Roter Himmel: „Etwas stimmt nicht“
Ein Film über das Verkennen von Gefahr und die Nicht-Planbarkeit von Gefühlen.
„Etwas stimmt nicht“. Das ist der erste Satz des neuen Films Roter Himmel von Christian Petzold und das Gefühl, was sich durch die 103 Minuten zieht, die auf den Satz folgen.
Ein heißer Sommer an der Ostsee. Wochenlang hat es nicht geregnet, ein Waldbrand in naher Ferne. In den Hotels der Umgebung werden Zimmer storniert, die Feuerwehr ist im Dauereinsatz. Leon (Thomas Schubert) und Felix (Langston Uibel) machen dort in einem abgelegenen Haus Ferien. So richtige Ferien sind es jedoch nicht. Leon schreibt an seinem zweiten Buch und Felix arbeitet an einer Bewerbungsmappe. Wider Erwarten sind sie aber nicht zu zweit, sondern zu dritt.
Als die die beiden ankommen, stehen im Schlafzimmer hochhackige Schuhe, auf dem Bett liegt Unterwäsche. Die gehören Nadja (Paula Beer), die den Sommer über als Eisverkäuferin im Küstenort jobbt. Obwohl sie in den ersten 20 Minuten nicht zu sehen ist, ist sie doch irgendwie anwesend. Ihr rotes Kleid und sie sind wie der rote Himmel allgegenwärtig und doch in einem Schwebezustand zwischen Da-sein und Nicht-ganz-in-der-Welt-sein. Petzold inszeniert Beers Figur ähnlich wie in Transit und Undine – als eine Frau, die man zuerst nur erahnen kann, die wenig tut, aber der Mittelpunkt des Films ist.
„Die Arbeit lässt es nicht zu.“ / Die nicht so einfache Leichtigkeit des Seins
Felix und Leon sind seit Kindheitstagen befreundet und könnten nicht unterschiedlicher sein. Felix kommt aus einer Familie der oberen Mittelschicht, seiner Mutter gehört auch das Ferienhaus. Leon ist ein Arbeiterkind. Felix ist immer gut gelaunt, unbekümmert und genießt trotz seinen Pflichten die freien Tage. Er freundet sich schnell mit Nadja an und beginnt auch bald ein Verhältnis mit ihrem Liebhaber Devid, der Rettungsschwimmer ist. Während die drei die Leichtigkeit des Sommers genießen, versteckt sich Leon hinter seiner Arbeit. Er ist genervt von alles und jedem, von Stechmücken, von Nadja und von seinem Verleger Helmut (Matthias Brandt). Am meisten aber von sich selbst, auch wenn er sich das erst am Ende des Films eingesteht. Er ist so mit sich selbst und dem Manuskript beschäftigt, dass er wie mit Scheuklappen vor den Augen und vor der Realität lebt.
Ein Sommer im Flammenlicht
Die Zeit verschwimmt in diesem Film und man ist so damit beschäftigt sich über Leons griesgrämiges Verhalten zu amüsieren, dass der sich ausbreitende Waldbrand immer weiter in den Hinterkopf rückt. Bis es Asche vom Himmel regnet.
Christian Petzold schafft es in einer erschreckend subtilen Art einem vor Augen zu führen, wie gut wir Menschen im Verdrängen von unbequemen Wahrheiten, insbesondere dem Klimawandel, sind. Anfangs ist der Waldbrand bloß ein Nebenthema, am Ende das, was alles verändert. Ganz nach dem Motto: ‘Sowas kann bei uns doch nicht passieren’. Und dann passiert es doch.
Doch vor allem ist der Film eine Charakterstudie von vier jungen Menschen, die einen Sommer miteinander verbringen, der alles verändert. Petzold nutzt die Winkel und Räume des Hauses zu ihrem vollen Potenzial. Die Kameraführung und der Schnitt finden Momente voller Situationskomik und setzen Leons hilflose Manöver in Szene, Die verkopfte Künstlerfigur von Leon wird großartig verkörpert von Thomas Schubert. Er schafft es, Leon trotz seiner schlechten Laune auf seine eigene Art liebenswert zu machen. Es ist für ihn die erste Zusammenarbeit mit Petzold, für die er nicht mal zum Casting musste und ist dadurch gleich ein Teil der Filmtrilogie geworden, die 2020 mit Undine startete. Petzold erforscht in dieser Symbole der deutschen Romantik. In Roter Himmel hat er eine Art Schwebezustand vom In-der-Welt sein und gleichzeitig An-Ihr-Vorbei-Leben geschaffen, in dem man auch nach dem Verlassen des Kinosaals verweilt.