Bohema Magazin Wien

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Past Lives – (Liebe) zwischen zwei Kontinenten

Celine Songs Debütfilm ist ein ruhiges, selbstreflexives Werk, das seine eigene Tragik mit erfrischender Gelassenheit nimmt.

Südkorea, USA /// A24 (c)

Past Lives ist ein Film zwischen den Kontinenten. Eine koreanisch-kanadische Regisseurin inszeniert einen Film über das Leben einer aus Südkorea stammenden, in den USA lebenden Frau und das Ganze ist dazu noch eine US-amerikanisch-koreanische Koproduktion. Dies endet schließlich in einem Werk, das in seiner Kombination einer amerikanisch konnotierten Tränendrama-Prämisse und dem subtileren Inszenierungsmodus zeitgenössischer koreanischer Arthouse-Dramen wirklich angenehm daherkommt. Nicht viele Filme gehören gleichzeitig zu den besten nordamerikanischen wie asiatischen Filmen des bisherigen Jahres.

Der Film erzählt die Geschichte der Dramaturgin Nora Moon bzw. Young Na (Greta Lee), die (wie die Regisseurin) in Südkorea aufgewachsen und als zwölfjähriges Kind mit ihren Eltern nach Kanada gezogen ist. Ausführlich wird uns hierbei das letzte Treffen mit ihrem Kindheitsfreund- und crush Hae Sung (Yoo Teo) geschildert. Auf verschiedenen Zeitebenen betrachten wir schließlich deren Beziehung bzw. Nicht-Beziehung. Zwölf Jahre nach der Durchtrennung ihres kindlichen Bündnisses finden sie sich durch das Internet wieder, nehmen obsessiven Online-Kontakt auf und noch einmal viel später kommt es endlich zu einem physischen Treffen zwischen Hae Sung und der mittlerweile mit dem US-amerikanischen Autoren Arthur (John Magaro) verheirateten Nora.

Die Idee der unmöglichen Liebe ist sicherlich nichts Neues. Wie auch die Figuren etwas ironisch reflektieren, ist diese bereits das zentrale Thema in Werken von Shakespeare bis hin zum Hollywood-Melodram - siehe etwas die durch Klassendifferenz unmöglich gemachte Liebe in Douglas Sirks All That Heaven Allows. In diesen Filmen sind auch oft verpasste Chancen konstituierend. Gefühle, die sich zu spät gestanden werden oder die Aussprache mit der Mutter, die durch deren Tod unmöglich gemacht wird. Immer fließen Tränen. Eine romantische Beziehung wäre auch in diesem Film bei anderem Handeln vermutlich schon lange möglich gewesen.

Celine Song mit Hauptdarstellerin Greta Lee /// A24 (c)

Einmal ohne Kitsch, bitte!

Von diesen etablierten Melodramen unterscheidet sich Past Lives jedoch erheblich. Celine Song verzichtet nämlich auf den ganzen Kitsch, der mit dem Genre verbunden ist. Hier steht das Unaufgeregte im Mittelpunkt, das Akzeptieren der verpassten Gelegenheiten und tragischen Situationen. Am deutlichsten wird diese Abkehr von der melodramatischen Norm wohl in der Darstellung des Ehemanns der Protagonistin. Dieser akzeptiert das Aufeinandertreffen der ehemals (?) Verliebten und verhindert somit, wie er selbst in einer Szene reflektiert, die altbackene melodramatische Schaffung des bösen Ehemannes, der zwischen den charismatischen Liebenden steht. Das Publikum in meiner Vorstellung hat ihn in seiner Gelassenheit häufig sogar als eine Art Comic Relief rezipiert und ausgiebig gelacht (er hat auch ein Buch namens „Boner“ geschrieben???).

