“I HATE HOPE”: Kenji Araki im Interview
Auf seinem neuen Album spielt Musiker und Produzent Kenji Araki kein Hoffnungsschach mehr, dafür aber öfters E-Gitarre.
Musiker und Produzent Kenji Araki bewegt sich mit seinem zweiten Album Hope Chess weg von Erwartungshaltungen und hin zur Ehrlichkeit. Ein musikalischer Schachzug, der auf intuitives Selbstvertrauen und inspirierenden Freundschaften beruht.
Bohema: Spielst du gerne Schach?
Kenji Araki: Ja, sehr, aber ich bin leider nicht so gut darin. Ich glaube, das ist der Grund, wieso ich es mag. Das ist so ähnlich wie Musik. Es ist wie eine Sisyphus-Aufgabe. Egal wie gut du wirst, du fühlst dich immer schlecht.
B: Was gefällt dir so sehr am Spiel?
Es ist die Definition eines perfekten Spiels, weil jeder Ausgang einfach kalkuliert werden kann. Und bei Musik ist es das komplette Gegenteil.
KA: Im Schach muss ich einfach in diesen Rahmenbedingungen kreativ sein, und das mag ich, das ist ein schöner Ausgleich. Das andere ist diese constant challenge. Du fühlst dich immer schlecht und willst immer besser werden. Du wirst auch immer besser, aber fühlst dich eigentlich immer gleich schlecht. Dadurch wird es nicht langweilig.
B: Dein neues Album heißt Hope Chess und bezieht sich auf eine spezifische Situation im Schach.
Wie bist du auf den Titel gekommen?
KA: In Lehrbüchern oder Tutorials fällt dieser Begriff immer wieder. Deswegen habe ich oft gehört, wenn ich die ganze Zeit nur auf x hoffe, dann sehe ich y nicht. Das habe ich auf eine Art Mantra umgemünzt – für mich selbst, meinen Alltag und in meinem kreativen Schaffen. Wenn ich auf etwas spezifisches hoffe, dann habe ich so viele schöne Optionen, die ich einfach verpasse. Das ist beim Schach genau dasselbe. Du findest eine bestimmte Taktik cool und versuchst nur diese eine Idee umzusetzen, und verpasst dabei 50 bessere.
B: Hoffnung ist also nicht positiv konnotiert auf dem Album...
KA: I hate hope. Ich sage das auch aus einer zynischen Position. Zu dem Zeitpunkt, wo ich das geschrieben habe, war es sicher ehrlich, aber das heißt nicht, dass ich jeden Tag durch den Alltag gehe und denke, Hoffnung ist der Teufel. Es gibt Momente, an denen ich mir eine gesündere Beziehung zur Hoffnung wünsche. Diese Balance finden, zwischen Hoffnung, die normalerweise vielleicht sogar etwas Positives ist, und Erwartungen, die das wiederum sehr selten sind. Wenn man sich etwas erwartet, wird man nur enttäuscht.
Grenzenlos
In Zeiten, in denen die Grenzen zwischen Musikrichtungen immer mehr verschwinden und verschiedenste Stilelemente frei miteinander kombiniert werden, wird es immer schwieriger Künstler*innen mittels Genres zu systematisieren. Kenji Araki bildet hier keine Ausnahme, auch wenn seine Musik oft als „dekonstruierte Club-Musik“ zusammengefasst wird.
B: Hältst du den Begriff Genre inzwischen für überflüssig?
KA: Gar nicht. Ich finde es menschlich, wenn man Sachen betiteln will, und in dem Fall hat es organisatorische Vorteile. Ich glaube gerade DJs wollen ihr Leben leichter machen, indem sie fünf Tags auswählen und dann sagen können, „ja, genau so klingt mein Set.“ Aber Consumer? Ich weiß nicht. Ich kenne sehr wenige Leute in meinem Alter, die ein Genre hören. Ich glaube, das gibt es in dem Sinne nicht mehr.
Es sind eher Social Circles oder Milieus.
I guess, was das Publikum vereint, ist weniger das Kickdrum Pattern, sondern zu wissen, dass die performenden Leute dieselben Intentionen wie du haben, dieselbe politische Einstellung und ähnliche Aspirationen.
B: Was waren deine Intentionen bei Hope Chess?
KA: Ich wollte so viel Ehrlichkeit wie möglich reinbringen. Darum hat es im Vergleich zu meinem ersten Album viel mehr empty space. Das Publikum kann in diese Pausen reininterpretieren. Gleichzeitig lässt es viel mehr Raum für Narrativ, Emotion und Empathie. Das Album hat auch viel mehr Interludes, die absichtlich super rough gehalten sind. Es sind meistens Handy Recordings von mir, die ich zu irgendeinem beliebigen Zeitpunkt aufgenommen habe, ohne die Idee sie produktiv zu verwerten. Da habe ich nichts versucht, was sie so schön ehrlich macht. Viel intimer kann ich mit Audio nicht werden.
B: Inwieweit ist es ein Club-Album?
KA: Alle Sounds kommen irgendwo aus dem Club. Also nicht alle, es gibt auch viel Gitarren. Aber wenn man fünf Leute auf der Straße fragen würde, was ist das für Musik, dann wäre es elektronische Clubmusik. Ich wollte diese Elemente nehmen und daraus eine autobiografische, Singer-Songwriter-Collage machen, die wie eine Polaroid-Wand wirkt. Ich weiß genau, wo ich in meinem Leben war, als ich Song xy geschrieben habe. Dadurch ist es für mich sehr direkt an Erinnerungen gebunden. Das ist für die Hörer*innen nicht so, aber die werden das hoffentlich mit ihren eigenen füllen.
