Bohema Magazin Wien

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Na wos is?

Ein brandneues Kritikformat für das Wiendebüt eines (nicht mehr ganz so) neuen Chefdirigenten: Endlich kamen die Berliner Philharmoniker mit Chef Kirill Petrenko und Sir András Schiff auch nach Wien.

Chefdirigent Kirill Petrenko und seine Berliner*innen /// Musikverein (c)

Na, gestern wieder im Konzerthaus gewesen? Batiashvili, Capuçon, Thibaudet?

Das hätte ich mir privat gegönnt, überraschend bekam ich aber kurz vor knapp doch noch eine Pressekarte in den Musikverein.

Oho, war das nicht das Antrittskonzert von Kirill Petrenko als Chefdirigent der Berliner?

Hallo, gendern bitte! Berliner*innen, wenn schon.

Das machen die ja selbst nicht, es heißt doch Berliner Philharmoniker.

Mal schauen, wie lang noch... Aber ja, seit ’19 ist Petrenko im Amt, endlich hat er es zu uns geschafft, mit dem wohl besten Orchester der Welt.

Halt, stopp, das sind immer noch die Wiener!

Na hier in Wien ganz bestimmt. Jedenfalls war the concert to attend ausnahmsweise im Musikverein, gegen Sir Andás Schiff (auf seinen Titel besteht er fast so sehr wie Karajan, wegen dem sogar das Gesetz geändert wurde, damit er Herbert von bleiben darf) und das Berliner-Debüt kam auch das Startrio im Konzerthaus nicht an.

Die Kritiken aus Berlin waren doch eher mau, die zwei hätten sich nicht gefunden oder so.

Komm mir nicht mit irgendwelchen Kritiken aus Berlin, das war ein Hammer Konzert! Ich geb’s zu, im ersten Brahmssatz schien sich Schiff nicht ganz zu Hause zu fühlen. Nicht zu vergleichen mit seinem Mozart im Herbst. Jetzt war seine gläserne Feinheit manchmal irgendwie fehl am Platz. In anderen Momenten war es aber genau diese Feinfühligkeit (wie die debussyesque Klangmalerei bei 12:55, das war göttlich), die den Goldenen Saal erst recht vergoldete. Tat mir diesmal übrigens fast in den Augen weh, all das Gold, ich war in diesem Jahr ja noch gar nicht da...

Jetzt nicht abschweifen, das interessiert keinen. Wie ging’s weiter?

Es wurde noch besser! Der zweite Satz (19:10) ist auch rein musikalisch eine Steigerung, Schiff kam endlich so richtig an in Wien, schöpfte mehr aus dem Vollen.

Wieder so eine Klischee-Kritikerformulierung. Was soll das bitte heißen?

Dass er die vollen Akkorde so richtig mit Schmackes spielte.

Aha... Und weiter?

Der Dritte (28:40) ist Traummusik, angeführt von den Celli. In seinem neuesten LAB hat Currentzis gerade an diesem Satz gearbeitet, mit Alexandre Kantorow (wirklich sehenswert). Mir gefiel das romantische Espressivo, das er den Celli abverlangte, so sehr, dass ich einen Ausschnitt sogar als Weckermusik einstellte.

Du bist ein Freak...

Hab ich mittlerweile gedroppt, so früh am Morgen ist das doch zu viel des Guten… Petrenko hatte aber eine ganz andere Vision. Zunächst klang das, wie die Version, die die SWR-Cellist*innen Currentzis beim allerersten Anlauf auftischten. Also eher nüchtern. Nach der ersten Enttäuschung merkte ich aber, wo Petrenko damit hinwollte: Der große Bogen kam so viel stärker raus. Das etwas schnellere Tempo, die Leichtigkeit, das war keine Arie, wie bei Currentzis, eher ein süßer Frühlingswind. Der Einsatz des Klaviers (31:20) war dann fast psychedelisch intense, die Erde drehte sich langsamer. Vielleicht das Highlight des Konzerts.

Was soll ich jetzt mit Bernstein und Zimerman? Der eine ist schon tot, der andere spielt kaum noch.

