Bohema Magazin Wien

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Happy Birthday, Sergej!

Sergej Rachmaninoff feiert diesen April seinen 150er. Was man schon immer über den großen Melodiker und Klaviervirtuosen wissen wollte plus Konzerttipps.

Happy birthday /// collage - Alexandra Timofeeva

Anfang April jährte sich der Geburtstag des „letzten Romantikers“ zum 150. Mal, die Fangemeinde darf toben - Neuzugänge willkommen! Es ist schon bemerkenswert: Angesichts dessen, was Rachmaninoff geschrieben hat, erscheint seine Popularität fast überdimensioniert und basiert im Grunde auf einer Handvoll Werke. Es ist ja nicht so, dass er es nicht verdient hätte, seine Musik ist herzbewegend großartig. Und das nicht erst seit Eric Carmen und Celine Dion ihm mit All by Myself sogar ein popkulturelles Denkmal gesetzt haben, das heute eher Meme-Charakter hat. Ja, Spoileralarm: der Klassiker für einsame Stunden basiert unüberhörbar auf dem Adagio aus Rachmaninoffs 2. Klavierkonzert.

Einer der Gründe für Rachmaninoffs übergroßen Ruf ist ganz simpel: er schuf einige der wundervollsten und unvergesslichsten Melodien der Musikgeschichte. Man denke nur an die 18. Variation der Paganini-Rhapsodie, an das Finale des 2. Klavierkonzertes, die Vokalise, den Beginn des Adagios aus der 2. Symphonie, und, und, und. Wenn einem so etwas gelingt, spielt es keine Rolle, wie vergleichsweise wenig man komponiert oder wie unbeliebt doch die meisten der anderen Werke sind. Das bringt natürlich jene auf die Palme, die meinen, dass andere Komponist*innen noch viel berühmter sein sollten, weil sie etwa formal so genial oder harmonisch so raffiniert seien. Das mag schon alles stimmen, nur fehlen ihnen eben die Rachmaninoff-Melodien und wer kann diesen schon widerstehen?

Rachmaninoff had big hands

Rachmaninoffs Leben war vielschichtig. Es war das Leben eines jungen aufstrebenden Klaviervirtuosen, der sich als Komponist profilieren wollte; eines melancholischen Mannes, den innere Selbstzweifel in schwere Depressionen stürzten; und eines entwurzelten Weltreisenden zwischen Moskau, Luzern und New York. Einzige Konstante blieb die Musik, der er sein Leben als Pianist, Dirigent und Komponist verschrieben hatte. Wer sich mit seiner Biografie näher auseinandersetzen möchte, dem/der sei die prägnante Darstellung von Andreas Wehrmeyer empfohlen. An dieser Stelle nur einige spannende Funfacts:

Schon gewusst, dass Rachmaninoff…

…ein Riese war? Circa 1,98 m groß und für einen Pianisten noch viel wichtiger erlaubten ihm seine gigantischen Hände, eine ganze Duodezime, also eine Distanz von 12 weißen Tasten am Klavier zu greifen. Das hat sich natürlich auf seinen Klaviersatz ausgewirkt und so verzweifeln bis heute so manche Klavierschüler*innen an dessen Vollgriffigkeit. Die Klassik-Comedians Igudesman & Joo haben sich deswegen eine alternative Spielart für das vom Komponisten aufgrund seiner enormen Popularität verhasste cis-Moll-Präludium einfallen lassen. Selig sind, die da kleine Hände haben, denn sie sollen getröstet werden!

…hypnotherapiert wurde? Infolge des kolossalen Misserfolgs seiner 1. Symphonie - César Cui unterstellte boshaft die Vertonung der ägyptischen Plagen, der Dirigent der Uraufführung war angeblich betrunken - durchlebte Rachmaninoff seine größte Schaffenskrise. Der ohnehin zu Melancholie und Selbstzweifeln neigende Mann, der sich auch der Kritik Leo Tolstois aussetzen musste („Braucht man solche Musik?“), begab sich schließlich auf Drängen seiner Freunde in ärztliche Behandlung. Durch Suggestivtherapie gelang es dem Neurologen Nikolaj Dahl den Komponisten wieder von sich selbst und dem Wert seiner Arbeit zu überzeugen. Ergebnis: das 2. Klavierkonzert, dem Doktor in Dankbarkeit gewidmet.

