Inklusion und Exzess
Zwischen Inklusion und Exklusivität - wie sich der Kulturbetrieb selbst verzehrt.
“The Beauty of Diversity” in der Albertina, “Foreigners everywhere” auf der Biennale 2024 in Venedig, das Thema Diversität ist im globalen Kunstkanon angelangt und erhält zur Zeit mehr Aufmerksamkeit als je zuvor. Zum Glück, denn allzu lange wurden globale Machtgefälle und weiße Vorherrschaft in der Kunstwelt gekonnt ignoriert.
Trotz all dieser Bemühung wäre es leider immer noch eine Farce, vom Kunstmarkt als einem inklusivem Ort zu sprechen. Klassismus und Elitismus beherrschen die Szene in einem Ausmaß, dass wir uns als Gesellschaft nicht länger leisten können. In Zeiten des Vormarsches rechter und faschistischer Ideologie brauchen wir die künstlerische Auseinandersetzung mit relevanten Themen mehr als je zuvor, und zwar zugänglich für jede*n. Selbstverständlich liegt mir kein Rezept vor, wie die Kunstwelt vom einen auf den anderen Tag umgekrempelt werden kann, aber ich denke einige Überlegungen sollten für alle Menschen, die mit Kunst zu tun haben, eine Rolle spielen.
Diversität, aber bitte nur mit den Regeln reicher, weißer Menschen
Diversität muss endlich auch Klassendiversität bedeuten. Diejenigen, die sich ernsthaft mit Kunst und der Rolle von Kunst in einer Gesellschaft auseinandergesetzt haben, haben dies schon längst erkannt.
Diejenigen, die von Kunstmesse zu Kunstmesse reisen, unkritisch die riesigen Kollektionen von reichen Kunstsammler*innen bewundern und gerne mal ein Vernissage-Ticket für Hunderte Euros kaufen, müssen endlich erkennen, dass sie allzu oft Kunstgenuss mit Konsum verwechseln und in die Taschen einer gesellschaftsschädigenden Industrie einzahlen.
Exklusivität bleibt ein Verkaufsschlager: Bei der Art Basel Miami Beach, die Anfang Dezember in Florida stattfindet, kann man Tausende Dollar für exklusive Erfahrungen ausgeben. Dass eben diese Veranstaltung (reguläre, ermäßigte Karten 65 USD!) sich mit dem Begriff Diversität schmückt, ist eine außerordentliche Peinlichkeit und durch und durch unehrlich. Einkommens- oder Vermögensdiversität wird man dort vergeblich suchen. Und so reiht sich die Messe in das Gros der Kulturevents ein, bei denen Arbeiter*innen und finanziell schwache Menschen demonstriert wird, dass sich Entscheidungsträger*innen nicht um ihre Aufmerksamkeit scheren.
Viel zu oft wird Kunst missbraucht, um den eigenen Status zu demonstrieren und sich über andere zu erheben. Die dramatischen Zustände in Kunst und Kultur, deren Zielgruppe immer mehr nur noch im reichen Kunstmessen-und Festspielwochentourist*innen-Einheitsbrei besteht, werden ermöglicht von Menschen, die allzu viel daraus ziehen, sich persönlich von anderen Menschen abzuheben. Es gibt auch in Wien kaum noch einen größeren (institutionellen) Kulturbetrieb der ohne exklusive Angebote für zahlungskräftige Kundschaft auskommt. Der Opernball ist dabei nur der prominenteste Vertreter dieser Perversitäten.
Diversität leben, nicht nur ausstellen
Welche Konsequenzen sollten aus den Beobachtungen der beschriebenen Entwicklungen gezogen werden? Nun, zunächst sollten Veranstaltungen wie die Met-Gala (dieses Jahr 75.000 USD) und der Opernball konsequent kritisch betrachtet und abgelehnt werden. Es gilt für eine konsequente, staatliche Finanzierung von Kunst und Kultur einzutreten, damit Veranstaltungen, bei denen der Kulturbetrieb seine Grundwerte verkaufen muss, vermeidbar werden oder inklusiv gestaltet werden können. Wir müssen konstant an einem niederschwelligen Zugang zu Kunstangeboten arbeiten, Museen müssen kostenlos werden und kein Kind soll aus Geldgründen auf einen Theaterbesuch verzichten müssen.
Durch die Kommodifizierung aller Kulturangebote schaufelt sich die Kulturszene ihr eigenes Grab. Ihr Anspruch, kritisches gesellschaftliches Korrektiv zu sein, wird durch den Einfluss des Kapitals untergraben. Außerordentlich reiche Menschen sollten nicht mehr in die Lage versetzt werden, sich als Kunstmäzene zu inszenieren, sondern durch Steuern und staatliche Umverteilung für eine demokratische Finanzierung der verschiedenen Kulturinstitutionen in die Pflicht genommen werden. Dies werden wir im aktuellen politischen Klima voraussichtlich nicht allzu bald erleben, daher müssen die Institutionen selbst aktiv werden. Und vor allem muss jede*r Kunst-Interessierte, jede*r Theater-Fan und jeder Opern-Nerd die Augen öffnen und erkennen, dass der Kulturbetrieb in jedem Sinne inklusiv werden muss, wenn er seine Seele behalten möchte.
Dabei kann einiges schon ohne die Beihilfe politischer Entscheidungsträger bewirkt werden, indem man sich als Kultureinrichtung exklusiven Veranstaltungen versagt und sich für Menschen aller Einkommensklassen öffnet: das muss beim studentischen Schreibkollektiv anfangen, bei den Bundesmuseen fortgesetzt werden und bei privaten Kunstinstitutionen vollendet werden, dann besteht für den Kulturbetrieb eine echte Chance darauf, ein gesellschaftlich relevantes Sprachrohr aller Menschen zu werden.