Bohema Magazin Wien

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“Es ist nicht alles so, wie es scheint”

Die Regisseurin, Künstlerin und Doktorandin Sybille Bauer-Zierfuß über Universelles im Privaten, Film als eigene Sprache und mediale Autismus-Repräsentation.

Sybille Bauer-Zierfuß, geboren 1989 in Linz, lebt in Wien. © Sybille Bauer-Zierfuß

Sybille Bauer-Zierfuß, 1989 in Linz geboren, ist Filmemacherin und Künstlerin. Oft kreisen ihre Arbeiten um familiäre Themen - im Debütfilm Mariedl geht es um frühere Erlebnisse ihrer Großmutter, in Mein Befinden ist gut, nur zeitlich sehr begrenzt. lässt Bauer-Zierfuß mehrere Personen aus dem Tagebuch ihres verstorbenen Vaters lesen.Bewusst schaut die Filmemacherin dabei auf Bereiche, die im Alltag - im Öffentlichen wie am Küchentisch - meist im Schatten, im Verborgenen bleiben.

In der Behandlung des Privaten steckt dabei zwar selbstredend die intime Ebene des eigenen Ausdrucks, dieser aber steht immer in Verbindung zum Außen - gerade durch den Bruch des Repräsentativen auf der Bildebene findet Bauer-Zierfuß im Privaten das Öffnende, Anschlussfähige. An einer Stelle unseres langen Gesprächs formuliert Sybille Bauer-Zierfuß ihre Haltung zum Filmischen so: “Ein Film kann und darf vieles. Er kann Fragen beantworten, muss er aber nicht. Er kann mehr Fragen aufwerfen, zum Beispiel. Er kann zur Reflexion anregen. Er kann den/die Zusehende einladen sich selbst in dem Film wiederzufinden.”

Nicht zuletzt ist Bauer-Zierfuß Doktorandin an der Universität für Angewandte Kunst in Wien, wo sie - selbst als Erwachsene diagnostiziert - zur medialen Darstellung von Autismus forscht. Auch darum geht es in diesem Interview, das kurz nach dem Ende einer (passenderweise mit dem Titel „Das Innere nach Außen tragen“ versehenen) Retrospektive zu Bauer-Zierfuß’ Arbeiten im Filmarchiv Austria stattfand.

Bohema: Du kommst eher vom Tanz - wie kam es, dass du überhaupt zum Filmemachen gefunden hast?

Sybille Bauer-Zierfuß: Ich habe einige chronische Erkrankungen. Zum Beispiel das Mastzellaktivierungssyndrom. Das gilt noch immer als eine seltene Erkrankung. Mein damaliger Sportarzt hat mir mit Anfang 20 nahegelegt, dass ich meine Vorstellungen, Tanz beruflich auszuüben, besser ad acta legen soll, wenn ich ab 30 nicht substanzielle körperliche Probleme haben möchte. Ich habe dann sofort aufgehört. Später habe ich mich an der Kunstuni in Linz mit einem performativen Experimentalfilm beworben und bin so zum Filmemachen gekommen.

Das war nicht mein Plan. Ich hatte gar keine wirkliche Vorstellung davon, was das bedeutet oder was man beim Filmemachen genau macht. Das hat sich sozusagen über Umwege ergeben – durch eine biografische Wendung. Rückblickend bin ich sehr froh darüber.

In den Filmen, die ich von dir gesehen habe, geht es oft um dich, um deine Familie. Stand diese sehr persönliche Herangehensweise ans Filmemachen am Anfang? Die Retrospektive im Filmarchiv trägt den Namen „Das Innere nach Außen tragen“…

Vielleicht ist das eine autistische Ausprägung, aber für mich war es schon immer schwierig, mich verbal auszudrücken. Ich hatte immer das Gefühl, nicht wirklich nach außen tragen zu können, was in mir vorgeht. Beim Filmemachen habe ich das erste Mal das Gefühl gehabt, ich habe da eine eigene Sprache. Ich kann Dinge erzeugen, die ich verbal nicht ausdrücken könnte, mit dem Medium Film zumindest näher zu dem kommen, wie ich die Welt sehe.

Mariedl © Sybille Bauer-Zierfuß

Außerdem ist meine persönliche, subjektive Einstellung, dass man Filme über Themen machen sollte, bei denen man das Gefühl hat, sich auszukennen, „Expert*in“ darin zu sein. Ich tue mich tendenziell eher schwer damit, mir Themen anzueignen, zu denen ich keinen Bezug herstellen kann, weil ich das Gefühl habe, ich kann die gar nicht wirklich nach-fühlen oder verstehen.

