Bohema Magazin Wien

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Mira Stadler, wie führst du Regie?

Die Regisseurin Mira Stadler hat im Vestibül des Burgtheaters Mädchen wie die inszeniert. Für Bohema beantwortete die Regisseurin Fragen über Mobbing als Bühnenthema, die Proben mit Schauspielstudent*innen und erklärt was Legosteine mit Inszenieren zu tun haben.

Das Schauspielensemble um Regisseurin Mira Stadler /// (c) Matthias Horn, Burgtheater

B: Kannst du mir anhand von Mädchen wie die erläutern, wie die Vorarbeiten der Regie bis Probenbeginn aussehen?

M: Es gab den Wunsch die Lücke dieser Zielgruppe zu schließen. Das Problem ist oft, dass es Kinderstücke für 5-8 Jährige gibt, dann für 8-12 Jährige und dann gibt es meistens nichts. Danach kommen die Stücke, die eigentlich für Erwachsene sind und wo man trotzdem sagt, da können 15 Jährige rein, weil sie Faust in der Schule lesen. Dann bleibt aber das Problem, dass trotzdem nicht explizit für diese Zielgruppe inszeniert worden ist. Bei Mädchen wie die von Evan Placey fand ich den Humor total gut, weil es nicht so moralisch ist. Auch die Art wie Evan Placey für diese Zielgruppe schreibt, findet man nicht so oft. Da gibt es keinen Lehrauftrag. Es geht mehr darum, etwas aufzuzeigen.

Und dann war die Frage: Wer soll das jetzt spielen? Damals war aber noch gar nicht klar, wer überhaupt im (neuen Ensemble des Burgtheaters) sein wird. Es hat sich dann aber auch relativ schnell herausgestellt, dass es gar nicht so viele junge Girls (im Ensemble) gibt; zumindest nicht gleich 5 davon. Schnell wurde klar, dass es in Kooperation mit dem Max Reinhardt Seminar stattfinden kann, was in meinem Fall auch gut gepasst hat, weil ich selber am Max Reinhardt Seminar war. Dann hatte ich aufeinmal diese große Auswahl an weiblichen Studierenden. Als Musiker ist Bernhard Eder dazugekommen. Jenny Schleif hat die Ausstattung gemacht hat und dadurch, dass sie schon am Burgtheater assistiert hat, wusste sie ganz genau was im Vestibül möglich ist.

Von der Konzeption…

M: Dann die Konzeption. Die war durch die Coronaverschiebung lang. Ich wollte nichts einem jungen Publikum "beibringen", nur zeigen, was Mobbing für eine Brutalität hat. Ich habe das fantastische Buch Meine beste Feindin von der amerikanischen Soziologin Rachel Simmons gelesen, die geforscht hat, was dieses geschlechtsspezifische Mobbing unter Frauen und Mädchen ist. Dass es oft unsichtbar für die Außenwelt ist. Dann kam der erste Probentag und wir haben uns zusammengesetzt und puhh was da für Stories von den Schauspielerinnen kamen…

..über die Arbeit am Text

M: Anfangs haben wir viel improvisiert. Der Text ist eigentlich eine Fläche, außer Scarlett gibt es keine Rollen. Wer welchen Text spricht, habe ich dann mit der Dramaturgin und den Schauspielerinnen entschieden. Im Vorhinein war mir wichtig, dass jede eine Charakterfigur hat. Eine Streberin, die eigentlich gar nicht so mobben wollen würde und die Leaderin, die die krassesten Sätze raushaut. Das habe ich im Vorhinein entwickelt und mit den Schauspielerinnen präzisiert. Man muss bei diesen Täter*innen auch denken, das könnte auch ich sein. Man darf sich nicht zu sehr davon trennen. 

Bei Scarlett war aber klar, sie muss am Ende einen Emanzipationsmoment haben. Da habe ich dann in das Stück eingegriffen und in Absprache mit dem Verlag den Schluss umgeschrieben. Das ging zum Glück auch ganz gut, das ist ja bei Uraufführungen nicht so leicht. Das war so das Grundkonzept, dieses nicht zu klare Opfer/Täter*innenbild.

