Bohema Magazin Wien

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Kateryna Lysovenko: “Mittlerweile vertraue ich der Malerei”

Die ukrainische Künstlerin Kateryna Lysovenko reflektiert in diesem Interview über den sowjetischen Realismus und ihre künstlerische Befreiung, die Bedeutung von Mutterschaft für ihre Kunst und den politischen Kontext des Kriegs in der Ukraine.

© Anja Pöttinger, Bohema

Kateryna Lysovenko (*1989) ist eine ukrainische Künstlerin, die an der Grekova Art School in Odessa, der National Academy und der Academy of Media Arts in Kyiv studierte. Nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine floh sie 2022 nach Wien, wo sie heute lebt und arbeitet.

Bohema: Du bist in der postsowjetischen Ukraine aufgewachsen und hast dort eine sehr umfangreiche künstlerische Ausbildung erlebt. Wie äußert sich dieses Heranwachsen in deiner Kunst?

Kateryna Lysovenko: Es gibt gleichzeitig so viele angenehme und unangenehme Seiten meiner Ausbildung. In der Ukraine hat die sowjetische Kunstschule weiterhin einen großen Einfluss auf die Akademien und Kollegs. Dort war die Ausbildung sehr repressiv, nur sehr disziplinierte Menschen konnten in diesem System arbeiten und es wurde ein großer Wert auf das Erlernen des sowjetischen (sozialistischen) Realismus gelegt. Die aktuell lehrenden Professor*innen wurden von diesem System erzogen und geben dieses immer noch weiter und möchten auch ihre Plätze nicht frei machen für neue Lehrpersonen.

In der sowjetischen Ideologie ist vieles gleichzeitig mit dem Faschismus entstanden und auch die Bezeichnungen sind oft ähnlich. Zum Beispiel entartete Kunst (degenerative art), auch jetzt im 21. Jahrhundert wird in einer freien Ukraine zeitgenössische Kunst an den Akademien als eine degenerative Sache angesehen, sie haben uns gesagt es sei Schmutz. Viele Künstler*innen wurden zerstört von diesem System. Die Ausbildung dauert circa elf Jahre lang, kannst du dir vorstellen, was in dieser Zeit mit deinem Kopf passiert?

Für mich war es sehr schwer, mich zu befreien. Ich habe bereits als Kind gerne gemalt und gezeichnet. Es war sehr wichtig, dass ich schon vor meiner künstlerischen Ausbildung diese Beziehung zu Kunst hatte. Denn nach der Akademie konnte ich nur in mein Tagebuch malen und keine größeren Projekte realisieren. Obwohl ich wusste, dass ich eine gute Malerin bin, habe ich keine Malerei gemacht, denn ich habe fast jede Farbe, jedes Motiv in meinem Kopf mit Traumata, die ich von den Professor*innen hatte, verbunden. Das Erlernen der realistischen Malerei ist genauso wie Ballett, das zerstört dich. Sie bringen dir bei, wie du sehen sollst, wie du denken sollst. Ich habe so viele Flashbacks. Zum Beispiel, wenn ich runde Fenster malen möchte dann fällt mir ein, ich muss „richtige“ Fenster malen, denn an der Kunstakademie sagen sie dir alles andere wäre naiv, primitiv und einfach dumm, sie sagen dir nicht warum, aber sie sagen es 30-mal und irgendwann glaubst du es. Mir wurde eine sehr realistische Malerei gelehrt, deswegen war es schwer für mich etwas freier und nicht richtig zu malen.

Nach meinem Studium musste ich zu mir zurückfinden. Trotzdem hatte ich auch gute Erfahrungen an der Akademie, mit Kommiliton*innen konnte ich beispielsweise über Kunst und Philosophie sprechen. Manchmal passiert ein Wunder und es kommt aus diesem System eine gute, denkende kunstschaffende Person heraus. Deshalb hatte ich das Glück auch auf Lehrpersonen, die sich gegen die Unterdrückung gewehrt haben, zu treffen.

Bohema: Das klingt nach einem sehr zerrenden Prozess, aber du hast es trotzdem geschafft wieder zu dem, was dir Spaß macht, der Malerei, zurückzufinden. Wie konntest du dich von diesen Strukturen in der Akademie, die deinen künstlerischen Ausdruck unterdrückten, befreien?

