Freud hätte das geliebt
Dialogues des Carmélites ist eine Oper über Nonnen, psychische Störungen und die hässliche Seite der Französischen Revolution. Und (trotz und wegen alldem) ein Must See.
Ein alternder Herr schreibt eine Oper über eine Gruppe von jungen Nonnen: Francis Poulencs Dialogue des Carmélites hätte durchaus eine Kitschparade, oder schlimmer noch, ein männliches Aufgeilen an holden, jungen Schwestern sein können. Aber nein, der queer-katholische Komponist schuf 1957 ein bewegendes Meisterwerk, das zurecht zu den wenigen Standardwerken des späteren 20. Jahrhunderts gehört. Nach 60 Jahren ist das Stück nun endlich wieder an der Wiener Staatsoper zu sehen.
Angenehme Überforderung durch Gleichzeitigkeit
Monika Bieglers Bühnenbild ist ein Hauptdarsteller der Inszenierung: Es ist ein großes, luftiges Holzkonstrukt, das leicht erhöht, wie eine Insel auf der Drehbühne thront und von jeder Seite stets Einblicke in die ineinander übergehenden, nur angedeuteten Räume unter einer Glocke (ein bisschen Klostervibe musste sein) bietet. Mit diesem transparenten Konstrukt spielt Regisseurin Magdalena Fuchsberger virtuos, meist passierte an mehreren Orten gleichzeitig etwas. Ein weiterer ständiger Augenfänger war das große Achteck auf dem Hintergund der Bühne, eine Art abstrakte Fensterrose, in der ständig wechselnde religiöse Bilder, teils à la, teils von Goya gezeigt wurden. Das funktionierte als Moodboard perfekt, auch wenn die Computeranimationen teils zu viel des Guten waren.
Für noch mehr Gleichzeitigkeit auf der Bühne sorgte eine ständig präsente Gruppe von schwarzgekleideten Faschingsmonstern mit Tiergesichtern und eine androgyne, weißgekleidete Gestalt mit Schwert und Flügeln auf dem Kopf. Ich bin so frei, sie als Akteur*innen im Seelenleben der Protagonistin Blanche zu interpretieren. Eigentlich flüchtet sie vor ihnen, also ihren inneren Ängsten, ins Kloster der Karmelitinnen, doch auch dort lauern sie ihr fortwährend auf.
Eine Oper über psychische Störungen
Dialogues des Carmélites ist somit eine Oper über psychische Störungen und erinnert an den langen, beschwerlichen Weg, bis diese als ernstzunehmende Krankheit erkannt wurden, statt sie als (Frauen-)Hysterie abzustempeln. Der Vater von Blanche steht für Generationen für ignoranten Männern, wenn er meint, seine Tochter bräuchte nur einen Mann und schon würde es ihr gut gehen.
Natürlich ist diese Oper auch eine über die Französischen Revolution. Sie basiert immerhin auf einer reellen Begebenheit, als zu Zeiten des Jakobinerterrors 1794 17 Karmelitinnen hingerichtet wurden. Poulenc und Fuchsberger zeigen das hässliche Gesicht der Revolution, es sind barbarische Schergen, die das Kloster stürmen und zerstören. Gut möglich, dass es dem tiefreligiösen Poulenc eine Genugtuung war, den antiklerikalen Revolutionsterror so drastisch darzustellen. Ob es diese brutale Seite der Revolution ist, auf die sich der heutige, doch ziemlich reaktionäre französischen Polizeistaat mit der ständigen offiziellen Verwendung der Parole ‚Liberté –Égalité – Fraternité‘ beruft?
Der Schluss? Kitsch
Gestört hat an der insgesamt klugen Regie Magdalena Fuchsbergers nur, dass der Schluss dem Kitsch zum Opfer fiel. Die Karmelitinnen erschienen zu ihrer Hinrichtung mit orthodox anmutendem goldenem Kopfschmuck, als seien sie schon heilig, unter ihnen räkelten sich leidende Körper im dunklen Bühnennebel, wie in der Hölle. Doch oben war Licht, das leuchtende Paradies, die Erlösung. In dieser symbolischen Hinrichtung geht Fuchsberger auch darüber hinweg, dass Blanche, die aus der Masse zuschaut, eigentlich aus ihrem eigenen Willen zu ihren Schwestern und damit in den Tod geht. Hier scheint sie aber nur zufällig angeschossen werden zu sein. Dabei wäre ihr bewusster Selbstmord eine konsequente Fortführung der Handlung. Nicht umsonst baute Poulenc eine Szene ein, in der die heitere Schwester Constance vor Blanche aus einer spontanen Fügung den Freitod vorschlägt. Die betroffene und dann fast aggressive Reaktion Blanches zeigte, dass sie das Thema nicht kaltließ.
Für diese leichte Enttäuschung entschädigte die bewegende Musik und ihrer Ausführung: es wurden eine Reihe von tollen Stimmen gecastet. Nicole Car als Blanche allen voran, aber auch Bernard Richter als ihr Bruder und Maria Nazarov als Schwester Constance. Und mit Bertrand de Billy steuerte ein präziser Kenner des Stücks das Orchester zu etlichen Höhepunkten. Schluss hin oder her, insgesamt hat die Staatsoper mit dieser Inszenierung doch noch gezeigt, dass starkes Musiktheater in dieser Wiener Saison nicht nur im Museumsquartier oder am Gürtel zu finden ist.