Ich glaube, viele Filmemacher*innen bearbeiten Themen, weil sie dazu einen ganz persönlichen Drang haben – nicht nur auf einer sachlichen und intellektuellen Ebene, sondern auch mit einem emotionalen Bedürfnis, einer Agency, die sie erkunden wollen.

Mein erster Film Mariedl handelt von meiner Oma. Sie war zu der Zeit meine größte Bezugsperson. Ich habe bei ihr gewohnt, wir haben fast täglich zusammen gefrühstückt, zu Abend gegessen und generell viel und gerne Zeit miteinander verbracht. Sie hat mir erzählt, dass sie immer ein Buch schreiben wollte über ihre Biografie. Aber jedes Mal, wenn sie damit angefangen hat, musste sie so stark weinen, dass sie das Schreiben abbrach. Auf der Kunstuni haben wir Student*innen damals zum Thema Home Stories gearbeitet. Und da meine Oma für mich mein Zuhause war – nicht nur als Ort, sondern auch emotional – habe ich sie gefragt, ob sie mit mir einen Film machen würde. Sie hat dann gesagt „Ja sicher, warum nicht?“ Ihre Erlebnisse waren als Kind meine Gutenachtgeschichten, standen mir also sehr nah.

Interessant, dass sie selbst versucht hat, ein Buch zu schreiben und das ging nicht so richtig. Für mich ist das ein Motiv, das sich durch mehrere Filme von dir zieht: Oft gibt es eine Differenz zwischen der Person, die spricht, und derjenigen, von der das Gesprochene eigentlich stammt, der Autor*in sozusagen. Etwa auch bei Mein Befinden ist gut, nur zeitlich sehr begrenzt., wo verschiedene Personen aus dem Tagebuch deines verstorbenen Vaters lesen. Ist es für dich ein zentrales Anliegen, mit Film Anderen eine Stimme zu verleihen?

Anderen Leuten eine Stimme zu geben war auf jeden Fall immer ein Thema für mich. Dabei ist es mir wichtig, die Autonomie der Personen zu wahren. Auch dann, wenn ich die Menschen, mit denen ich drehe, vorher nicht kannte, wie bei dem Film Kein halbes Leben, da kannte ich die Protagonist*innen Kerstin und Florian vorher eben nicht. Da war mir wichtig, dass sie authentisch sein können, dass sie sagen können, wozu auch immer sie das Bedürfnis haben und dass sie sich am Ende auch repräsentiert fühlen.

Ich mag es, auf die dunklen Flecken zu schauen, auch dahin zu schauen, wo es vielleicht unangenehm ist. Also nicht nur das Angenehme zu sehen, sondern das gesamte menschliche Spektrum. Die schmerzhaften Erfahrungen von Menschen, die oft tabuisiert oder auch stigmatisiert sind, prägen eine Person und sind einfach wichtig, bekommen aber trotzdem im öffentlichen Diskurs – und auch im Privaten – viel zu wenig Raum, finde ich.

Gerade in den Filmen, in denen es auch ganz stark um dich geht – ich denke da etwa an Was eine Familie leisten kann, in dem du dich zu Beginn vor die Kamera stellst und sagst „Ich bin Sybille. Seit sechs Jahren gehe ich zur Psychotherapie.“, habe ich mich gefragt, ob das Filmemachen für dich auch eine Art Bewältigungsstrategie ist?

Nein. Ich würde niemandem dazu raten, mit Themen zu arbeiten, die psychologisch noch aktiv Leidensdruck verursachen. Meine Filme haben manchmal jedoch durchaus einen emanzipatorischen Charakter, das Schweigen über etwas soll gebrochen werden, zum Beispiel. Ich habe den Tod meines Papas intensiv filmisch bearbeitet. Den Tod von jemandem geliebten begleitet eine*n natürlich das ganze Leben lang. Das verliert man nie. Aber wenn etwas ein tagtägliches Thema für eine*n ist, sodass man sich wirklich emotional stark beeinträchtigt fühlt von der Trauer, von den Gefühlen, wenn man sich nicht ausreichend damit befasst hat, ist das keine gute Idee dazu intensiv zu arbeiten. Man lässt diese Dinge beim Filmemachen ja doch auch in die Welt raus und macht sich damit verwundbar. Ich glaube, das kann man nur machen, wenn es einem wurscht ist, was andere Leute von einem denken. Man muss es so stehen lassen können, ohne dass es einen nachhaltig beschäftigt.

