Bohema Magazin Wien

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Kammermusik meets Jazz

Ein Konzert wie eine Impro-Session in einer Bar spät nachts: Zupfbass, Klavier, Saxofon. Und dazu ein Streichorchester? Ein innovativer Abend im Konzerthaus.

Wolfgang Muthspiel, Starsolist diees besonderen Abends /// Laura Pleifer (c)

Der Pianist hängt mit dem Oberkörper in seinem Flügel, um die Saiten mit der Hand zu zupfen, der Bassist rutscht in stetigen Glissandi am Griffbrett auf und ab, der Saxofonist funktioniert seine Schenkel zum Schlagzeug um und Wolfgang Muthspiel hält die ganze Szenerie mit einem Gitarrenriff zusammen. Ein bisschen wild geht es stellenweise zu, im Mozartsaal am Montag, den 25. April. Aber auch nur ein bisschen.

Ein Tanz um Genres und Rollen

Auf der Bühne des gemütlichen blau-goldenen Saals sitzen an diesem Abend miteinander verwoben eine Jazzkombo und ein kleines Streichorchester. Der außergewöhnlich umständliche Titel „Johannes Berauers’s Vienna Chamber Diaries plus Strings feat. Wolfgang Muthspiel“ schafft es kaum zu beschreiben, was in diesem innovativen Konzert passiert. Hier wird nicht nur das Programm des traditionsbewussten Konzerthauses aufgemischt, bei näherem Hinsehen brechen die 19 Musiker*innen zusammen mit dem anwesenden Komponisten Johannes Berauer mit einigen ästhetischen Prämissen: gegensätzlich geglaubte Genres werden verwoben, die Trennung von Musiker*innen und Komponist verschwimmt und Komposition wird Improvisation gegenübergestellt. Aber alles nach und nach.

Zunächst einmal muss eine Standortbestimmung über das Genre angestellt werden, das da im Mozartsaal des Konzerthauses präsentiert wird. Die acht Miniaturen tendieren klar zum Jazz, in ihrer Harmonik, in ihrer Struktur von Soli und Bandteilen, in ihrer coolen Verspieltheit. Aber da sind Elemente der minimal music, wenn Gitarrist und Jazzlegende Wolfgang Muthspiel das Geschehen um ihn herum mit einem simplen, immer wiederkehrenden Rhythmusfundament zusammenhält. Da sind Anleihen an symphonische Musik; die Streicher*innen sind mehr als nur Hintergrundrauschen, sondern aktive Bandmitglieder. Vielleicht hören wir hier ja auch, was in Radiosendern als „New Classics“ beworben wird, atmosphärische Klänge mit schwebenden Melodien? Die Werke mäandern von Abschnitt zu Abschnitt und bei jedem müssen sich die Hörer*innen auf etwas gänzlich Neues einstellen. Die Genrefrage bleibt offen, eine Synthese entsteht.

„Den ersten Teil habe ich da schlichtweg geklaut.“

Dann ist da Johannes Berauer, der Komponist dieser rätselhaften Musik, der schon diverse Kompositionspreise gewann und Hochschullehrer in Graz, Wien und Klagenfurt war und ist. Alle drei Stücke nimmt er das Mikrofon und verliert ein paar wenige Worte zu dem, was da gerade auf der Bühne passiert. Er sagt wenig über die Machart seiner Werke, mehr zum Kontext ihrer Entstehung. „Den ersten Teil habe ich da schlichtweg geklaut“, kommentiert er sein Zitat von Bartóks Divertimento. Das kurze Stück Florentin sei seinem zehn Monate altem Sohn gewidmet. Und Just another pop song sei gemeinsam mit seinen Kompositionsstudierenden in einer Übung zu Pop-Akkorden entstanden. Johannes Berauer steht dem Ensemble fast devot gegenüber, möchte alle Anerkennung direkt an die Musiker*innen weiterleiten. Die natürliche (oder unnatürliche?) Autorität des Komponisten wird aufgebrochen.

Das Publikum ist sich, trotz des anwesenden Komponisten und der Betitelung der Werke als „Uraufführungen“ nicht sicher, ob hier gerade Komponiertes gespielt oder improvisiert wird. Sind die virtuosen Soli des fabelhaften Saxofonisten und Bassklarinettisten Klaus Gesing nun frei gespielt oder ausnotiert? Wodurch wird das Ensemble noch zusammengehalten, wenn alles nur noch nach Chaos mit einer Melodielinie klingt? Die erfrischende Transparenz lässt Berauers Musik gleichzeitig akkurat, konstruiert und spontan erscheinen.

Neue Musik und Spaß?

Das Konzert endet offen und beschwingt im Bossa-nova-Style. Dieses Konzert war ein Grenzgänger zwischen Kammermusik, Jazz und irgendetwas ganz Neuem. Publikumsverträgliche Neue Musik war hier zu hören und das ist nicht etwa seicht, sondern eine Meisterleistung. Es wird gepfiffen und gejohlt, auch das ein wenig fremd im Konzerthaus. Jazz und Kammermusik – das scheint sich ganz gut zu vertragen.