Bohema Magazin Wien

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Postmoderne im Konzerthaus

Kitscheskapaden in einem Violinkonzert à la Disney, eine Universalsinfonie und eine Uraufführung: Das RSO unter Marin Alsop mit Heliosis von der jungen Wienerin Hannah Eisendle.

Hannah Eisendle, die Komponistin der Uraufführung /// Elfie Miklautz (c)

Freitagabend im Konzerthaus, die Wiener Bürgerlichkeit trifft sich mal wieder zum Abonnementkonzert. Doch das angekündigte Programm lässt das Publikum schon murmeln und spekulieren, dass hier und heute etwas Unerwartetes, Unvorgesehenes geschehen könnte. Eine Uraufführung! Ein Kompositionsauftrag! Und das auch noch von einer jungen Frau!

Das ORF-Radio-Symphonieorchester unter Marin Alsop bettet das zur Uraufführung gelangende, siebenminütige Werk Heliosis in ein gefälliges Konzert mit dem Violinkonzert D-Dur von Erich Korngold und der 7. Symphonie Antonín Dvořáks ein. Und aus dieser Programmgestaltung lassen sich überraschenderweise rote Linien verfolgen – nur in chronologisch verkehrter Reihenfolge. Das Konzert scheint sich immer weiter Richtung Basis vorzutasten. Erst Korngold und dann Dvořák zeigen, mit welchem Material Komponist*innen der Postmoderne arbeiten. Deshalb beginnen wir von hinten, liebe Leser*innen!

Etwas mehr Kante bitte

Mit der Symphonie Nr. 7 zeigt das RSO, wie Dvořák versucht, eine universale symphonische Sprache zu etablieren. Entstanden in London legt der tschechische Komponist weitgehend folkloristische Anleihen ab und gibt sich stattdessen in formaler Perfektion tänzerischen Abschnitten, romantischen Melodielinien und monumentalen Anspielungen hin. Das ORF-Radio-Symphonieorchester spielt weitgehend ohne Ecken und Kanten. Was Dirigentin Alsop aber zugutegehalten werden muss: Sie fordert ein kraftvolles Spiel im forte wie im piano ein und konzentriert sich auf klare Dvořák’sche Betonungen.

Dem voraus geht an diesem Abend das Violinkonzert von Erich Wolfgang Korngold von 1945. Solist Ning Feng, auffallend leger und unaufgeregt, und Marin Alsop schaffen auf der Bühne eine Art Disney-Oper. Das Werk scheint die letztmöglich denkbare Progression der Romantik zu sein, so kitschig, so intensiv, so viel Vibrato. Jedes Mal endet die Kadenz exakt so schwülstig, wie man es bereits befürchtet hat. Das Spannende daran zeigt sich aber erst nach dem gutmütigen Applaus: Ning Feng spielt als Zugabe ein Bach-Largo und zeigt, dass er eben auch leicht, schmucklos und analytisch spielen kann. Er bleibt als Künstler in der Publikumserinnerung, der sich bescheiden hinter dem Werk einreiht.

Ein klebriger Sommertag überstrapazierter Sinne

Und was hat jetzt das siebenminütige Heliosis der 1993 geborenen Wienerin Hannah Eisendle mit romantischen Melodien, mit heißer Leidenschaft und Überfluss zu tun? Ihre kleine Form wirkt wie ein klebriger Sommertag überstrapazierter Sinne, der Wahrgenommenes collagiert und nebeneinanderstellt. In typisch postmoderner Manier folgt wartend-bedrohliches Wabern auf plötzlich rhythmische Stabilität, psychedelisches Flirren wird neben exzentrische Einwürfe gestellt. Eisendle scheint hier auf Hans Zimmer zu treffen, wenn Abschnitte wieder vor allem cineastisch klingen. Die Komponistin lässt hier romantische Melodien Dvořáks und die Überschwänglichkeit Korngolds umschlagen und dekonstruiert sie zu einem wilden Ritt durch die Extreme musikalischen Materials. Und wie Dvořák vor ihr versucht sie, zu einer Universalität zu gelangen, die möglichst alles miteinbezieht, alle anspricht, jeden mitnimmt.

Das RSO, aufgeschlossen und unaufgeregt, fährt dieses Konzert nach Hause wie ein jedes andere. Was an diesem Freitagabend im Konzerthaus geschieht, bringt wahrscheinlich nur musikhistorische Nerds mit einem Hang zur Analyse zur Ekstase. Und das Wiener Abonnent*innenpublikum? Es klatscht, es freut sich über die Repräsentation einer jungen Komponistin und genehmigt sich anschließend einen Spritzer.