Bohema Magazin Wien

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Regietheater at its best

Eine Opernaktualisierung über morallose Trittbrettfahrer, Alkoholismus und Revolution, die voll aufgeht: Die Ausflüge des Herrn Brouček macht dazu auch noch mächtig Spaß, also ab nach Brno!

Acht bier sind ca. 6 zu viel… /// Festival Janáček Brno ©

Eine Version dieses Artikels ist zuerst in der Presse erschienen.

Einen Artikel über Alkoholismus mit Bierlust beginnen? Yes we can. Warum auch immer, aber gleich neben einem metallisch glänzenden Braukessel schmeckt ein frischgezapftes Bier besonders gut. Bei Janáčeks Die Ausflüge des Herrn Brouček in Brno bekommt man diesen Effekt gleich mehrfach zu genießen: Zum einen wird hier exzellentes Bier gebraut, zum anderen war die Stadt gewissermaßen der Braukessel für Janáčeks Opern, die biennal beim Internationalen Janáček Festival Brno im Kessel selbst serviert werden.

So ein Messingkessel ist auch der Startpunkt der Abenteuer des grantigen Miethausbesitzers Brouček, Regisseur Robert Carsen lässt ihn aus seiner Stammkneipe darin zum Mond fliegen. Carsens Produktion reist im März mit Sir Rattle am Pult nach Berlin und später auch nach Madrid, der Regisseur war also gezwungen, aus Janáčeks Insidersatire über die Prager Gesellschaft seiner Zeit eine international verständliche Geschichte zu erzählen. Das erledigte Carsen mit Bravour, indem er die Handlung ins Jahr 1969 versetzte. Brouček trifft bei ihm auf dem Mond erst ein paar amerikanische Raumfahrer, eine Horde von herrlich skurril tanzender UFOs, dann landet er inmitten von vollgerauchten, farbenfrohen Hippies, die ‚Moonstock 69‘ feiern. Zum Schluss landet er inmitten bewaffneter Freiheitskämpfer*innen des Prager Frühlings, die den unwilligen Trinker zum Kämpfen bewegen wollen. Er versteckt sich aber lieber, als sich zerhacken zu lassen, will sich nur betrinken, genießen, wegschauen und trägt somit die Mitschuld am Scheitern des Aufstands.

Trump, Orbán und Co

Janáčeks Kritik am morallosen Trittbrettfahrer (ich glaube, hier gendere ich lieber nicht) ist leider nach 100 Jahren aktueller denn je, sei es auf der großen Bühne bei Trump, Benko oder Orbán oder im Alltag bei Klimaleugner*innen, Steuerhinterziehenden und Co. Auch andere Themen der Oper funktionieren mit oder ohne Aktualisierung, die UFOs konnten schon um 1920 kaum glauben, dass wir Tiere töten, um sie zu essen. Ein zentrales Thema ist der Alkoholismus, man muss wirklich Unmengen trinken, um solche abgefahrenen Fieberträume zu bekommen, wie sie Brouček erlebt (in seinem Fall sind es 8 Bier). In der Tschechischen Republik können das offensichtlich einige: In den meisten Statistiken zu Alkoholkonsum führt das Land weltweit. Allzu weit davon sind wir leider auch in Österreich nicht.

Carsens Inszenierung bereitet diese wichtigen Themen des Werks nicht nur gekonnt auf, sie unterhält auch gut. Dafür sorgen fulminante Tanzszenen, ein realistisches und variables Bühnenbild und historische Filmaufnahmen, die während Umbauten gezeigt werden. Das ist wirklich großes Kino, auch Dank Nicky Spence, der eine Idealbesetzung für den Brouček ist Er hat immer genug Stimmpower, um sich über das bunt besetzte Orchester (inklusive Dudelsack) durchzusetzen, ein authentisch wirkendes Tschechisch und spielt diese egoistische Version des Schwejk packend.

Nach dieser Oper vergeht dir der Bierdurst

Das Festival bietet in den kommenden Wochen noch einige Leckerbissen, inklusive szenischer Produktionen von Das Schlaue Füchslein und Jenůfa, sowie einem dreitägigen Gastspiel der Staatsoper unter den Linden aus Berlin. Über das Festival kommt man auch in Mies van der Rohes modernistische Villa zu Kammerkonzerten rein, diese Architekturperle ist sonst oft über Monate ausgebucht. Und bei der Festival-Nachlese wird Die Ausflüge des Herrn Brouček am 3. und am 4. Dezember nochmal gespielt, dafür lohnt sich ein Trip nach Brno auch dann, wenn man nach den acht Krügeln des Titelhelden und dem Hinweis auf unser gesellschaftliches Alkoholproblem nach der Oper kaum jemand Bierdurst hat.