Natürlich gibt es auch emotionale Momente, das will ich nicht negieren. Aber man arbeitet oft sehr lange an so einem Film, und ein Großteil der Arbeit ist durchaus auch pragmatisch oder analytisch. Es geht nicht nur darum, was man erzählt, sondern auch wie. Gerade durch die Ästhetisierung, die ich bei den Filmen Cosmo(s) und Was eine Familie leisten kann gewählt habe, wird das Ganze vielschichtiger, insbesondere durch die Arbeit im Schnitt.

Die beiden Filme (Cosmo(s) und Was eine Familie leisten kann arbeiten mit Schwarzweiß-Bildern und Zeitlupe. Hast du das Gefühl, Schwarzweiß kann das spezifische Erzählte besser wiedergeben als Farbe?

Wenn ich eine Filmidee habe, sehe ich den Film vor meinem inneren Auge – wie beim Träumen. Bei den beiden Filmen waren das eben schwarzweiße Bilder. Das heißt: Es war initial keine bewusste Entscheidung (später schon). Bei dem entzündenden Moment, das es immer gibt bei einer Idee, haben die Filme schon so ausgesehen.

Wenn man dann jedoch ein Konzept für die Einreichung schreibt, muss man sich überlegen: Was bedeutet denn das für mich? Für mich geht es bei den Filmen mit dem Schwarzweiß und der Zeitlupe besonders um die Bild-Ton-Schere. Im Ton, im Text, spreche ich sachlich. Zum einen, weil ich so darüber schreibe, und zum anderen, weil ich den Zuschauer*innen Autonomie und Selbstständigkeit geben möchte; in dem Sinne, dass ich zum Beispiel nichts Anklagendes, keine Wertung in einen Satz lege. Weil ich finde, dass mir das nicht zusteht. Das kommt von den Zuschauenden. Manchmal ist das konfrontativ, man kriegt die Meinung serviert. Filme können ja auch so gestaltet sein, dass sie eine starke Meinung mitgeben, die der/die Zuschauer*in übernehmen soll. Eine Meinung einfach anzunehmen ist oft einfacher.

Was eine Famile leisten kann © Sybille Bauer-Zierfuß

Auf der Bildebene arbeite ich trotz genauer Planung auch gerne assoziativ, auch am Set. Ich sehe etwas und denke an einen Teil Off-Text des Filmes und habe auf einmal diese eine Assoziation. Die Orte und die Objekte oder Subjekte, die gefilmt werden, stehen vor dem Dreh fest, aber was genau dann passiert, ist oft spontan. Darüber hinaus, wenn ein Bild schwarzweiß ist, ist es nicht mehr dokumentarisch in dem Sinne, dass es um den Ort und die Handlung geht, die man sieht.

Nehmen wir zum Beispiel die Szene mit den rhythmischen Sportgymnastinnen im Film Was eine Familie leisten kann: In Farbe hätte das einen sehr dokumentarischen Charakter in dem Sinne, dass man den Ort genau verorten kann, was ich aber gar nicht wollte. Es ging ja nicht um die Personen als dokumentarische Personen, sondern darum, etwas auf einer Meta-Ebene auszudrücken, in einer traumähnlichen Atmosphäre zu erzählen, die sich durch die Bild-Ton-Schere ergibt. Das öffnet beim Schauen Assoziationsräume, dann geht es nicht mehr um rhythmische Sportgymnastik, sondern vielleicht um Verdrehung oder um das Rückwärtsgehen. Die Welt steht Kopf, man sieht die Dinge aus einem anderen Winkel.

Oder die Schönheit des ästhetisierten Bildes fängt auf einmal an zu bröckeln im Zusammenspiel mit dem, was man durch den Off-Text hört. Es ist nicht alles so, wie es scheint. Das ist für mich ein bedeutendes, wichtiges Thema in Was eine Familie leisten kann. Und das konnte ich am besten mit der Zeitlupe und mit dem Schwarz-Weiß-Bild schaffen. Zeitlupe ermöglicht einem, Momente, die sonst sehr flüchtig sind, anzuhalten. Ich beobachte gerne und mag auch Langsamkeit. In der filmischen Entschleunigung von Momenten kann ich vieles entdecken, das ich sonst nicht sehen würde. Man taucht in eine ganz andere Welt ein, sozusagen.

