Haben die Festspiele einen Burnout?
Die Salzburger Festspiele seien mutlos, alt und langweilig, tönt es überall. Ob da etwas dran ist und wie Martin Kušejs erste Operninszenierung nach seinem Rauswurf aus dem Burgtheater ausfiel.
Salzburg trete auf der Stelle, Festspielträume gäbe es heutzutage in Aix, schreibt Kritikerkoryphäe Manuel Brug. Wenig überraschend wettert auch Axel Brüggemann eifrig gegen die Festspiele, er würde lieber seinen Buddy, Lokalmatador Rudi Buchbinder bei den Festspielen sehen, als Igor Levit. Überhaupt sei Salzburg eine verkrustete Altherrenangelegenheit, der 70-jährige Bernd Loebe müsse also Hinterhäuser ersetzen…
Kušejs Figaro enttäuscht
Spaß bei Seite, auch in meinem Umfeld habe ich letztens oft gehört, Salzburg sei langweilig in dieser Saison. Und ja, Aix war tatsächlich sehr tasty. Steht es aber wirklich so schlecht um die renommiertesten Festspiele der Welt? Nachdem ich die neue Figaro-Produktion von Martin Kušej gesehen habe, muss ich erstmal tatsächlich tief seufzen. Der geschasste Burgtheater-Chef lieferte allen Gegner*innen von mutigen, zeitgenössischen Inszenierungen die allerbesten Argumente, warum man so etwas lieber lassen soll. Das war ideenloses, zahmes Klischee-Regietheater.
Der einzige Einfall Kušej war, die Akteur*innen als eine Art Gangstergesellschaft auftreten zu lassen. Das kann man gerne mal machen, aber nur, wenn man damit etwas zu sagen hat. Das war hier aber leider nicht der Fall. Die Aktualisierung wirkte aufgesetzt und halbherzig, zum Schluss standen die Protagonist*innen einfach nur herum, als warte Kušej auch nur noch darauf, dass der Vorhang endlich fallen würde.
Eine Tortur war der Abend trotzdem nicht, in der Personenführung, in kleinen Details zeigte Kušej, dass er ein Fachmann ist und auch zu tollen Operninszenierungen, wie seine Tosca im Theater an der Wien, fähig ist. Und das Bühnenbild war eine (sicher sehr teure) Augenweide: laute verschiebbare, edle Räume, die es verdient hätten, mit einer geistreichen Inszenierung bespielt zu werden.
Junge Dirigent*innen zum Frühstück
Wirklich hörenswert wurde dieser Figaro durch die Besetzung: Im Graben hatte Raphaël Pichon, einer der aufregendsten jungen Dirigent*innen sein Philharmoniker-Debüt. Die Philharmoniker sind berühmt dafür, gerade in Salzburg junge Taktstöcke zum Frühstück zu verspeisen. Pichon schlug sich aber tapfer, forderte spritzige Tempi, Transparenz, Spaß und bekam das meist auch. Ich führte mit ihm kurz vor der Aufführung ein Interview (kommt bald!), mein bisheriger Eindruck, dass er einer der kreativsten Erneuer*innen der Szene ist, wurde dabei bestärkt.
Dass die Regisseur*innenwahl ein Gamble ist, bewies Krzysztof Warlikowskis Macbeth, die scheinbar wirklich ein Geniestreich sein soll. Klar, es erscheint auf den ersten Blick langweilig, auf Altmeister wie ihn, Marthaler (er inszeniert Falstaff) oder Kušej zu setzen. Am Ende des Tages stehen die Chancen aber gut, dass dabei etwas Großartiges herausspringt. Und Hinterhäuser versteht es gut, altbewährte Namen mit frischem Blut zu kombinieren, wie beim Figaro mit Pichon. Bohuslav Martinůs The Greek Passion ist an sich schon ein mutiges, neues Werk. Die Vorfreude wird aber noch dadurch verdoppelt, dass am Pult mit Maxime Pascal ein weiterer aufregender, junger Franzose steht. Er hat schon in Wien mit Lulu gezeigt, dass der Hype um ihn nicht künstlich erzeugt ist, mal schauen, ob er auch die Philharmoniker zähmen kann.
Es steht also auf den zweiten Blick also gar nicht schlecht um die Salzburger Festspiele. Die traditionell innovative Ouvertüre Spirituelle soll wieder einmal ein voller Erfolg gewesen sein, auch im Konzertprogramm gibt es einige Highlights, wie den Ligeti-Schwerpunkt. Der Figaro ging szenisch nicht auf und der Wunsch nach neuen Namen im Regiestuhl ist nachvollziehbar. Die Highlights scheinen aber zu überwiegen. Eine wirkliche Bilanz kann man aber erst nach dem Sommer ziehen. Ein Trip an die Salzach lohnt sich aber definitiv, noch gibt es Tickets auf Ticketgretchen. Aix ist viel zu weit weg und auch noch vorbei…