Bohema Magazin Wien

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„Ich habe mich bewusst entschieden auf Leute zu scheißen“

Inmitten eines jungen Lebens geprägt von einem Auf und Ab der Gefühle lässt fiio auf seinem Debütalbum in ungewohntem Genre-Gewand aufhorchen.

fiio /// Lana Cerha (c)

Eine neue stilistische Heimat findet fiio auf seinem Debütalbum Wir Werden Nur Was Wir Schon Sind und etabliert sich in der aufregenden Wiener Indie-Szene. Auf einem Album zwischen KI und menschlichen Emotionen besingt er Geschichten eines modernen Wiens. Im Interview erzählt er von seinen Einflüssen während des Albumprozesses, der Zusammenarbeit mit dem Schriftsteller Arad Dabiri und dem Zustandekommen eines Albums in einer Welt voller Playlisten.

Bohema: Welche Genrebezeichnung oder welche Einflüsse würdest du herausheben, wenn du über das neue Album sprichst?

fiio: Primär ist es ein Indierock Album. Es gibt ein paar Singer-Songwriter countryeske Einflüsse und vielleicht ein bisschen Elektronik-Ambient, aber das kommt eher punktuell vor. Und bandmäßig, wahrscheinlich Sounds von The 1975, The Strokes oder Blur.

B: Ich habe gelesen, dass Sofia mit Song 2 von Blur verglichen wurde.

F: War auch sehr daran angelehnt. Mein Produzent Jakob und ich machen das Zeug immer gemeinsam. Das war ein Tag im Studio und wir haben das auch gar nicht aus dem System gekriegt. Wir haben versucht möglichst weit davon weg zu kommen und haben es dann ziemlich abgekupfert, aber damit bin ich okay.

B: Welche Gefühle wolltest du mit dem Album bei Leuten auslösen?

F: Ich habe im Kernprozess des Schreibens nicht an die Leute gedacht, sondern daran, was mich beschäftigt. Das sind Texte über eine Zeitspanne von zwei Jahren. Wir reden über spätpandemische bis postpandemische Zustände auf der Welt und Entwicklungen, sei es online oder auf Social Media. Ich habe ein paar Leuten vor den Kopf gestoßen, weil wir davor noch nicht diese Musik gemacht haben. Das wollten wir in Kauf nehmen zugunsten von nächsten Projekten, die sich stilistisch in diese Richtung entwickeln können. Dadurch war das gesunder Egoismus und alles, was wir jetzt machen, folgt derselben Leitlinie. Ich möchte nicht zwangsläufig Leuten gefallen. Ich habe mich bewusst entschieden auf Leute zu scheißen.

B: Wie fühlt es sich an, dass andere Menschen Songs hören, in denen du deine Gefühle thematisierst?

F: Ich glaube das Schöne an einer Artistkarriere ist, dass man sich immer entscheiden kann, wie viel Prozent die Kunstfigur ist und wie viel man selbst eigentlich reinsteckt. Nicht alles auf dem Album ist textuell hundert Prozent meine Geschichte. Ich schreibe viel in ich-und-du. Das hat A den Grund, weil ich geschlechterspezifische Sprache eher scheiße finde, und B, weil ich das Gefühl habe, dass ich zu dir spreche, und du hörst diese Wörter. Viel in dem Album ist aus Arads Buch (Anm. Drama von Arad Dabiri) und seinen Texten, deswegen hat er auch das Intro und Outro geschrieben. Das war für mich ein Mosaikprozess, aus dem Geschichten entstanden sind, die teilweise wahr sind, teilweise auch frei erfunden. Aber es ist immer ich und du.

B: Heutzutage funktioniert viel mit Playlists und Alben haben immer weniger Bedeutung in ihrer vollständigen Form. Hast du beim Machen des Albums das Gefühl gehabt du musst dich an irgendwelche Erwartungen halten, um Reichweite für die Musik zu beschaffen?

F: Ich hatte wahnsinnige Bedenken, ein so großes Album in einer Zeit herauszubringen, in der Alben nicht das Primäre sind, auf das die Leute abfahren. Unsere Idee war ein facettenreiches Album mit verschiedenen Einflüssen zu machen, um es wie eine Playlist zu gestalten. Das Problem ist, wenn das in einem Albumkontext stattfindet, dann hört man, dass es zerrissen sei. Das sehe ich anders.

Du kannst es durchskippen, shuffeln, es wird eigentlich immer Sinn ergeben.

Die Rezeption des Debüts

Inmitten von journalistischen Versuchen eine Einordnung durch Vergleiche zu schaffen, gesellt sich fiio zu namhaften Künstler*innen unserer und vergangener Zeit und baut nebenbei die Autobiografie von Dolly Alderton in einem Musikvideo ein.

B: Einer deiner Songs wurde mit Maurice Ernst verglichen, was macht das mit dir?

F: Ich kenne Maurice Ernst nicht.

B: Die Musik von Bilderbuch auch nicht?

F: Achso, das ist der Maurice! Schande über mein Haupt, ich weiß nicht wie der Bilderbuch-Frontmann bürgerlich heißt. Prinzipiell ist Bilderbuch eine tolle Band. Freut mich, dass es eine Referenz ist, mit der ich auch leben kann. Wenn es eine Yung Hurn-Reference gewesen wäre, dann hätte ich gesagt: „Naja dann fickt euch halt!“ Gab es auch!