Sorry, von Schiff gibt’s keinen Brahms auf Youtube, ist nur zur Orientierung. Vielleicht hört sich ja jemand dieses göttliche Stück an, wenn ich schon mal darüber schreibe.

Hat der Schiff immerhin eine Zugabe gespielt?

Er ließ sich lange bitten, wir klatschten aber unerbittlich weiter, bis er doch noch einen Brahms spielte. Ach, ich liebe ihn schon sehr, mit seinem feinen Touch!

Als oppositioneller Exilvierteljude aus Ungarn mit Italientick musst du ihn ja förmlich lieben...

Apropos, ich habe ihn in der Pause persönlich gefragt, ob er wieder in Budapest auftritt, wenn am 4. April die vereinigte Opposition endlich Orbán verjagt.

Du hast mit Sir András Schiff gesprochen???

Mach ich doch immer so, in der Pause Leute anquatschen. Erst die Klaviermänner, ob es denn wirklich sein Klavier sei. War nämlich ein Steinway, ich dachte, er wäre Bösendorferfan. War aber seiner, ein Schiff reist natürlich mit dem eigenen Flügel an. Dann sprach ich mit einem bezaubernden alten Paar, das im Parterre sitzenblieb. Tolle Menschen, kulturaffine Urgroßeltern, waren angetan. Hopp, und da sehe ich, wie der Schiff reinläuft. Er hielt in der VIP-Reihe kurz an, ich packte es aber nicht, ihn anzusprechen, zu viele Leute. Aufgeben war aber keine Option; es dingelte schon, ich verfolgte ihn aber die Treppe hoch bis zur Direktionsloge und erwischte ihn kurz vorm Reingehen. Sein Ungarisch war schon leicht eingerostet, er betritt das Land seit 2011 gar nicht mehr. Falls sich was verändert, spielt er wieder in Budapest, sagte er mir. Die Chancen stehen nicht sehr gut, immerhin gibt es eine vereinte Oppostion. Am 3. April wird gebibbert.

Chapeau, du hast ihn wirklich erwischt. Wie waren die Berliner*innen überhaupt?

Toll, das war aber eh klar. Ob sie noch die Hüter*innen des legendären deutschen Klangs sind, kann ich aber nicht sagen.

Das ist doch eh nur so ein mystisches Gelaber...

Tendiert manchmal in die Richtung, ganz erfunden ist das aber nicht. Jedenfalls hat der Petrenko große Schuhe zu füllen. Die Vorgänger (Furtwängler, Karajan, Abbado, Rattle) sind Legenden. Gespielt wurde Zráni, eine märchenhaft-fiebrig klingende symphonische Dichtung von Josef Suk. Hatte schon etwas, dieses kaum bekannte Stück nicht von dem Oberduslinger Orchesterverein, sondern gleich vom besten, pardon, zweitbesten Orchester der Welt interpretiert zu hören. Zum Schluss wurden rechts alle Türen geöffnet, aus dem Off schwebte der Gesang eines Frauenchores (Singverein) herein. Wie ein Geisterchor, ziemlich gruselig. Vielleicht sollte das die verstorbene Frau Suks sein, (übrigens die Tochter von Dvořák). Als dann Petrenko zum Schluss die Stille hielt, flüsterte ein alter Wiener direkt hinter mir: na wos is?

A very viennese ending... Was soll es eigentlich mit diesem seltsamen Kritikformat? Woher hast du die bekloppte Idee überhaupt?

Jetzt nicht gleich so grantig sein, ist doch mal was Neues.... Schon als mein Lieblingslehrer in der Schule den Platonischen Dialog vorstellte, fand ich das sehr einleuchtend. Manchmal gibt’s auch im Guardian Artikel, in denen so ein zynischer Frager wie du die Chose bereichert. Die Idee kam aber (wie alle meine Besten) in einer schlaflosen Nacht, urplötzlich. Jetzt schauen wir erst, wie das ankommt, vielleicht mach ich sowas wieder mal.

Na geh, das will doch niemand haben...