Kateryna Lysovenko: Während der letzten drei Jahre meines Studiums war ich depressiv. Es fühlte sich an, als wäre ich von der ganzen Welt isoliert und niemand bräuchte meine Kunst, da sie keine Verbindung zur Realität hat. Der sowjetische Realismus ist für mich wie nekrophile Kunst, er wurde ausschließlich für Propaganda entwickelt. Kunst war ein Medium, das Menschen erziehen soll.

Ich möchte niemanden erziehen, aber ich habe dieses Instrument gelernt, das niemand braucht, das ich nicht haben will. Ich habe mich betrogen gefühlt, ich habe fast zwei Jahre lang nichts gezeichnet. Ich habe nur Fotografien gemacht.

         Malerei als politisches Medium

Als ich dann wieder begonnen habe zu malen, habe ich zuerst nur in schwarz und weiß gearbeitet, ich habe die Farbe ganz weggegeben. Ich habe auch nicht auf Leinwand, sondern auf Papier gemalt. Ich war sehr vorsichtig mit dem Medium der Malerei. Ich habe zwei Monate lang darüber nachgedacht, warum ich etwas mache, und dann zwei Wochen gearbeitet. Ich wollte durch meine Werke die sowjetische und ukrainische Kunstgeschichte analysieren.

In meinen Augen ist Malerei ein sehr politisches Medium, aber nicht für Propaganda, sondern etwas wodurch man die Welt entdecken kann. Gleichzeitig habe ich die Malerei auch sehr ausbeutend behandelt. Ich hatte kein Vertrauen in die Malerei, ich habe mich schuldig gefühlt, denn alles, was ich hatte, war der sowjetische Realismus und ich hatte Druck, mich umzuorientieren. Später verstand ich, dass diese ausbeutende Beziehung, die ich zur Malerei hatte, in der Sowjetunion ähnlich war.  Dort stand Malerei nicht für sich, sondern war einfach nur eine Methode, um etwas zu erklären und Menschen zu beeinflussen. Ich benutzte Malerei zwar nicht als Erziehungsmethode, aber trotzdem nutzte ich sie sehr herzlos.

Mittlerweile vertraue ich der Malerei. Ich habe viel über Philosophie und Malerei gelesen und mein neuer Ansatz ist es, auf der Leinwand einfach passieren zu lassen, was passiert. Manchmal beginne ich bei einem und komme zu etwas anderem. Deshalb habe ich auch von Acryl- zurück zu Ölfarbe gewechselt. Du musst nicht planen und kannst experimentieren, du hast mehrere Ebenen und kannst wirklich unendlich lang arbeiten. Und das war etwas, das ich wirklich brauchte.

Kateryna Lysovenko, Vulnerability as Manifesto, TBA Gallery /// Foto: Kuba Rodziewicz ©

B: Das ist eine sehr Interessante Reise, die du mit der Malerei hattest, bist du an den Punkt gekommen bist, an dem du jetzt bist.

In deinen neueren Werken begegnet einem öfter das Thema der Schwangerschaft, Geburt und Mutterschaft. Es gibt Figuren, die Kinder gebären oder in sich tragen. Du selbst bist sehr jung Mutter geworden und hast zwei Kinder. Hatte die Geburt deiner Kinder und die Mutterschaft Auswirkungen auf deine Kunst?

KL: Natürlich! Bevor ich Kinder hatte, war ich eine freie Person. Kunst gibt einem sehr viel Freiheit. Aber du hast auch nicht so viel Interaktion mit der Gesellschaft; wenn du Kinder hast, dann gehst du an Orte, wo normalerweise keine Künstler*innen sind. Zum Beispiel in die Schule, in den Kindergarten, zum Arzt/zur Ärztin und du kannst dort die Gesellschaft beobachten, das lässt dich zunächst die Welt ein bisschen anders fühlen. Du hast mehr Interaktion mit den Strukturen, auf denen unsere Gesellschaft gebaut ist. Allein, wenn du mit einem Kinderwagen auf die Straße gehst, erlebst du die Welt anders. Du siehst plötzlich all diese Barrieren. Mit Kindern bist du fragiler, du erkennst mehr Nachteile auf der Welt.