Ich habe das Gefühl, das Bildlich-Assoziative und die Sprache beeinflussen sich dabei gegenseitig. In Mein Befinden ist gut, nur zeitlich sehr begrenzt. gibt es diese Szene, in der ein Mann aus dem Tagebuch deines Vaters vorliest – er liest irgendetwas mit Tauchen und Boxen vor und es ist unklar, ob er die Schrift nicht lesen kann oder das da wirklich steht. Der Film nimmt es aber wörtlich, es gibt einen Schnitt und wir sind in einem Box-Studio. Generell agiert der Film für mich ganz stark übers Räumliche, du zeigst Orte, die vielleicht für dich und deinen Vater wichtig waren oder die von der Sprache evoziert werden, die genaue Verbindung wird aber selten offengelegt, als Zuschauer*in entsteht das im Kopf, man bringt zwangsläufig die eigenen Erfahrungen in den Film.

Ja, genau. Es geht nicht darum, dem/der Zuseher*in einen Wunsch erfüllen zu müssen. Auch wenn man sogenannte „private Themen“ bearbeitet, gibt es Aspekte, die man eben auch aus diversen Gründen für sich behalten will. Ein Film kann und darf vieles. Er kann Fragen beantworten, muss er aber nicht. Er kann mehr Fragen aufwerfen, zum Beispiel. Er kann zur Reflexion anregen. Er kann den/die Zusehende einladen sich selbst in dem Film wiederzufinden. Da möchte ich noch etwas einwerfen bezüglich des Filmes Was eine Familie leisten kann. Der Film wurde bewusst nicht wie ein klassisches Biopic gestaltet. Ich habe tatsächlich auch Kommentare von Menschen bekommen, die mich nicht kannten und auch meine Filme nicht und gefragt haben: „Ah, ist das erfunden? Ist das eine fiktive Person?“ Und das fand ich total super. Es ist gar nicht so wichtig, ob das nun Sybille Bauer ist oder sonst wer. Einige Personen, vor allem Frauen, kamen nach dem Film zu mir oder haben mir geschrieben, dass sie sich stark darin sehen konnten, obwohl es nicht ihre Geschichte ist. Das war mir im Formalen des Films wichtig, dass es nicht an mir haften bleibt. Es sollte nicht die Conclusio entstehen: „das ist die Geschichte von der Sybille“ und das hakt man dann ab als abgeschlossene Geschichte einer spezifischen Person. Beim Biopic kann das schnell passieren, finde ich.

Ich zeige in dem Film viele Frauengesichter, meines ist nur eines davon. Die vielen unterschiedlichen Gesichter bzw. Abbildungen von Frauen, die in dem Film vorkommen, sollen zeigen, dass es viele von uns gibt, die solche oder ähnliche Biografien haben. Und eben, dass nicht alles so ist, wie es scheint. Dass ein Abbild eben nur ein Abbild ist, das so viel mehr im Verborgenen liegt. Dass man ein bisschen hinterfragt, wie man Leuten begegnet, wie man sie sieht in ihrer Ganzheit.

Du forscht an der Angewandten über mediale Repräsentation von Autismus. Da kenne ich mich kaum aus, habe als Teenager Rain Man gesehen, das war es dann eigentlich. Vielleicht kann man das nicht so einfach herunterbrechen, aber könntest du beschreiben, was typische Darstellungsformen von Autismus im Medialen, gerade auch im Filmischen sind?

Puh, komplexes Thema. Wie kann ich das kurz zusammenfassen?

Es gibt gewisse autistische Stereotype, die immer und immer wieder reproduziert wurden und nach wie vor werden. Einige kommen geschichtlich aus Nazi-Wien. Es gab damals zwei große Forscher, Hans Asperger und Leo Kanner, die Autismus als medizinisches Label losgelöst haben vom Schizophrenie-Spektrum, in dem es vorher verortet wurde. Dann wurde klar, dass Autismus eine eigene phänomenale Kategorie ist. Kanner wanderte nach Amerika aus, Hans Asperger machte eine steile Karriere während der Zeit des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkrieges. Er war zwar nicht Parteimitglied der NSDAP, aber bei einigen NSDAP-nahen Verbünden Mitglied. Er war mit überzeugten Nazis befreundet, einer davon – Franz Hamburger – fungierte als sein Mentor. Asperger etablierte den Nährboden für einen Research Bias. Man musste in der Medizinwissenschaft regimekonform agieren, um Karriere zu machen. Das hat er, er hat sich zum Beispiel öffentlich für Rassenhygiene ausgesprochen. Hans Asperger ist auch Namensgeber für das in den 90ern etablierte „Asperger Syndrom“. Mit dem wurde ich noch diagnostiziert, mittlerweile sagt man das nicht mehr, jetzt ist es die Autismus-Spektrum-Störung.