…von Glockenklängen und dem Dies Irae-Motiv besessen war? Seine Faszination am Klang von Glocken ist wohl auf die jugendlichen Besuche von Kirchen und Klöstern mit seiner Großmutter zurückzuführen. Der naturhaft-mächtige, auf seine Heimat bezogene Klangreiz durchzieht sein gesamtes Werk und wird in seiner möglicherweise monumentalsten Komposition Колокола (Die Glocken) nach einem Gedicht von Edgar Allan Poe sogar programmatisch. Was bei Rachmaninoff auch nie fehlen darf, ist das Dies-Irae-Motiv. Aus dem gregorianischen Choral stammend steht es symbolisch für das Jüngste Gericht bzw. den Tod. Schon Hector Berlioz verarbeitete es in seiner Symphonie fantastique und auch die Filmmusiken zu König der Löwen oder Star Wars greifen die aussagekräftige Tonfolge auf. Wer bei Rachmaninoff auf Spurensuche gehen möchte, sollte insbesondere in Die Toteninsel, die Paganini-Rhapsodie oder in den 3. Satz der Symphonischen Tänze reinhören.

…ein begeisterte Jazzfan war und im Weißen Haus aufspielte? Es ist überliefert, dass Rachmaninoff ein eifriger Jazz-Improvisateur war, wenn auch aus Imagegründen nur im Privaten. Dass er der amerikanischen Musik überhaupt viel abgewinnen konnte, zeigt die Übernahme der Schirmherrschaft für die legendäre New Yorker Uraufführung der Rhapsody in Blue. Wie sein Freund und kongenialer Jahrhundertpianist Vladimir Horowitz wurde Rachmaninoff auch mehrere Male zum Musizieren ins Weiße Haus eingeladen, erstmals 1924 mit Präsident Coolidge im Publikum.

…seine eigenen Kompositionen einspielte? Einen alten Meister seine eigenen Werke spielen zu hören ist für Klassik-Fans eine ziemliche Seltenheit, im Falle Rachmaninoffs haben wir das Glück, dass er unter anderem alle vier Klavierkonzerte und die Paganini-Rhapsodie mit dem Philadelphia Orchestra aufgenommen hat. Auch wenn er selbst gewisse Hemmungen gegenüber der „Klangkonservierung“ hatte, so ist es gänsehauterregend, heute nur durch wenige Klicks ganz selbstverständlich einen der größten Pianisten/Komponisten aller Zeiten zu Ohren bekommen zu können.

Rachmaninoff in Wien

Rachmaninoff-Fans und solche, die es werden wollen, aufgepasst! Im Mai gibt es das ein oder andere Konzert, das man nicht verpassen sollte: Am 3. Mai darf man sich auf das gemeinsame Klavierfest der Starpianisten Daniil Trifonov und Sergei Babayan im Großen Saal des Wiener Konzerthauses freuen; am Programm die beiden kontrastreichen Suiten für zwei Klaviere und die Symphonischen Tänze (in der Fassung für zwei Klaviere!). Am Vortag schon wird dem Geburtstagskind im Mozart-Saal durch Igudesman & Joo gehuldigt, die ihr neues Programm „And now Rachmaninoff“ zum Besten geben.

Liebhaber*innen des 3. Klavierkonzertes sollten sich den 9. Mai im Kalender anstreichen. In einem der seltenen Gastspiele der Filarmonica della Scala unter der Leitung von Riccardo Chailly stellt sich Solist Mao Fujita im Konzerthaus dem virtuosen Gipfel der romantischen Klaviermusik. Ersatzprogramm für jene, die keine Karten ergattern: der kammermusikalische Abend mit Zoltan Despond und Vesselin Stanev im Brahms-Saal des Musikvereins. Unter anderem am Programm die unmittelbar nach dem 2. Klavierkonzert entstandene Cellosonate, die neben dem Trio élégiaque op. 9 eines der großen Kammermusikwerke Rachmaninoffs ist.

Wie immer 12€-Restkarten für U27 im Konzerthaus, 10€-Restkarten für Club20-Mitglieder im Musikverein bzw reguläre Karten ab 5€.

„Die Musik muss aus dem Herzen kommen und zu Herzen gehen.“

Rachmaninoffs Musik war und ist ganz in der Tradition Tschaikowskys authentische Bekenntnismusik, die durch ihre Melodik unmittelbar und ehrlich berührt. In deren Mittelpunkt steht das menschliche Gefühl in all seiner ungeschützten Echtheit. Eben solche Werke wie das so populäre 2. Klavierkonzert, das symbolisch für die Bewältigung seiner größten Krise steht, lassen uns erahnen, inwieweit er seine eigenen Gefühle in seiner Musik verarbeitete. Unangepasst an musikästhetische Trends vor allem des 20. Jahrhunderts hat ihr das oft den Vorwurf der Antiquiertheit eingebracht. Wer aber unschuldige Klangpracht mit billigem Sentimentalismus verwechselt, der verkennt, worum es Rachmaninoff geht. Er verstellt sich nicht, uns daran zu erinnern, was es heißt, Mensch zu sein und zu empfinden. In Zeiten wie diesen eine Erinnerung, die wertvoller nicht sein könnte.