B: Wie schaffst du trotz der verschiedenen Soundelemente auf dem Album Kohärenz?
Ich habe mir über viele Jahre einen Geschmack erarbeitet, dem ich blind vertraue. Ich weiß, ich kann machen, was ich will, und im Endeffekt klingt es trotzdem wie ich.
KA: Es gibt Entscheidungen, die ich gerne treffe und die immer wieder vorkommen. Dann klingt es im Endeffekt eh wieder nach Kenji, egal in welchem Genre ich mich bewege. Ich glaube, das, was Tracks vereint oder eine Artist-Persona vollständig macht, ist heutzutage weniger musikalische Homogenität, sondern eine klare Intention und Richtung. Wenn man nicht versucht, irgendwelchen tropes zu folgen oder sich diesen frei bedient, aber es immer nur macht, weil man selbst Bock darauf hat, dann klingt es immer nach dir.
B: Was zeichnet den Schaffensprozess von Hope Chess aus?
KA: Der wichtigste Aspekt bei dem Album war Konversation. Ich habe noch nie mit so viel Leuten kommuniziert während ich Musik gemacht habe, und dadurch höre ich auch die Einflüsse von meinen Friends in allem.
In bester Gesellschaft
War Leidenzwang noch Kenji Arakis einsames „Solo-Kopf-gegen-Wand-Adventure“, finden sich auf Hope Chess zahlreiche Features wieder – so auch mit Hyperpop-Künstler*in Anthea. Die beiden haben auch eine gemeinsame EP geplant und bereits zwei Singles released.
B: Wie hat sich die Zusammenarbeit mit den Gästen auf deinem neuen Album gestaltet?
KA: Das sind alles meine Freunde und daher ist es überhaupt nicht so Session-mäßig: "Hey, treffen wir uns, und du machst Vocals für meine nächste Single." Das war früher notgedrungenerweise so, aber mit Leuten, mit denen ich eine echte menschliche Beziehung habe, mache ich einfach die beste Musik. Sie kommen zu mir, wir kochen oder machen irgendeinen Blödsinn, und dann hat jemand eine Idee und ich habe ein Mikro dastehen. So ist eigentlich alles entstanden. Mit Anthea war es dasselbe. Wir hatten eine Probe für irgendeinen Gig, haben Musik gehört und hatten dann eine Idee. Ich habe schnell diesen Beat gemacht und Anthea hat instantly etwas darüber recordet. Es war ein One-Take, den ich dann ausproduziert habe.
B: Wie kommt es dazu, dass die E-Gitarre jetzt einen prominenten Platz bekommen hat?
KA: Ich glaube der Hauptgrund ist mein neues Bandprojekt ENNS. Wenn wir gemeinsam Musik machen, starten wir meistens wie eine Garage Rockband mit einem Amp und einem Bass und jammen einfach mal dahin. Das ist ein ganz anderer Zugang zum Musik schreiben. Es fühlt sich weniger konstruiert an, dafür organischer und auch sozialer. Davor hatte ich nur selten den Luxus, dass ich Leute um mich herumhatte, die dasselbe Ziel haben. Aber durch meine Zusammenarbeit mit Yuri, meinem Band-Partner, habe ich einen ganz anderen Blickwinkel auf Musik bekommen. Yuri war immer die Person, die neben mir saß und meinte, "weniger, weniger, gib 90 Prozent weg und dann ist es cool."
Darum weiß ich, ohne dass wir das ENNS-Projekt gestartet hätten, hätte ich keine Ahnung, wie mein Album jetzt klingen würde.
Think global, act local
Aufgewachsen in Vorarlberg, hat Kenji Araki seine Studienzeit in Salzburg verbracht, bevor es schließlich nach Wien ging. Hier ist der junge Künstler ausgezeichnet vernetzt und plädiert für mehr Ortsbezug im Musikbusiness.
B: Wie hat sich dein Umzug nach Wien auf deine Musik ausgewirkt?
KA: In Wien habe ich zum ersten Mal einen Kreis von Leuten gefunden, die genau auf dasselbe stehen wie ich. Und darum erwähne ich immer, dass man sich mehr auf die lokale Szene fokussieren soll. Ich habe so viele talentierte Leute um mich. Die großen internationalen Stars, die brauchen meine Hilfe nicht, sondern die Leute hier, die mit sehr wenig versuchen, irgendwas weiterzubringen. Zum Beispiel mit Eventreihen, die gezwungenermaßen immer in denselben drei Venues stattfinden, weil es nicht mehr gibt. Aber ich tauche trotzdem immer dort auf, weil ich fest daran glaube, dass man im lokalen Circle nochmal ganz andere Connections aufbauen kann. So sind auch die Features auf meinem Album und auch die Musik selbst entstanden. Die Musik hätte als Internet-Collaboration garantiert nicht funktioniert. Man muss mit Leuten in einem Raum sein, denen man wirklich vertraut.
Darum glaube ich, dass es schön ist, wenn man sich gegenseitig lokal unterstützt, lokal was aufbaut und dann exportiert – und nicht andersrum.
Ihr könnt Kenji Arakis neues Album Hope Chess auf Bandcamp, Spotify und Apple Music hören.