Jedenfalls hat er einige seiner PatientInnen zur Kindereuthanasie Am Spiegelgrund in Wien geschickt. Er selbst hat später ein Narrativ in die Welt gerufen, dass er sich für die autistischen Kinder so sehr eingesetzt hätte. Seine Empathie war aber durchaus selektiv, und seine Entscheidungen pragmatisch: Es gab einen Arbeitskräftemangel. Asperger ging es darum, wer zu behindert ist und wer noch für gewisse Aufgaben ‚nützlich‘ wäre. Das waren die ‚Asperger-Autisten‘, die sich dadurch ausgezeichnet haben, dass sie ein Sonderinteresse (heute sagt man Spezialinteresse) hatten und dadurch in Aspergers Denke in gewissen Bereichen nützlich sein konnten. Außerdem war Asperger davon überzeugt, dass dieses Asperger-Syndrom (das erst in den 90ern nach ihm benannt wurde, damals hieß seine Diagnose „Autistische Psychopathie“) eine extreme Form der männlichen Intelligenz sei. Mittlerweile ist dies natürlich wissenschaftlich.

Im Film Alien thematisiert Sybille Bauer-Zierfuß Autismus - im Zusammenspiel mit den beiden jungen Autistinnen Elsa Scheel und Helena Paflik. © Sybille Bauer-Zierfuß

Aber dieser Stereotyp, der da entstanden ist, begleitet uns noch heute und wird teilweise noch immer reproduziert. Es ist wichtig, dass man dabei diese historische Geschichte im Blick hat. Es gibt etwa eine beliebte Serie namens The Good Doctor, in der es um einen autistischen jungen Arzt geht, der einen ganz klassischen Stereotyp nach Hans Asperger darstellt. In einer philosophischen Diskussion möchte ich aber nicht sagen, diese Repräsentation in dieser Serie sei falsch, denn es gibt solche diese Autist*innen. Mir geht es vor allem darum, eine ethische Diskussion darüber zu etablieren, dass diese Repräsentationen und ihre Reproduktionen einen edukativen Effekt haben. Leute, die sich – etwa in Serien – bestimmte Repräsentationen von Personengruppen ansehen, lernen davon viel und internalisieren das Gesehene, was wiederum beeinflusst, wie sie gewissen Menschen begegnen oder wie sie über sie denken.

Ich bin dafür, dass Autist*innen, die auch Erfahrungen in dem Gebiet des medialen Diskurses haben, eingebunden sein sollten bei jedem Film, wo es um eine autistische Repräsentation geht. Das ist nämlich sehr oft nicht so, was ich als einen sehr diskriminatorischen Punkt sehe. Es geht auch darum was und wie es erzählt wird, ob Narrative die Stigmatisierung von Autist*innen fördern oder nicht. Leider ist es auch häufig der Fall, dass Autist*innen in Filmen oder Serien infantilisiert werden. Oder es gibt diese Exotisierung – Autist*innen als Genies – das ist ebenso eine stigmatisierende Betrachtung. Oft transportieren mediale Repräsentationen – wenn auch subtile – Asperger’s Erbe, dass Autist*innen erst dann wertvoll genug sind und Teil der Gesellschaft sein können, wenn sie „normal“ genug sind. Auch bei The Good Doctor wird erzählt, es gäbe eine Schwelle des Normalen, zu der man quasi kommen muss, um als gleichwertig gesehen zu werden. Das ist ein Problem.

Lassen sich diesbezüglich Entwicklungen erkennen in den letzten Jahren, ändert sich etwas?

Ja, Gott sei Dank. Natürlich gibt es da noch viel zu tun, aber es gibt inzwischen mehrere autistische Wissenschaftler*innen, die sich öffentlich als solche geoutet haben und Wissenschaft zu Autismus betreiben.

In der Serie Heartbreak High zum Beispiel gibt es eine autistische Protagonistin – Quinni - die auch von einer Autistin gespielt wird. Ihre Figurenzeichnung ist nicht in Stereotypen verhaftet. Auch auf soziale Medien, insbesondere auf TikTok wie ich finde, begegnet man tollen Repräsentationen. Das hat großes Potenzial – gerade wenn es um autistische Minoritäten wie BIPoC oder genderqueere Autist*innen geht.

Besonders für Menschen wie mich, denen soziale Interaktionen face to face schwer fallen können, ist Social Media außerdem ganz wichtig fürs Community Building. Wir finden dann halt auf Kanälen wie TikTok Freundschaften und pflegen sie auch dort.