Andererseits siehst du Menschen und denkst, oh Gott, sie sind so gekommen, wir sind alle so aus diesem Platz gekommen, wow, cool. Und jede*r ist Kind von jemandem. Du lernst, was es bedeutet, ein Neugeborenes zu lieben und du hast sehr viele gute Wünsche für deinen Sohn oder deine Tochter und möchtest das bestmögliche Leben für dein Kind und dann verstehst du: andere Menschen wollen das genauso. Durch dein Kind erlebst du noch ein Leben, noch eine weitere Ebene dieser Welt und als Künstlerin hilft es mir auch, auf diese Art die Welt zu erleben und zu entdecken.

Atelier im Detail [1] / Anja Pöttinger

Atelier im Detail [2] / Anja Pöttinger

Die werke, die bei meiner Ausstellung in der TBA zu sehen waren, sollen den Betrachter*innen dieses Körpergefühl der Schwangerschaft geben. Mutterschaft sollte ein zentrales Thema sein. Denn mit dem aktuellen Krieg in der Ukraine sind viele Menschen, auch viele Freund*innen von mir, verpflichtet im Krieg zu kämpfen, viele von ihnen fühlen sich unwohl und erleiden auch psychische Folgen. In meiner idealen Welt sollte jede*r selbst entscheiden können, ob er oder sie im Krieg kämpfen möchte. Aktuell in der Ukraine müssen Künstler*innen, Verkäufer*innen, Kindergärtner*innen und sogar Student*innen sich bewaffnen und das Land schützen. Aber sie schützen nicht nur die Ukraine, sondern ganz Europa, denn ich habe den Eindruck, dass Putin die gesamte Sowjetunion wiederherstellen möchte und dazu gehört zum Beispiel auch Berlin. Deshalb denke ich, wäre es nur gerecht, wenn die NATO uns auch unterstützen könnte. Denn die Ukraine wurde vor dem Krieg und auch jetzt noch nicht in die NATO aufgenommen und das lag vor allem daran, dass viele europäische Länder mit Russland Business machen wollen. Sie haben die Ukraine im Stich gelassen, um günstiges Gas und Öl zu bekommen.

Russland hat einen Krieg in der Ukraine begonnen und wenn die Ukraine fällt, dann wird der Terror, so wie er in Mariupol war, in anderen Metropolen weitergeführt, viele weitere Menschen werden sterben und der überlebende Teil der Gesellschaft wird innerlich zerstört sein. Denn jede Familie verliert jemanden und diesen Schmerz kann ich vielleicht anders nachvollziehen, weil ich Mutter bin und Kinder habe.

Auch in Österreich macht die FPÖ Propaganda, sie unterstützen rechtsradikale Kräfte, zum Beispiel Orbàn in Ungarn. In der österreichischen Gesellschaft spürt man eine Unruhe, sie ahnen, dass Bedrohung kommt. Aber viele Menschen projizieren dies auf die muslimische Bevölkerung, I mean come on? Ihr habt Russland, Ungarn und die Slowakei in eurer Nähe und die FPÖ im Parlament aber die Muslime sind euer Feind?

B: Ich denke viele Österreicher*innen realisieren das nicht.

       Wie Exil Kunst und Leben verändert

Als Russland 2022 die Ukraine angegriffen hat und der Krieg begonnen hat, bist du selbst mit deinen zwei Kindern nach Wien geflüchtet. Deine Kunst hat sich schon zuvor mit Gewalt die durch politische, religiöse oder ideologische Unterdrückung entsteht, auseinandergesetzt. Wie hat sich dein Werk durch die Flucht, durch das neue Leben und natürlich auch durch die neue politische Situation in der Ukraine verändert?

KL: In der Ukraine haben mich andere Dinge gestört, da hatte meine Malerei einen anderen Kontext. Hier bedrücken mich neue Themen, wie die Hetze gegen ausländische Personen. Ich habe zum Glück gute Freund*innen gefunden und bekomme viel Unterstützung von Österreicher*innen. Ich bin glücklich mit meinem Umfeld hier, aber es gibt viele Menschen, die weniger privilegiert sind, weil sie beispielsweise nicht weiß sind oder einen anderen kulturellen Hintergrund haben.

