Bohema Magazin Wien

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One really could have … on that

Ein Celloklang, der 100k Follower locker rechtfertigt und eine Late-Night-Show mit zwei lustigen Franzosen und einem deutschen Moderator - Das Eröffnungskonzert im Musikverein mit Gautier Capuçon, Alain Altinoglu und den Wiener Philharmonikern.

Die zwei französischen Stars des Abends /// Musikverein, Dieter Nagl (c)

Gautier Capuçon ist die Eleganz in Person. Im blauen Dreiteiler und mit Fliege verbeugte er sich mehrmals würdevoll, wie vor einem Herrscher, bevor er mit seinem Cello vor den Wiener Philharmonikern Platz nahm. Dann hatte er erstmal gute paar Minuten Zeit, um sich mit dem dicken Philharmonikersound vollzupumpen und gut auszusehen: ping, ping, zwei Häkchen. Dabei drehte er sich mehrmals um und war sichtlich beeindruckt (obwohl er Dvořáks Cellokonzert am häufigsten spielt, wie er im Nachgespräch verriet). Was Alain Altinoglu aus dem Orchester kitzelte, war tatsächlich mitreißend.

Welch Sound!

Der erste Einsatz von Capuçon lieferte gleich den Grund, warum der Mann 100k Follower auf Insta hat (in der Klassikwelt eine Ansage). Er sieht nicht nur aus, wie er aussieht, er hat auch einen eigenen, erkennbaren Sound. Und was für einen. Der ist in der Mittellage ganz leicht rau, wie irgendeine edle Oberfläche, deren feine Struktur beim Streicheln spürbar an der Haut reibt, in der Höhe karamellig-singend und in der Tiefe männlich, sonor und stets durchsetzungsstark.

Capuçon scheint auf viel Kolofonium zu stehen (das klebrige Zeug, das Streicher*innen auf die Bogenhaare reiben, damit die Haftreibung erhöht wird) und genießt es besonders, mit dem Bogen an der Seite zu kleben, zwischen den Tönen so wenig Luft zu lassen, wie möglich, am besten leicht zu gleiten. In Zusammenspiel mit seinem wohldosierten Vibrato entstand so eine stark spätromantische Interpretation, ganz im Sinne Dvořáks.

One really could have ... on that

Altinoglu dirigierte mit viel Körpereinsatz, dass seine Locken nur so schüttelten. Obwohl ich den Sichtkontakt einiger Hinterbänkler*innen zum Pult oft vermisste, kamen seine Ideen an beim Orchester. Der Ausklang des ersten Satzes steigerte sich zu einem bombastischen Gefühlsorkan. One really could have ... on that, sagte mir jemand in der Pause dazu. Good Point, war in der Tat ziemlich sexy. In der kurzen Kadenz im zweiten Satz durfte Capuçon kurz allein spielen. Wie gut Celloklang schmeckt, ging mir durch den Kopf, erst recht, wenn die tiefen Saiten derart ausgekostet werden. Ich müsste meins dringend wieder auspacken. Der vollgepackte Musikverein erzwang sich im Anschluss eine Zugabe: Das Lied an den Mond aus Rusalka, kündigte Capuçon mit sexy französischem Akzent an.

Die Philharmoniker sind so etwas wie ein Real Madrid der Orchesterlandschaft. Real gewinnt so oft, weil die Spieler so fest dran glauben, sie seien die besten. Ähnlich unerschütterlich kommt mir der Glaube an der eigenen Exzellenz bei den Philharmonikern rüber. Diese Selbstbewsusstseinswelle reiten sie in der Regel sehr erfolgreich, nur selten schwappt sie über und begräbt die (manchmal recht stolzen) Musiker*innen unter sich. César Francks Sinfonie in d-moll saß, die Kombination aus einem französischen Dirigenten mit einem Wiener Orchester war für dieses Werk, das die französische und die deutsche Tradition verbindet, perfekt. Wer dieses großartige Werk nicht kennt, dem sei die verlinkte Aufnahme wärmstens empfohlen. Mir hängt das Hauptmotiv immer noch im Ohr.

Nach dem Konzert schoben sich die Massen in den Keller: Im Gläsernen Saal fand das erste Auf ein Glas-Gespräch überhaupt statt. Eine Innovation des neuen Intendanten, Stephan Pauly leitete höchstpersönlich das Gespräch in Late-Night-Style. Wie viele von den Schaulistigen draußen blieben, weiß ich nicht, es passten leider nicht alle rein. Da kommt einem die VIP-Behandlung als Journalist doch gelegen. Aus der zweiten Reihe konnte ich so die zwei Künstler bestaunen. Capuçon verschwand fast im riesigen Sessel, machte aber mit seinen helllilanen Socken und als geübter Showman auf sich aufmerksam.

Eine Maske tiefer

Es gibt Konzerten eine neue Dimension, wenn man die Chance bekommt, die Künstler*innen danach persönlich zu erleben. Nachdem Capuçon mit seinem fast karajanesque mitfühlendem Gesichtsausdruck im Konzert ein wenig abgehoben rüberkam, war ich erfreut zu merken, dass er ein grundsympathischer und sehr inspirierender Mensch ist. Mein Altinoglu-Eindruck veränderte sich ebenfalls nach dem Gespräch, auch er kam menschlicher, echter rüber.

Beide scherzten beherzt (Capuçon auf die Frage, was ein Dirigent macht: „Not much.“), wir erfuhren einiges über das Instrument von Capuçon (er hat es gekauft, muss daher noch ein paar Jahre spielen...), dass Altinoglu als Teenager die erste Pariser Orgel von Franck spielte (auf dessen Pfeife steht: Ich wurde von Franck bespielt) und jede Menge romantische Insiderstories zu den Stücken. Pauly moderierte sehr gekonnt, stellte schlaue Fragen, wirkte dabei hochprofessionell und recht ‚deutsch‘ wie in Wien manch eine*r sagen würde. Und dann spielten sie nochmal, das göttliche Fauré-Lied Après un rêve, das in der Vorwoche schon Sabine Devieilhe im Konzerthaus sang. Apropos, dort wird am Dienstag noch einmal das gleiche Programm gegeben. Vielleicht gebe ich mir das sogar selbst noch einmal...