Diese Unaufgeregtheit hängt wohl mit der zentralen Rolle des koreanischen Konzepts „In-Yun“ zusammen. Demzufolge werden die Schicksale nie als absolut endgültig betrachtet, selbst wenn die Figuren in diesem Leben nicht mehr zusammenfinden. Menschliche Verbindungen erstrecken sich viel mehr über mehrere Leben. Trotz all der Zurückhaltung (und Langsamkeit) spart der Film jedoch nicht an Schönheit. Hier dürfen zwischen den eh schon großartig gefilmten Stadtaufnahmen auch mal hyperstilisierten Aufnahmen von ländlichen Gartenlandschaften, die stark an Gone with the Wind erinnern, eingestreut werden. Ebenso bleiben die großen Gefühle nicht aus. Die letzten drei Minuten stellen trotz oder gerade wegen ihres Verzichtes auf „manipulative“ Tränendrück-Effekte vermutlich den emotionalen Höhepunkt des bisherigen Kinojahres dar.

Entfremdete Welten

Past Lives erinnert in Inszenierungsmodus und Thematik an einige weitere Filme, die in den letzten Jahren die Erfahrungen asiatischer Migrant*innen in Europa und Nordamerika beleuchtet haben. Hier fällt beispielsweise der großartige Film Return to Seoul ein, der die Suche einer in Südkorea geborenen Französin nach ihren leiblichen Eltern in Seoul begleitet.

Beide Filme behandeln eine Konfrontation mit der Vergangenheit, eine Suche nach Identität und zerstreute familiäre wie freundschaftlich-romantische Beziehungskonstellationen. Sie stellen auch Fragen über die Verbindung der Frauen zu Korea und der eigenen Entfremdung zu dessen Kultur. Themen, die hier vor allem in der direkten Konfrontation von Nora und Hae Sung verhandelt werden. Nora spricht etwa davon, dass sie sich im Zusammensein mit Hae Sung gleichzeitig besonders ausgeprägt wie auch kaum koreanisch fühlt. Auch Klassenfragen werden aufgeworfen. Noras (und Celine Songs) Eltern sind relativ gutgestellte Künstler*innen und ziehen mit ihr für eine bessere Perspektive nach Kanada. In Amerika hat sie zwar noch nicht den Pulitzerpreis gewonnen, aber sie ist beruflich erfolgreich. Hae Sungs Leben hingegen verläuft deutlich bescheidener.

Die Treppenszene: “Ein Stilmittel, was derzeit vor allem durch Bong Joon-ho populär ist, man denke beispielsweise an die metaphorische Architektur in Parasite” /// A24 (c)

Auch Bildsprache kann diese Dramaturgin

Besonders stark agiert Celine Song hierbei in ihrer Bildsprache. Bei ihrem letzten Nachhauseweg in Südkorea trennen sich die Wege der kindlichen Hauptfiguren. Nora (bzw. dort noch Young Na) nimmt rechts die Treppen ins höher gelegene Wohngebiet, während Hae Jung links den flacheren Weg einschlägt. Ein Stilmittel, was derzeit vor allem durch Bong Joon-ho populär ist, man denke beispielsweise an die metaphorische Architektur in Parasite. In seinem frühen Kurzfilm White Man wird sogar genau dieselbe Treppenmetapher verwendet. Past Lives brilliert also in seiner Visualität nicht nur mit perfekt rationierter Schönheit, sondern durchaus auch durch eine ausdrucksstarke Bildsprache. Von der genialen Einstiegssequenz, in der wir als Voyeur*innen zusammen mit irgendeiner unwichtigen Nebenfigur versuchen, die Beziehung der Figuren zu deuten, brauche ich gar nicht erst anzufangen…

Past Lives ist ein Film für alle. Egal ob Fan von koreanischem Film oder schönen tragischen Dramen, die dann doch eigentlich gar nicht soooo tragisch sind. Celine Song Debüt stellt mit einer virtuosen Visualität und einer perfekten Mischung aus Zurückhaltung und Tränendrüse ohne Holzhammer einen wundervollen Eintrag in das internationale Kino über die Leben asiatischer Migrant*innen in Europa und den USA dar. Wir sollten auf die nächsten Projekte der Filmemacherin gespannt sein – hoffentlich noch in diesem Leben.