Bohema Magazin Wien

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Gruber geht und nimmt uns mit

Ein Stück zwischen Wien, Berlin und Zürich. Gruber geht von Autorin Doris Knecht schafft es nach dem Erfolg von Buch und Film nun als Uraufführung auf die Bühne. Über Adaptionen, Theatermagie, Schicksal und natürlich: Sex, Drugs & Techno.

(c) Markus Achatz, Theater KuKuKK und Werk X-Petersplatz

Spulen wir zurück zum Sommer 2020. Mir fällt das Buch Gruber geht von Doris Knecht in die Hände, ich verschlinge es. Die Filmadaption von Marie Kreutzer (mit Wiener Schönling Manuel Rubey in der Hauptrolle) leihe ich mir aus der Stadtbücherei und schiebe die DVD in meinen Laptop. Dann sehe ich irgendwann, dass das Werk X Petersplatz in Kooperation mit dem Theater KuKuKK eine Uraufführung dieses Stoffes plant. Seit dem sind zwei Jahre vergangen - ach, wie habe ich daraufhin auf diese Produktionen gewartet. Adaptionen verschiedener Kunstformen haben mich schon immer interessiert. Kleiner side fact: als ich mich damals beim Bohema Team vorgestellt habe, war dieses Interesse ein Punkt, den ich in meine Nachricht an Dávid schrieb.

Wer ist Gruber und wo geht er hin?

Die Handlung ist schnell erzählt: Gruber (Philipp Stix) ist Ende dreißig, fährt Porsche und trägt Anzug. Wenn er nicht arbeitet, befindet er sich in einem Rausch aus Koks und Sex, Alkohol und Techno. In diesem Rausch befindet sich aber auch immer der Schmerz in seinem Bauch, der regelmäßig Krämpfe auslöst. Weitere Partynächte und Schlägerrein später, sitzt er im Greulich in Zürich neben Sarah, (Sabine Kristof-Kranzelbinder) 37 Jahre, DJ aus Berlin. Was wie eine Zufallsbekanntschaft daherkommt, führt ganz gruber-untypisch in echtes Interesse, echte Anziehung, echte Zuneigung. Und ins Bett (doch wieder gruber-typisch). Wer jetzt denkt, es geht wieder nur um eine öde, realitätsferne Liebesbeziehung, liegt falsch.

(c) Markus Achatz, Theater KuKuKK und Werk X-Petersplatz

Sarah entdeckt einen Brief vom Krankenhaus auf dem Nachttisch, den Gruber wochenlang ungeöffnet mit sich trägt. Auf sein Ansuchen öffnet Sarah den Brief und wird unwiderruflich zum Todesengel. Gruber hat das Hodgkin-Lymphom und begibt sich daraufhin in Behandlung, die einiges von ihm abverlangt. Nicht nur Gruber muss sich mit der Schicksalshaftigkeit des Lebens herumschlagen, Sarah bleibt auch nicht verschont. Weil sie beruflich immer wieder nach Wien muss, sehen sich die Zwei weiterhin. Sie wird schwanger, schafft es bis vor die Tür der Abtreibungsklinik, entscheidet sich im letzten Moment doch für Gruber Junior.

(c) Arnold Pöschl, Theater KuKuKK und Werk X-Petersplatz

Das Schicksal ist ein mieser Verräter

Ob und wie Sarah und Gruber seine Krankheit und ihre Schwangerschaft, das Verhältnis beider zueinander und die Veränderungen in Charakter und Lebenseinstellung mit sich selbst und miteinander ausmachen können, ist im weiteren Verlauf der tollen, spannenden und mitreißenden Inszenierung in der Regie von Sarah Rebecca Kühl zu beobachten.

(c) Arnold Pöschl, Theater KuKuKK und Werk X-Petersplatz

Die Bühnenadaption schafft es in Textfassung und Inszenierung den Besonderheiten der literarischen Vorlage, aber auch der Filmumsetzung treu zubleiben. Das schnelle, dichte Erzähltempo, der Schreibstil Knechts und der Perspektivenwechsel, finden sich wieder in der Fülle des Texts. Neben Dialogen, erzählen Spieler und Spielerin das Geschehen und ihre Gedankenwelt frontal als Monolog oder stemmen chorisch diesen bebenden, poetischen Originaltext samt aller anderen Figuren. Die Filmästhetik Kreutzers findet sich in Besetzung, Bühnenbild (Sascha Mikel) und in einzelnen Inszenierungsentscheidungen wieder. Die Live-Musik von David Gratzer untermalt die Szenen atmosphärisch so genau, dass jeder Ton exakt die Art von Gefühlsfunken trifft, der im Spiel versprüht wird.

Die schönste Nebensache der Welt

Der Sex und die Zuneigung zwischen Sarah und Gruber kommen ganz ohne gesprochenen Text aus. Was inhaltlich passiert, wird getreu der literarischen Vorlage auf die Rückwand wie Buchzeilen in Lesegeschwindigkeit projiziert. Das Publikum kann lesen was sich zwischen den Beiden im Bett und im Herzen anbahnt, während Darsteller und Darstellerin sich näher kommen, die Szene aber ohne ein einziges gesprochenes Wort auskommt. Das macht den Moment authentisch und die Situation glaubwürdig, weil echter Sex im echten Leben mit der richtigen Person auch schon beim ersten Mal ohne Worte auskommen kann. Die Chemie zwischen Sarah und Gruber lügt nicht.

(c) Arnold Pöschl, Theater KuKuKK und Werk X-Petersplatz

Das Theater und seine Schokoladenseite

Die Inszenierung schafft es immer wieder durch Regieeinfälle und Spielvariationen neue Assoziationsräume zu öffnen. Kleinigkeiten wie Kostümdetails, die an Ultra-Schall Scans erinnern oder aufgeschlitzte Bauschuttsäcke, die sich wie Sand unter den Füßen anfühlen und das vorsichtige Gefühl von Hoffnung vermitteln, schaffen es, die Welt die hier erschaffen wird, weiter zudenken. Inszenierungs - und Schauspielkunst zeigen sich von ihrer besten Seite. Eine bereichernde Erfahrung ist es, sehen zu dürfen, wie ein - und derselbe Stoff hier auf der Bühne des Werk X-Petersplatz , aber auch in Form von verschiedenen Kunstformen, funktionieren kann. Und zu Tränen rührt, wenn man meine Begleitung des Abends fragt.