Bohema Magazin Wien

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Regnerischer Rigoletto

Frauen mit dutzenden Brüsten, Fluch und Segen der Hightech-Stereoanlage der Seebühne und was Ghislaine Maxwell mit Rigoletto gemeinsam hat - ganz großes Kino bei den Bregenzer Festspielen.

Gilda im auf Ballonfahrt /// Bregenzer Festspiele / Karl Forster (c)

Sogar der Schweizer Regenradar kann irren, zu meiner großen Freude. Denn, nachdem es tagelang danach aussah, dass mein Abend bei den Bregenzer Festspielen im Regen ertrinken würde, flogen die schweren Regenwolken auf dem Radar kurz vor der Vorstellung an der Seebühne vorbei. Auch die Festspielleitung verlässt sich auf die Schweizer Zuverlässigkeit und so wurde der Rigoletto nicht ins Festspielhaus verlegt und so seiner spektakulären Inszenierung beraubt.

Doch die Schweizer lagen diesmal falsch, pünktlich zu Beginn legte der Regen los, um dann erst beim Schlussapplaus aufzuhören. Die 7000 Zuschauer*innen bevölkerten die stadionartig ansteigenden Plastiksitzreihen also in bunten Regenjacken. Auch die Ansage der Besetzung klang, wie ein Sportereignis, wir beklatschten die Sänger*innen wie die Schlussergebnisse irgendeines Radrennens.

Die teilbare Bühne /// Bregenzer Festspiele / Karl Forster (c)

Regisseur Philipp Stölzl setzte den Rigoletto aus dem Hof von Mantua in einen Zirkus der 20-er. So sticht Rigoletto, der Hofnarr, weniger aus den Hofleuten hervor, die in diesem Fall alle Artisten waren. Der Herzog, Pardon, Zirkusdirektor, erschien am Anfang über der Schar von jonglierenden und turnenden Untertanen im Mund des 35-Tonnen wiegenden Narrenkopfs im Zentrum der Bühne, wie in einer Loge.

Vergewaltigt und in den Bodensee geworfen

Nachdem ihm die riesige Hand auf der rechten Seite mit den beweglichen Fingern (bei der ersten Aufführung der Saison hakte sie noch, heute funktionierte alles wie geschmiert, bis hin zum Stinkefinger) eine Gräfin reichte, schloss sich der Mund, um dem Herrn Direktor beim Vergewaltigen ja auch genug Privatsphäre zu bieten. Die Entehrte wurde danach gnadenlos ins Wasser geschubst (insgesamt müssen knapp 10 Leute ins Wasser, im kalten Regen bestimmt kein Spaß; von unten passen drei Taucher auf, dass sie immerhin nicht ertrinken).

Wo soll man da hinschauen? /// Bregenzer Festspiele / Karl Forster (c)

Als der Vater des neuesten Opfers seinen Fluch auf den Herzog (und seinen Helfer Rigoletto) aussprach, teilte sich die runde Bühne in der Mitte und der Kopf tauchte bei roter Beleuchtung bis zum Mund ins Wasser. Die Inszenierung holte alles aus dem Bühnenbild raus, was wir erlebten, war durch und durch ein Spektakel. Oft wusste ich nicht, wo ich hinschauen soll, wenn oben auf dem Kopf und auf den verschiedenen Teilen der Bühne getanzt wurde – nur nicht schon wieder in deine Notizen, du Dödel…

Das Problem mit der Stereoanlage

Das Besondere in Bregenz ist, dass das Orchester zwar live spielt, aber im Festspielhaus nebenan. Es war etwas seltsam, auf den Bildschirmen links und rechts die bekannten Gesichter der Wiener Symphoniker zu sehen, ihren (immer wohlig-warmen) Sound aber aus der hypermodernen Stereoanlage zu hören. Die Festspiele sind mächtig stolz auf diese Anlage (man hört den Gesang tatsächlich aus der Richtung, wo gerade gesungen wird) und sie klingt auch toll. Aber eben doch, wie eine Anlage. Der Bass dröhnt stärker, wie gewohnt, der Surroundeffekt ist noch besser als in der Oper. Geil, aber wie in einem Wohnzimmer.

Rigoletto trägt seine Tochter Gilda auf den Händen /// Bregenzer Festspiele / Karl Forster (c)

Der Fluch traf den Falschen. Wie so oft kommt der große Fisch davon und der Kleine muss leiden. Rigolettos einzige Tochter wird vom Herzog verführt und ebenfalls vergewaltigt. Rigoletto schwört Rache, bezahlt einen Auftragskiller, den Herzog umzulegen. Die Schwester des Mörders verliebt sich aber in den Herzog und überzeugt ihn, falls jemand anderes eintreten sollte, diesen umzulegen. Gilda (von Hila Fahima sehr beherzt gesungen) hört das mit und opfert sich aus Liebe. Rigoletto erscheint und nimmt den Leichensack triumphierend, um darin seine sterbende Tochter zu finden. Zum Schluss flog Gilda im heliumgefüllten Heißluftballon fast 50 Meter hoch in den dunklen Regen (so hoch, dass die Festspiele jeden Abend mit der ESA in Kontakt stehen müssen), aus der Gondel wehte ein langes blaues Tuch heraus. Wirklich bewegend, mich rührte der Schluss fast zu Tränen.

Frauen mit dutzenden Brüsten, die hängend tanzen

Für die Seebühne war diese Inszenierung perfekt. Sie unterhielt gut, war stimmig aber auch rührend. Mein Highlight: Die berühmte Kanzone ‚La donna è mobile`, in der der Herzog beschwert, die Frauen seien launisch (wie ironisch, wenn das ein solcher Frauenverächter und Vergewaltiger singt) sang Ovidiu Purcel auf der linken Seite unter der großen Hand, auf dessen Fingern vier Frauen mit jeweils um die Dutzend Brüsten hingen, die zum Rhythmus seiner Peitsche in der Luft tanzten. Eine großartige Überübertreibung, die die Ironie der Situation unterstrich.

Neben dem Thema des übel mitgespielten kleinen Mannes ist Me Too ein weiterer Leitfaden der Oper. Der Herzog ist ein ‚klassischer‘ mächtiger Mann, der seinen Einfluss nutzt, um unbestraft Frauen zu vergewaltigen. Dass ihn am Ende zwei Frauen (Gilda und die Schwester des Killers) vom sicheren Tod retten ist eine morbide Wendung, die mich zum einen an die Juden erinnerte, die in den Lagern den Nazis halfen und zum anderen an Frauen wie Ghislaine Maxwell, die den Me-Too-Tätern halfen, erinnerte. Noch bis zum 22. August kann man den Rigoletto anschauen, nächstes Jahr kommt Madama Butterfly. Wer kann, soll unbedingt hingehen, dieses Spektakel lohnt sich!