Und zu meiner Kunst: kurz nach meinem Umzug stand ich extrem unter Adrenalin, ich habe nicht nachgedacht, ich habe einfach gemacht, was ich in diesem Moment machen musste, das war eine seltsame Zeit. Alle Zweifel gingen weg und ich habe einfach überlebt. Und dann kamen langsam alle diese Gedanken zurück und ich hatte eine Identitätskrise. Denn nach dem ersten Kriegsjahr waren die Erfahrungen der Ukrainer*innen sehr unterschiedlich. Es verändert dich, wenn du zwei Jahre in einem Land lebst, das bombardiert wird oder wenn du dich zwei Jahre lang in eine andere Gesellschaft integrierst. Hier sagen mir die Menschen ich bin Ukrainerin, aber dort sagen sie man gehört nicht mehr zu ihnen und plötzlich weiß man nicht mehr, wer man ist. Deshalb habe ich angefangen mit Transformation und Prozess in meiner Malerei zu arbeiten. Außerdem konnte ich verstehen, weshalb es sinnvoll ist, wenn Künstler*innen für die klassische Kunstausbildung in anderen Ländern leben. Du verstehst nämlich, dass alles konstruiert ist, alle Einstellungen, alle Meinungen und Ideologien. Es war eine wichtige Erfahrung für mich zu sehen, dass diese divergieren können und ich sie von einer anderen Seite sehen konnte und erkennen, dass alles ganz anders sein kann: Träume, Utopien, Vorstellungen. Andererseits konnte ich in Europa viel mehr Kunst sehen. In der Ukraine betrachtest du die Arbeiten deiner Kolleg*innen und manchmal auch von älteren Künstler*innen, davon wurde allerdings einiges zerstört oder zensiert. Wir haben nur wenige Institutionen, die systematisch arbeiten. In Europa konnte ich viele meiner Lieblingskünstler*innen sehen. Das war für meine Entwicklung sehr wichtig. Beacon, Miriam Kahn, Chagall und alle meine Lieblingskünstler*innen im Museum zu sehen hat mich beeinflusst.

“Dann bist du keine Künstlerin mehr, sondern Mittel zum Zweck”

B: Ich habe mir im Internet dein CV angeschaut und ich habe gesehen, dass du seit der Flucht nach Österreich unheimlich produktiv warst. Du hast sehr viel gemalt und auch an vielen Ausstellungen teilgenommen. Ich habe mich gefragt, ob Kunstproduktion, in Bezug auf die aktuelle Situation in der Ukraine, für dich auch ein Act of Resistence ist?

KL: Das war zu Beginn sicher so. Kunst war das einzige, was ich machen konnte. Aber es ist auch ein Bedürfnis von mir viel Kunst zu produzieren, war es bereits vor dem Krieg. Der Unterschied ist nur: früher wollte mich niemand zeigen. Aber jetzt schauen die Menschen auf meine Bilder und auf die meiner Kolleg*innen. Ich hatte diesen naiven Gedanken, dass ich darin zeigen werde, was eigentlich passiert ist und die Menschen dann verstehen, dass Russland die Gewalt in meinem Land verschuldet hat und die Ukraine noch mehr Hilfen bekommen muss. Rational habe ich jetzt verstanden, dass Kunst nicht diese Macht hat. Ich mache verständlich, dass Gewalt schlecht ist, aber nichts ändert sich.

B: Du hast bereits aufgegriffen, dass in den letzten Jahren viele Institutionen, hier in Österreich oder im Rest von Europa, immer mehr auf ukrainische Künstler*innen achten und sie ausstellen, vor allem im Zusammenhang mit dem Krieg. Hast du manchmal als Künstlerin das Gefühl, dass du die Rolle einer Kriegskorrespondentin übernimmst und findest du, das ist eine Rolle, die Künstler*innen einnehmen sollten?

KL: Ich denke, dass Künstler*innen alles sein können, das sie wollen. Ich hatte diese Rolle und später wollte ich nicht mehr damit assoziiert werden. Es ist auch traumatisch, wenn Menschen dich nur im Zusammenhang des Kriegs brauchen, dann bist du keine Künstlerin mehr, sondern ein Mittel zum Zweck. Ich möchte Künstlerin sein und nicht Künstlerin des Krieges. Andererseits hat es mir auch geholfen die Erfahrungen, die ich in der Ukraine gemacht habe, zu teilen. Ich kann aber auch keine Kriegskorrespondentin sein, weil ich nicht mehr dort bin und nicht nachvollziehen kann, wie die Situation gerade ist. Ich kenne Künstler*innen, die im November In Kyiv wochenlang ohne Wasser und Strom saßen, sie können diese Erfahrung in ihre Kunst aufnehmen, ich kann das nicht. Aber ich habe anderes erlebt und habe auch genug zu sagen. Ich habe schon immer mit universellen Themen gearbeitet, die jede*n berühren. Das ist mir wichtig und es hilft mir, das Erlebte zu verarbeiten.

