Märchenstadt Catania: Grosze Klappe 11
Palmen, Sonne und ganze Häuser für ein paar Euro: Eine Kolumne über Sizilien im Winter, oder doch nicht. Und zwei Heule-Hits, aus NY und aus der DDR.
Irgendwas schmilzt in mir, als der Frühling plötzlich im Januar zuschlägt. Frust vielleicht. Darüber, wochenlang durch ein Trockeneis-Dampfbad geradelt zu sein, dabei von einem grausamen Rasensprinkler eiskalt angepisst zu werden. Nur dass unter mir statt edlem englischem Kolonialrasen nasser Asphalt vorbeizieht. Und auch der nicht schnell, meine Beine sind steif und unterhosenschwer. Umso mehr tut es weh, als ein Tourischwarm an der Ampel vor dem Kunsthistorischem den Ringradweg blockiert, sie folgen dem bunten Schirm ihres Guides. Ich fluche laut, bremse spät, aus mir strömt braun der widerwillig angelernte Wiener Grant der letzten sechs Jahre.
Ich möchte auch jemandem folgen, einem allwissenden Schirm oder einem verzauberten Selfiestick, der mir den Weg zeigt as I navigate my life. Navigate my life. Englische Ausdrücke können so treffend sein: wir tuckern mit dem Arsch nach vorn durch die dunkle Ursuppe, sehen immer nur nach hinten und versuchen unser Leben doch irgendwie nach vorne zu navigieren.
Mit Ryanair für 60€ nach Atlantis??
In Catania hat es grad 18 Grad, die Sonne scheint. Es gibt dort ganze Wohnungen für 10 000 Euro, ich googele und träume. Von Eineurohäusern und Palmen. Gehe spazieren, kehre nach zwei Schritten frierend zurück. Wir tun es uns doch freiwillig an. Das ewige Frieren, die Instaüberflutung von cisweißen Ballmenschen, die bittere Kicklpille. Ich könnte mir Catania doch leisten. Catania. Catania. Das ist doch eine Stadt aus einer Legende, nicht echt. Oder doch? Ryanair würde für 60 Euro nicht nach Atlantis fliegen…
Ein Reel, eine Erkenntnis: ich bin Dismissive-avoidant. Instapsychologie lügt nie. Möchte ich mich deswegen auf Sizilien, verkriechen, weit weg von euch allen? Thomas Bernhard, du verbitterter Nörgler, sogar du weißt es: Die Lösung seid ihr, nicht die Einsamkeit. Und doch will ich euch loswerden, ihr könnt mich alle mal (auf Sizilien besuchen). Bernhard schrieb sein letztes Buch über einen grantigen, arroganten Musikkritiker. Hast du mich gekannt, Thomas, du. Man kann eh nichts lernen von anderen, Bernhards banale Konklusion muss ich selbst erfahren.
Meine Tränen fallen auf Pasta. Die Dosensoße ist eh zu trocken, in Catania wird man mich dafür auslachen. Ich weine zu Regina Spektors Becoming All Alone. War sie auch in Catania? Sie ist mit Thomas Bernhard d’accord, auch wenn sie keine Ahnung davon hat. Stay, stay, stay, das ist ihre Schlussfolgerung. Es ist einer dieser End-of-Movie-Songs. Es war schwer, wir haben auf dem Weg etwas verloren aber viel gelernt und all together sind wir als bessere Menschen rausgekommen. Warum ist das Leben eine Reihe von End-of-Movie-Momenten? Könnten wir nicht ein für alle Mal lernen, dass wir gut genug sind, dass alles zu seiner Zeit passiert? Why doesn't it get better with time?
DDR-Hit zum Dahinschmelzen
Ich sehe mich im Sonnenschein von oben in einem meditativen Frühlingszustand. Die Zutaten: Eine Prise Hoffnung, die kribbelt im Bauch. Ein bisschen Distanz zu mich selbst, zu meinen Problemen. Distanz macht alles erträglich. Akzeptanz, sie läuft mir warm und beruhigend den Rücken herunter. Und Liebe. “König der Welt ist das Herz, das liebt.” Meine Mutter tanzte zu diesem langsamen DDR-Hit in der Disko, ich heule dazu, schmelzend, immer noch in Wien. Und in Catania regnet es.
PS: Das Gitarrensolo am Ende fetzt. Ostblockromantik…