Bohema Magazin Wien

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Kann Revolution ausverkauft sein?

Redwashing, echte Basisdemokratie oder schon wieder ein weißer Ritter in schimmernder Rüstung, der uns den Weg zeigen möchte? Lisa Varouxis und Dávid Gajdos blicken auf die Festwochen zurück.

Ist Politik nunmehr mit Ästhetik gleichzustellen? /// Rafaella Proell (c)

Mehr Dambudzo, weniger Revolutionsästhetik

Hatched ensemble von Mamela Nyamza nahm uns auf einen Raumschiff durch unberührte Gegenden der Tanzpoetik, Die Braut und Goodnight Cinderella von Carolina Bianchi warf uns zum Aufwachen eiskaltes Wasser in die Augen und in die Ohren, Tempest Project von Peter Brook und Marie-Hélène Estienne stellte das Bild des Abschieds einer der markantesten Theaterzauberer*innen unserer Zeiten auf und Dambudzo von nora chipaumire wies auf, wie klein europäische Visionen für Bühnengestaltung, oder eher, Raumbesetzung im Theater sind, und ermöglichte dessen Rückeroberung – die dekoloniale Tat par excellence.

Künstlerische masterclasses gab es in der diesjährigen Ausgabe der Festwochen nun einige, und diese sorgten für sprengende, erschütternde Theatermomente, aber das bedeutet noch nicht, dass das ambitionierte revolutionäre Gesamtkunstwerk, sich bewiesen hat. An der künstlerischen Leitung und der neuen Programmdramaturgie der Festwochen werden Konzepte und Prinzipien auf hohe Leine gestreckt. Inmitten einer spannenden doch umstrittenen dezidiert politischen Ausrichtung, gehöre sich eigentlich, ganz genaue epistemologische Fragen zu stellen – zum Beispiel:

Was heißt eigentlich, „Revolution“?

Welche historischen Referenzen zieht frau mit diesem Begriff heran, und welchem Erbe wird gefolgt? Kann die Revolution zunächst von einer Institution organisiert werden? Historisch ersuchen revolutionäre Akten die Abschaffung eines Regimes; auf welches weisen die Festwochen auf? Warum sowohl eine Kampfästhetik, und die Aneignung einer nationalistischen Ästhetik (Fahne, Hymne...) bei der Ausrufung einer Republik? Wird Revolution vom Staat mit 13,6 Millionen Euro gefördert? Kann Revolution ausverkauft sein, und den Eintritt verbieten? Hat Revolution Sitznummern und Uhrzeiten? Auf den Punkt gebracht: Wollen die Festwochen eine Revolution oder eine Republik, umstürzen oder institutionalisieren?

Milo Rau brachte Künstler*innen auf seine Szenen, die an internationaler Anerkennung nicht fehlen; eine revolutionäre Ansicht könnte vorwerfen, kaum bahnbrechenden, neuen Stimmen der heutigen Kunst, Platz geschafft zu haben. Dies kann frau rückblickend bei der letzten Intendanz (Christophe Slagmuylder) loben. Während Musicals wie Barocco (Kirill Serebrennikov) politische Krisen und Krieg bis auf die letzten Krümel in eine kunterbunte Metapher und ansteckende Stand-up und Schlagerambiente brachte, fehlten zum Gleichgewicht anderswo vielleicht abtrünnige Stimmen.

Ist Politik nunmehr mit Ästhetik gleichzustellen?

Bei stilisierten Abstrahierungen des politischen Kampfes lässt sich etwas provokant fragen, ob Politik nunmehr sich mit Ästhetik gleichstellen und zusammenfassen lässt. Es braucht brennende Revolutionen, und wie! Aber brauchen wir noch einen weißen Ritter in schimmernder Rüstung, um uns den Weg dahin zu zeigen? Wir freuen uns ganz doll auf die nächsten Festwochen, denn alles bleibt noch zu machen, vor allem in den Zwischen- und Hinterräumen des offiziellen Theaterprogramms.

Lisa Varouxis

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Regietheater ist der Albtraum aller konservativen Opernfans. Da wird ein Werk genommen und statt in Mittelalterkostüm in Ufokleidern auf dem Mars am besten noch durchsetzt von Kindheitstraumata der/des Regisseur*in gezeigt. Altwiener Traditionspublikum ist bei den Festwochen zwar Mangelware, aber auch einige Progressive haben gestutzt, als Milo Rau sein Regietheater-Konzept nicht nur auf ein einziges Stück, sondern auf das gesamte Festival ausweitete. Aus dem Festival wurde die Freie Republik Wien. Ganz harmonisch passen Werk und Konzept in den allerwenigsten zeitgenössischen Operninszenierungen zusammen, weirde Momente gab es auch bei diesen Revolutions-Festwochen.

VIP-Party nur für die Apparatschiks?

Zum Beispiel bei der Eröffnung, als zwischen all den nichtssagenden Fakeflaggen auf der Bühne ein Free-Palestine-Banner auftauchte und dann in der Deckung einer bedeutungslosen Theaterfahne abmontiert wurde. Oder als nach der Ausrufung der Freien Republik die Festivalelite bei einer VIP-Party verschwand. Aber es gab auch äußerst echte, wahre Momente. Die drei Wiener Prozesse führten zwar zu Freisprüchen und waren weniger spektakulär als erhofft (im Bohema-Interview im März erzählte Rau noch davon, dass die FPÖ hohe Funktionär*innen in den Prozess schicken würde, letztlich kam niemand). Trotzdem waren die Prozesse wertvolle, denkwürdige Momente der gesellschaftlichen Diskussion.

Und die Hearings, in denen der Rat der Republik das Festival der Zukunft bestimmen sollte? Die waren für einen ersten Versuch ganz ok, viel Zeit zum Diskutieren oder ändern der Gesetze blieb den Parlamentarier*innen aber nicht. So wirkten die Abstimmungen teils wie in irgendeinem sowjetischen Parlament, wo alles durchgewinkt wird. Vielleicht wurde da zu viel auf einmal versucht. Die Wiener Erklärung, also die Verfassung, die am Ende verabschiedet wurde, ist zwar lobenswert, aber ziemlich vage. Wer bestimmt den Programm-Beirat, welche Befugnisse hat er? Wer bestimmt die Quoten? Usw.

Künstlerisch und wirtschaftlich: ein voller Erfolg

Viel eindeutiger war der künstlerische Erfolg. 96% Auslastung und um 20% mehr U30-Besucher*innen sprechen für sich. Es fiel mir besonders auf, wie jung und divers das Publikum war. Das muss man erstmal hinbekommen, bei bestem Juniwetter ganze Säle mit jungen Menschen zu füllen. Noch dazu war das künstlerische Niveau gefühlt noch höher als zu Slagmuylder-Zeiten. Mundruczós Parallax war dermaßen umwerfend, dass ich zweimal war, Blutstück und Barocco waren sehr überzeugend und Rohtko war ein monumentaler Abschluss. Pretty good stuff alltogether, I gotta say.

War die Freie Repubklik nun echte Basisdemokratie, einfach nur Regietheater in groß oder imagebesserndes Redwashing? Vielleicht irgendwo dazwischen? Klar ist, dass die Kultur extrem hierarchisch organisiert ist und dass solche demokratischen Versuche auf dieser Ebene kaum je unternommen wurden. Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne blabla, jedenfalls sollten wir 2025 ganz genau hinschauen, ob und wie die Wiener Erklärung tatsächlich umgesetzt wird.

Dávid Gajdos