Bohema Magazin Wien

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Mein fabelhaftes Vebrechen – Zwei Frauen gegen das Patriarchat

François Ozons neuester Film setzt sich das Ziel, den Oldschool-Kriminalfilm zu dekonstruieren und feministisch einzufärben. Ist das Ergebnis genauso fabelhaft wie das verhandelte Verbrechen?

Zwei Frauen /// Filmladen (c)

In den letzten Jahren haben wir im kommerziellen Unterhaltungskino immer wieder Oldschool-Kriminal- bzw. Whodunit-Filme gesehen. Hier gab es etwa uninspirierte Umsetzungen klassischer Stoffe von Agatha Christie (Mord im Orientexpress) oder semiclevere Übersetzungen dieser Narrative in ein modernes Setting (Glass Onion). Diese Bewegtbildrätsel waren sicherlich mehr oder weniger unterhaltsam, aber aufgrund ihrer schablonenhaften Erscheinung in der Regel eher dem künstlerischen Mittelmaß verhaftet. Doch was passiert, wenn dieses Genre nicht wie so oft britisch oder amerikanisch, sondern französisch und mit deutlich weniger Budget bearbeitet wird? Schließlich gibt es auch in Frankreich mit Filmen wie Les Diaboliques oder den Werken von Jean-Pierre Melville (Le Samouraï), eine klare Genre-Tradition. Altherrenregisseur François Ozon, der bereits 2002 mit 8 Frauen den Kriminalfilm mit einem wundervollen Musical auseinandernahm, stellt sich für uns dieser Frage.

Der Vorhang öffnet sich. Paris 1935. Wir sehen den Swimmingpool einer Villa, die Musik scheint aus einem alten Krimi zu stammen. Eine mysteriöse blonde Frau verlässt das Grundstück. Diese entpuppt sich als die erfolglose Schauspielerin Madeleine (Nadia Tereszkiewicz), die mit ihrer ebenso verarmten Anwaltsfreundin Pauline (Rebecca Marder) in einer heruntergekommenen Dachgeschosswohnung lebt. Hier entspinnen sich direkt ein paar typische Kriminal-Plots. Madeleines Oberschichtsfreund schmiedet den film-noir-mäßigen Plan, als Heiratsschwindler Geld zu erbeuten, der Vermieter der beiden Protagonistinnen stellt ein kurzfristiges Ultimatum zur Nachzahlung der fälligen Beträge und zur Krönung des Ganzen schneit noch die Polizei vorbei und berichtet vom gewaltvollen Tod des Theaterproduzenten, bei dem Madeleine gerade eben vorgesprochen hat…

Die Struktur bröckelt

Das Ganze wirkt erst mal wie ein mäßig interessanter Oldschool-Whodunit. Die Musik ist kitschig und wir sehen Paris als romantische Idylle mit verträumten Gassen sowie den Eiffelturm, der hinter dem Dach der prekären Wohngemeinschaft als Versprechen des Aufstiegs in den Himmel ragt. Old Hollywoods klischeehafte Vorstellung von Frankreich lässt grüßen. Auch narrativ scheint alles ganz typisch zu sein. Schnell wird neben der Schauspielerin ein weiterer höchst verdächtiger Mann eingeführt – ein Architekt, der ein großes finanzielles Interesse am Tod des Produzenten haben könnte. Diesem dramaturgischen Autopilotmodus wird jedoch schnell ein Ende bereitet, wenn die Protagonistin ein Geständnis abliefert und damit die ganze etablierte Whodunit-Struktur vorerst zu Fall bringt. Es beginnt vorübergehend ein komödiantisches Gerichtsdrama.

Wo hört das Theater auf?

Diese Veränderung des Settings hin zum Gericht führt zu einigen der besten Momente des Filmes. Besonders stechen hier die witzigen Reflexionen zur Theatralität solcher Prozesse hervor. Nachdem in der ersten Szene ironisch der Vorhang geöffnet wird, ist das Spiel hier schon in vollem Gange. Die beiden Protagonistinnen inszenieren einen gekonnten Monolog, welcher mit der passenden Kostümauswahl nur weiter verfeinert wird. Die Auseinandersetzung mit Staatsanwalt, Zeug*innen und Richter wird zum bissigen Theater, das ganz klassisch gesellschaftliche Themen reflektiert und uns gemeinsam mit dem Gerichtspublikum unterhält.

Auch die Grenzen zwischen „echtem“ Theater und dem Alltag wird – in der Tradition von Luis Buñuel verwandter surrealistischer Satire Der diskrete Charme der Bourgeoisie - immer weiter inhaltlich wie räumlich aufgelöst. Gekonnt spielt Ozon mit unseren Erwartungen, wenn er Szenen nachträglich als Inszenierungen innerhalb der Geschichte entpuppt.          

Sind wir nicht alle die Regisseur*innen unseres Lebens?

Ozon mit obligatorischem Künstlerschal /// The Art Desk (c)

Neben dem Theater spielt hier auch der Film eine bedeutende Rolle. Neben einer relativ unterhaltsamen Auseinandersetzung zwischen der Stumm- und Tonfilmgeneration durch die Figur von Isabelle Huppert werden nämlich häufig Rückblenden in schwarz-weißen Sequenzen erzählt, die in ihrer Ästhetik dem französischen Kino der 30er-Jahre entsprungen zu sein scheinen. Bei diesen werden die Figuren zu Drehbuchautor*innen und Regisseur*innen der (eigenen) konstruierten Lebensgeschichten.

Besonders humorvoll wird es hierbei, wenn die alten männlichen Ermittler einen Plot wie aus einem alten Film noir um die Protagonistin spinnen wollen. Die arme, schwangere Femme fatale, die den Theaterproduzenten in einer ambivalenten Tat kaltblütig ermordet. Sicherlich eine Parodie auf jene konservativen Krimifilmschaffenden der Vergangenheit von denen sich Ozon selbst zu distanzieren versucht.

Ein Regisseur gegen das Patriarchat

Das zentrale Thema des Films ist nämlich der Konflikt zwischen einer feministischen Emanzipation und der hegemonialen patriarchalen Gesellschaft, wobei sich stark auf MeToo bezogen wird. Auf der einen Seite steht die Angeklagte mit ihrer Anwältin und verteidigt ihre vermeintliche Tat als Notwehr, auf der anderen Seite stehen die Ankläger, die die irrationale Angst haben, dass es zu einer Mordwelle radikalisierter, männerhassenden Feministinnen kommen wird. Eine Prognose, mit der der Film amüsant spielt. Da kommen dann sehr offensichtlich die naheliegenden Ängste des damaligen wie heutigen Patriarchats hervor, den Frauen wird schließlich sogar vorgeworfen, in einem Bett zu schlafen. Arg viel mehr als ein einfaches Spiel mit diesen konservativen Talkingpoints und eine Verkündung altbewährter feministischer Mindestbotschaften wagt der Film aber dann doch nicht. Revolutionär ist hieran nichts, auch wenn diese unsubtile Auseinandersetzung einen guten Boden für meist ganz gute Gags bietet.

Mein fabelhaftes Verbrechen ist wie erwartet ein gelungener Vertreter des Genres „französische Komödie für leicht spießige, aber auch ein bisschen progressive Personen im mindestens mittleren Alter“, die wie so oft das Arthouse-Kinoprogramm befüllen. Die gut gemeinte Botschaft ist zwar vor allem im Vergleich zum sonstigen Filmangebot nicht allzu nennenswert, aber Ozon gelingt dennoch ein witziges und cleveres Spiel mit dem Krimigenre. Genug für einen netten Filmabend ist das allemal.