Bohema Magazin Wien

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Perfect Days: Wim Wenders is Back Baby!

Durch tägliches Toilettenputzen, Kassettenhören und Lesen zum Glück? Die deutsche Regielegende hat mit seinem neuen Film zu alter Größe zurückgefunden.

Der Protagonist gespielt von Kōji Yakusho /// DCM (c)

„Oh, it’s such a perfect day”, singt Lou Reed, aber ich glaub’s ihm nicht. Es liegt an der melancholischen Begleitung und daran, dass er leicht zu tief singt, die Töne scheinbar gar nicht treffen möchte. Dieser bittersüße Evergreen ist fast der titelgebende Song zu Wim Wenders‘ neuem Film Perfect Days. Der musikliebende Protagonist Hirayama hört ihn auf Kassette und im Abspann wurden wir dann mit einer Instrumentalversion berieselt, während wir baff in unseren roten Kinosesseln saßen.

Wenn man genau auf die Lyrics hört, passt der Song nicht mehr ganz, im Gegensatz zu Reed hat der perfekte Tag des Wenders’schen Heldes nichts mit einer zentralen Gegenfigur zu tun. Hirayama ist ein Kloputzer aus Leidenschaft, ein Literaturfan, ein Hobbyfotograf, ein Beobachter, ein moderner Eremit. Reden tut er ungern und selten, er ist introvertiert und hat sich ein scheinbar perfektes kleines Leben aufgebaut. Ihn begleitet der Film durch seinen fast religiös geordneten Alltag, der immer wieder durch äußere Einflüsse gestört wird.

Fuck The Guardian

Was macht einen guten Film aus? Ich finde, es ist genau, wie bei einer Operninszenierung: Je effektiver man zum Nachdenken gebracht wird, desto besser der Film. Natürlich spielt da noch die Ästhetik, das Handwerk und noch dies und jenes eine Rolle. Der Guardian fand Perfect Days zu understated, mein Hirn hat er jedenfalls äußerst erfolgreich zum Rattern gebracht. Über Einsamkeit, Arbeit, Großstadtfeeling, analog vs. digital (Hirayama fotografiert analog, hat keinen Internetzugang, hört Kassetten), tägliche Rituale und vieles mehr. Ist das nicht ein Erfolg?

Hier putzt sich Hirayama mal selbst /// DCM (c)

Struktur geben dem Film nicht nur die einzelnen Tage und die damit einhergehenden Repetitionen, sondern auch die Träume Hirayamas, die in schwarz-weißen, körnig-verschwommenen Bildern (gestaltet von Wenders Frau Donata) Einblick in die Reflexionen und in die Traumata der Figur geben. Einblick gibt der Film auch in die japanische Kultur, macht sogar richtig Lust, hinzufahren, Streetfood zu essen, die Designertoiletten in Tokyo auszuprobieren. Die waren auch der Aufhänger für den Film, eigentlich wurde Wenders beauftragt, einen Image-Kurzfilm über sie zu drehen. Stattdessen schrieb Wenders aber mit dem Schrifsteller Takumi Takasaki einen Spielfilm, zu meinem großen Glück.

Der Himmel über Wenders strahlt wieder

Mit Perfect Days ist ihm nämlich endlich wieder ein großer Wurf gelungen. Seine letzten zwei Spielfilme (Grenzenlos und Die schönen Tage von Aranjuez) habe ich gar nicht geschaut; hauptsächlich, weil sie von der Kritik ziemlich eintönig zerrissen wurden. Mit Paris, Texas und Der Himmel über Berlin hat er aber zwei meiner All-Time-Lieblingsfilme gedreht; Buena Vista Social Club habe ich zwar nie gesehen, die Musik bedeutet mir aber sehr viel. Perfect Days wurde in Cannes ausgezeichnet und ist unter den 15 nominierten Filmen für den internationalen Oscar, als erster japanischer Film mit ausländischem Regisseur. Wim Wenders is back baby!

Der Film hat durchaus eine therapeutische Wirkung. Schaut euch um, bemerkt die Schönheiten der Welt um euch! Macht eure Arbeit gewissenhaft, sucht die Harmonie mit euch selbst! All das möchte man nach dem Film tatsächlich machen. Wenders zeigt die asketische Lebensweise Hirayamas mit viel Respekt, mit Liebe sogar. Und doch wird einem auch klar, dass die Flucht in die Arbeit, in sich selbst, in diese weltfremde, beobachtende Rolle auf die Spitze getrieben nie ganz funktionieren kann. Ob Hirayama an seinem Lebenswandel ändert und einen tieferen Kontakt zu seinen Mitmenschen sucht, wird nicht eindeutig beantwortet. Ich freue mich jedenfalls, mit Lou Reed mitzusingen: „Oh, it’s such a perfect day / I’m glad I spent it with you“