I’m just a teenage dirtbag, baby...

B: Weil die Schauspieler*innen selber noch relativ jung sind, die Pubertät also noch gar nicht so lange her ist: Wie hat sich das auf deine Arbeit mit Ihnen und dem Thema ausgewirkt?

M: Ich habe nie verlangt, dass die Schauspieler*innen was erzählen. Das hätte ich auch gar nicht gebraucht, weil es genug Vorbilder und Teeniefilme gibt, so viele Figuren, von denen man sich was abschauen kann. Eine Szene habe ich aber geschrieben, weil ich fand, dass das in der Geschichte zu wenig vorkommt. Warum die Mädchen so agieren, dass ihnen die Gesellschaft das ja vorgibt. Die größte Challenge war für mich, den Schauspielerinnen das Vertrauen und den Mut zu geben, die leere Bühne zu bespielen. Das war eine Herausforderung, so schnell in ein Vertrauensverhältnis zu kommen, dass sie mir was vorspielen können und ich ihnen aber nicht sagen muss, geh jetzt zwei Schritte dorthin. Dieses Selbstbewusstsein muss man sich glaub ich nach der Ausbildung erst noch erarbeiten.

(c) Matthias Horn, Burgtheater

B: Wo fängt für dich das Handwerk des Schauspielers an und hört der Eingriff der Regie auf? Wie viel gibst du vor und wie viel lässt du geschehen? 

M: Da kann ich gleich meine Dozentin Rosee Riggs frei zitieren, weil sie so lustig ist. Es ist eine Lego Metapher. Der Regisseur macht diese Platte unten mit den Noppen. Wenn du das nicht machst, dann fallen die Figuren um. Wenn du es machst, dann können sich alle auf der Platte bewegen. Ich glaube es ist gar nicht so viel, was der Regisseur vorgeben muss, aber es muss ein Fundament sein, was funktioniert. Was genug Freiheit gibt, aber genug einschränkt, dass es nicht alles werden kann. Dass wir in Mädchen wie die keine klassische Schulklasse darstellen zum Beispiel; wenn dann eine mit Heften und Federmappen gekommen wäre, hätte ich gesagt nein, das passt hier nicht rein. Man muss eine Art System erschaffen. Manche Regisseure erschaffen härtere Systeme und manche offenere, aber du musst als Zuschauer*in ein System erkennen. Ohne sehe ich vielleicht gute Schauspieler*innen, aber es bringt mir nichts, weil es rausfällt. Als Regisseurin beschäftigst du dich ja lange mit Stück, Text, Thema. Die Schauspieler*innen lesen es vielleicht zwei Mal. Dann musst du erstmal erklären auf welcher Schiene du fahren willst.

Das schauspielerische Handwerk

M: Und das Handwerk von den Spielenden ist es, zu erkennen in welchem System sie sich eigentlich bewegen, um dann aber ihren eigenen Stil einzubringen. Sich nicht verbiegen, sondern einfach nur checken: In welcher Welt bin ich eigentlich gerade unterwegs? Wie kann ich dort die beste Version von meiner Figur sein? 

Dann natürlich so technische Sachen: Wie groß ist der Raum? Wie viel Publikum ist da drin? Wie laut oder wie leise kann ich sprechen? Oder auch: Das Stück zu lesen und eine Rolle für sich zu erkennen, um sich dann zu fragen: Was möchte ich eigentlich damit machen? Sich eben nicht einfach befüllen lassen wie eine leere Vase. 

