Bohema Magazin Wien

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Salzburg zwischen Himmel und Hölle

Über eine ambivalente Produktion bei den Salzburger Osterfestspielen von Glucks Reformoper Orfeo ed Euridice mit zeitloser Botschaft, die leider Gefahr läuft, langweilig zu werden.

Mélissa Petit als verzweifelte Euridice /// Monika Rittershaus, SF (c)

Die Salzburger Pfingstfestspiele standen in diesem Jahr ganz im Zeichen der Orpheus-Sage —neben Hommage an Daniel Barenboim und Schubertiade waren gleich vier Orpheus-Opern Teil des Programms der künstlerischen Leiterin Cecilia Bartoli. Besonderes Highlight stellte dabei die Neuproduktion der Festspiele dar: Orfeo ed Euridice von Christoph Willibald Gluck.

Himmlische Kräfte, Überwindung des Todes, Macht der Musik

Orpheus, der Held antiker Sagen, trauert um seine geliebte Eurydike. Es folgt die für griechische Tragödien wohl obligatorische Reise in die Unterwelt. Mit der Unterstützung der Götter und der personifizierten Liebe macht sich Orpheus auf den Weg, muss sich mit Dämonen herumschlagen, gelangt schließlich ins Elysium und trifft auf Eurydike. Was nach Happy End klingt, nimmt eine tragische Wendung: Orpheus schaut Eurydike vor dem Verlassen der Unterwelt an, was ihm (etwas willkürlich) von den Göttern verboten worden war. Die Konsequenz: Eurydike stirbt ein zweites Mal. All das geschieht durch die Kraft der Musik, die Orpheus für sich einzusetzen weiß, was diesen Stoff für Opern besonders beliebt macht.

Gluck als feature artist und Visionär

Auch für Gluck war Orpheus ein bevorzugtes Sujet. Zunächst für Wien 1762 komponiert, kürzte er das Werk für Parma 1769 radikal, da es dort nur als Teil einer von mehreren Komponisten geschriebenen größeren Oper erklingen sollte. Doch was macht seine Oper so besonders? Gluck gehörte zu den Komponisten, die die in Europa verbreitete italienische Opera Seria reformieren wollten. Typisch dafür waren zwei streng voneinander getrennte Bereiche: erzählende, musikalisch weniger interessante Abschnitte (Secco-Rezitative) und lange, virtuose Arien für Kommentare oder Gefühle zur Handlung. Gluck stellte sich dagegen ein durchkomponiertes Gesamtkunstwerk vor (LG an alle Wagnerianer*innen: Ja, Richard war Gluck-Fan). Und so wirkt Orfeo ed Euridice tatsächlich unkonventionell, wenn man an die „klassische Oper“ gewöhnt ist — der Chor nimmt eine große Rolle ein, es wird viel getanzt und auf Da-Capo-Arien wartet man vergeblich. Stattdessen ist die Handlung stringent und durch die große Varietät wird einem zumindest musikalisch nicht langweilig.

Szenisch zurückhaltend /// Monika Rittershaus, SF (c)

Innerlichkeit vs Opulenz

Die Umsetzung dieser Grundlage gelang in Salzburg unterm Strich recht überzeugend. Cecilia Bartoli brillierte höchstselbst als Orfeo (im Original von einem Kastraten gesungen), obwohl sie wie vor der Vorstellung angekündigt etwas angeschlagen war. Festspielleitung plus aktives Mitwirken auf der Bühne war dann wohl doch etwas zu viel. Die Inszenierung gestaltete sich eher schlicht; angefangen beim einfachen Bühnenbild, das sich nicht veränderte, bis zu den eher unspektakulären Kostümen. Hier hätte man mehr rausholen können, zum Beispiel wenn der Chor der Furien energisch versucht, das Eindringen Orpheus in die Unterwelt zu verhindern und dabei auf der Bühne nur einige Männer in schwarzen Anzügen vor holzvertäfelten Wänden halbwegs chaotisch durcheinanderlaufen. Die Intention dahinter wird erst auf den zweiten Blick deutlich: die Dämonen der Unterwelt präsentieren sich als Teile von Orpheus selbst.

Die Moral der Inszenierung ist also an die Dämonen der eigenen Seele gerichtet, die durch die Musik (oder Kunst im Allgemeinen) besiegt werden können. Doch diese Idee korrespondiert nicht wirklich mit Glucks Musik, denn was sie an Vielfalt bietet, geht in der Inszenierung optisch verloren. Auch die großen Gefühle und die Magie der Handlung gehen in der Schlichtheit der Produktion eher unter. Auf der anderen Seite stellt dieses Nebeneinander von optischer Schlichtheit und inhaltlicher Breite aber auch einen interessanten Kontrast dar.

Musikalisch war der Abend ohne Frage großartig. Les Musiciens du Prince und Il Canto di Orfeo harmonierten ausgezeichnet. Das wurde dann auch gebührend gefeiert; neben Blumen für Bartoli gab es minutenlangen Applaus und Standing Ovations.

Wer Orfeo ed Euridice noch selbst erleben möchte, hat dazu bei den Sommerfestspielen Gelegenheit.