B: Ich hoffe es ist trotzdem in Ordnung, dass wir über den Krieg gesprochen haben.

KL: Es ist unmöglich, nichts über den Krieg zu sagen. Es ist ein Trauma, das ich mit mir trage, es hat mich verändert.

Kateryna Lysovenko in ihrem Studio /// Anja Pöttinger ©

B: Um das Thema zu wechseln möchte ich dich etwas zu deiner Arbeit im Museum of Modern Art in Warschau fragen. Du hast dort in einem gesamten Raum direkt an die Wände gemalt. Als ich den Raum betreten habe, musste ich sofort an deine Arbeit auf der Biennale Matter of Art in Prag denken, bei der die Leinwand halbkreisförmig, wie ein Raum im Raum, angeordnet war. Die beiden Malereien unterscheiden sich zwar in Ästhetik und Stil, aber haben denselben raumübergreifenden Charakter. Ist das etwas, womit du öfter arbeitest?

KL: Ich habe in meiner Praxis zwei verschiedene Richtungen, zwei unterschiedliche künstlerische Identitäten. Wenn ich mit dem Raum arbeite, zum Beispiel in einer Institution, gibt mir dieser ein Gefühl von Zeit und von der menschlichen Körperlichkeit. Auf der Leinwand muss man sich dies alles selbst konstruieren und dann füllen. In einem Raum wird die Hälfte vom Raum für dich gemacht.

Kateryna Lysovenko, Museum of Modern Art in Warsaw /// Foto: Pat Mic ©

B: Welche Reaktionen erhoffst du dir generell von Menschen, die deine Arbeiten sehen? Welche Gefühle oder Gedanken sollen bei ihnen aufkommen?

KL: Das ist auch eine Sünde, die ich aus dieser sozialistischen künstlerischen Schule mit mir trage. Ich habe gelernt, wie ich Menschen mit meiner Kunst beeinflussen kann, wie ich in ihnen welche Gefühle hervorrufen kann. Genau deswegen möchte ich Menschen nicht vorschreiben, was sie fühlen sollen. Ich möchte in meinen Werken meine Gefühle und meine Gedanken ausdrücken und das, was du daraufhin fühlst, ist deine Verantwortung.

In der Kunstakademie habe ich zum Beispiel monumentale Malerei gelernt, mit dem Ziel, Menschen zu leiten. Deshalb unterbreche ich absichtlich die Regeln dieses Stils, damit ich diese Wirkung vermeiden kann. Die Idee, die Gefühle von Menschen zu beeinflussen, hat für mich einen autoritären Ansatz und davon möchte ich mich selbst und andere Menschen befreien.

B: Sehr gute, starke Antwort. Nachdem es in unserem Gespräch ausführlich um die Vergangenheit ging, möchte ich dich abschließend fragen, was du dir für die Zukunft wünschst?

KL: Das ist eine sehr schöne, aber sehr schwierige Frage. Ich wünsche mir einiges. Ich wünsche mir, dass wir in einer freien Welt ohne Autoritarismus leben und die Menschen verstehen, dass Freiheit nicht von allein kommt, sondern wir ununterbrochen daran arbeiten müssen. Aktuell ist unsere Freiheit regressiv, da Menschen nicht schätzen, was sie haben und sich deshalb nicht vorstellen können, was sie verlieren können. Außerdem sollen Europa und die USA ihren eigenen Imperialismus hinterfragen. In meinen Augen sollte es keine erste, zweite und dritte Welt geben, sondern die ganze Welt sollte zur ersten Welt werden.

Für mich selbst wünsche ich mir, dass ich lerne mit meinen inneren Problemen umzugehen. Natürlich wünsche ich mir auch, dass die Ukraine den Krieg gewinnt und frei wird und meine Verwandten und alle Menschen, die ich liebe und kenne, überleben. Ich wünsche mir das für alle Menschen, die von jemandem geliebt werden.