Aber ich finde es schwer zu beschreiben, weil es oft eine Kommunikationssache ist. Bei diesem Stück hatte ich das Glück, dass das Thema so nah an allen daran war, dass ziemlich schnell klar war, wohin wir damit wollen. Und was es beinhalten muss. Dass ein Opfer von Mobbing das Stück sieht und sich irgendwo festhalten kann. Dass das Opfer dann den emanzipatorischen Moment sieht und ein*e Schüler*in selbst merkt, wie viele andere Möglichkeiten es gibt. Wenn ich das nicht inszeniert hätte, hätten die Schauspielerinnen das gemacht, weil wir eben auf der gleichen Schiene unterwegs waren.

B: Was ich ganz ganz toll fand war, dass das Stück auch von Digitalität und sozialen Medien handelt, aber komplett ohne auskommt. Mit ganz einfachen analogen Mitteln, ist diese digitale Parallelwelt rübergekommen. Wie bist du zu dieser Entscheidung gekommen, war das im Vorhinein klar?

M: Das war nicht von Anfang an klar. Im Nachhinein ist das logisch, das analog zu machen, aber im vorhinein dachte ich mir schon auch, wir brauchen Handys. Dachte mir dann aber ja, ist halt auch langweilig. beide lachen Ich habe mega Respekt vor Video im Theater. Wenn es gut gemacht ist, ist es so geil aber du brauchst eine*n zusätzlichen Videokünstler*in. Aus der "Not" heraus haben wir uns dann gefragt, wie können wir das zeigen und die Klappen im Bühnenbild verwenden? Da war schon immer die Idee, das dahinter was auftauchen kann und erst im Probenprozess wurde klar: da hängt das Nacktbild.

Die TikTok Szene ist daraus entstanden, dass ich mir in der Vorbereitung TikTok runtergeladen habe, meinen Algorithmus so verarscht und nur Clips von TikToker*innen geliked habe, die so 12/13/14 Jahre alt sind. Ich hatte dann so viel tolles Material und dachte mir, man muss was damit machen. 

(c) Matthias Horn, Burgtheater

B: Was ist denn deine Lieblingsszene aus dem Stück? 

M: Ich mag die Schwimmbadszenen total gerne. Wir waren auch in der Schule immer im Schwimmbad und das fand ich einfach ziemlich genau getroffen vom Dramatiker. Dieses Verstecken vom Körper, das Verstecken vor den Anderen…

No Risk, No Fun 

B: Letzte Frage, die wir so oder so ähnlich allen unseren Interviewpartner*innen stellen: Wie kann das Theater zugänglicher gemacht werden? Was fehlt dem Theater jetzt?

M: Ich glaube, dass sich die Theater ein bisschen mehr trauen müssten, was die Spielpläne angeht. Ich verstehe total die wirtschaftlichen Aspekte. Es darf auch Komödien geben, die jede*r kennt und die vom Blatt inszeniert sind. Es darf auch das tausendste Mal einen Schiller geben, die Leute lieben das. Aber ich finde, man kann 10% des Spielplans nehmen und sagen, in diesen Projekten sind die wirtschaftlichen Aspekte egal und dort darf mehr ausprobiert werden. Junge Leute holen, aber dann wirklich mal auch auf der großen Bühne. Stücke nicht aufführen, nur weil sie trendy sind und der*die Autor*in einen guten Verlag hat. Bei manchen Projekten spricht man von dem Risiko, welches Risiko? Der Regisseur ist seit 20 Jahren erfolgreich, die Schauspieler*innen eh super, das Stück oft gespielt worden. Was ist da das Risiko? lacht 

Man könnte ja mal einen unbekannten Text mit einem bekannten Regisseur inszenieren oder eine unbekannte Regisseurin engagieren, die sich an einem Klassiker probiert. Da gibt es noch voll viel Angst. Autorinnen ans Theater holen und sie doch mal ein Jahr lang mehrere Sachen auch für verschiedene Medien schreiben und probieren lassen. Oder auch Risiken bei den Abläufen im Theater eingehen, warum nicht 6 Monate nur proben und dann 6 Monate nur spielen? Solche Ideen gibt es am Theater, aber es wird einfach nicht genug Risiko eingegangen.