus: Zuerst war es eine Choralbearbeitung von Bach, dann etwas Scarlattiartiges, das er regentropfenfein spielte. Zum Schluss hatte er wohl keine Lust, Sokolov einzuholen, er wiegte uns nämlich mit Bachs Kantate BWV 147 sanft in den Schlaf und gab einen Vorgeschmack auf sein nächstes Konzert im Konzerthaus: Am 1. April spielt er ein reines Bachprogramm, das muss man sich förmlich anhören!