B: Die Yung-Hurn-Reference wollte ich gerade erwähnen.

F: Ich glaube man kann dem als männlicher Wiener Musikschaffender nicht entfliehen. Es gibt zwei Personen, die ein Monopol haben. Das sind Falco und Yung Hurn und da nicht in einen Topf geworfen zu werden ist schwierig, aber ich finde es einfach ungerechtfertigt. Ich kann auch nicht darüber urteilen, wie jemand Fremdwahrnehmung über meine Sachen betreibt. Natürlich finde ich es toll, wenn Leute Referenzen aufweisen, weil ich nicht herausdeuten kann, woher irgendwas kommt. Bin ich ein Riesen-Bilderbuch-Fan und habe ich ihre Texte manchmal als sehr inspirierend empfunden? Absolut! Und in der Sprache sind wir uns auch recht ähnlich.

B: Gibt es einen Zusammenhang zwischen deinem Song Sofia und dem Buch Everything I Know About Love, weil du das im Musikvideo liest bzw. in der Hand hast?

F: Das Dolly Alderton Buch! Das war eine schöne Erzählung von einer Frau in ihren Zwanzigern. Ich habe schon sehr viele Parallelen erkannt. Es war ein Prop im Video, aber ich fand es witzig, weil es im Video darum geht, dass ich eigentlich der Gearschte bin, nichts weiß und alles falsch mache.

Künstliche Intelligenz und die Liebe

Auf lauten Songs geht es immer wieder um das Komplexe in zwischenmenschlichen Beziehungen. So beleuchtet fiio auf seinem Debüt die Fragen des menschlichen Daseins mithilfe einer Rohheit, die zeigt, warum die Gefühle des Menschen die künstliche Intelligenz überwinden.

B: In seinem Buch Drama erzählt Arad Dabiri von einem ziemlich ekligen Wien. Würdest du sagen, dass das im Intro und Outro rauskommt – und bei anderen Songs vielleicht auch?

F: Im Intro und Outro war es eigentlich eine ganz andere Geschichte. Es basiert auf einem Text, den er früher für ein Magazin geschrieben hat: eine recht jugendliche Liebesgeschichte, die in Wien stattfindet. Unsere Idee war, das artifiziell zu verändern. Ich habe mir aus Arads Stil Elemente genommen, weil ich mich in dem Album und meiner eigenen Schreiberei nie in komischen verschnörkelten Metaphern verlieren wollte. Ich will in dieser Rohheit die Leute mit kleinen Nadeln piksen – dort, wo es weh tut. Ich habe ein sehr großes Problem mit Büchern, Songs oder Filmen, die verschnörkelt sind.

Wenn mir ein Gefühl präsentiert wird, dann habe ich die schönste Erfahrung, wenn mir das Gefühl eine Faust ins Gesicht gibt.

B: Wie ist der Titel des Intros 170196B, der aus einem Datum und dem Buchstaben B besteht, zu verstehen? Wie eine B-Version einer Person oder von dir selbst?

F: Das ist mein Geburtstag. Ich liebe diese dystopischen Szenarien wie bei Brave New World oder Die Insel bis hin zu Matrix. Diese Computerstimme weist eigentlich an was passieren soll. Man würde nie sagen „Halt meine Handfläche“, wobei in der Theorie Händehalten das Berühren von Handflächen ist. Arad und ich haben absichtlich Sprache gewählt, die definitiv darauf hindeutet, dass diese Maschine sich unglaublich schwertut und daran scheitert diesen Moment zu beschreiben. Deswegen bricht der Ton gegen Ende vom Intro auseinander und der Mensch (ich) erzählt die Geschichte nochmal.

B: Vom Intro zum Outro. Wie fiel die Entscheidung, es fast zu sprechen, im Vergleich zu einem Album, das immer wieder eher laut ist?

F: Da gingen viele Emotionen rein, viel Euphorie, viel Reißerisches und wir wollten am Ende Ruhe, deswegen ist das Outro verhältnismäßig leise. Die Musik untermalt das auch. Ein Gitarrenriff, das sich langsam aufbaut, aber gar nicht explodiert. Wir hatten eine Version, wo es ziemlich abgegangen ist, haben aber alles gekübelt. Am Ende blieb das übrig, was es von Anfang an sein sollte.

B: Das heißt ihr habt dann auch versucht dem Album einen dramaturgischen Bogen zu geben?

F: Die Idee kam dann spontan. Arad war ständig im Studio, der hat alles mitbeobachtet, mitgelebt, mitgeweint, mitgefreut. Da war es für mich logisch Aspekte zu benutzen. Witzigerweise war es nur der Rahmen, den wir uns überlegt haben. Wir haben gedacht, wir erzählen beim Intro und Outro eine Geschichte und auf einmal ist uns aufgefallen, das passt auch zum Inhalt.

Wer sich live von fiios Debütalbum Wir Werden Nur Was Wir Schon Sind überzeugen möchte, besucht am 27.01.2024 das FM4 Geburtstagsfest in der Ottakringer Brauerei oder wartet noch bis zum 19.05.2024 - da spielt fiio im B72 einen weiteren Wien-Termin.