Bohema Magazin Wien

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Schostakowitsch in diesen Zeiten? Ja bitte!

Das vierte Konzert der zyklischen Gesamtaufführung der Streichquartette Dmitri Schostakowitschs durch das Hagen Quartett wurde angesichts der Weltlage zu einem inneren Schrei.

Das Hagen Quartett /// Harald Hoffmann (c)

Ich möchte gar nicht das dialogische Kritikformat meines Kollegen Dávid kopieren, aber doch habe ich mir vor dem Konzert einige Fragen gestellt. Einerseits, kann man (guten Gewissens) zurzeit Werke russischer Komponisten aufführen, wo Russland einen unvorstellbaren Angriffskrieg gegen die Ukraine führt (ich glaube, ich muss das nicht genauer ausführen) und viele Musiker zu Beginn ihrer Konzerte die ukrainische Nationalhymne erklingen lassen? Beziehungsweise, würden die Hagens vor dem Konzert etwas sagen, ein Statement gegen die Aggression und für das Mitgefühl oder die verbindende Kraft der Musik setzen? Andererseits, was treibt Musik wie das Hagen Quartett, die in dieser Formation seit 40 Jahren zur Weltspitze ihrer Zunft gehören, an, immer noch weiterzumachen? Sie haben alles erreicht, müssen niemandem mehr etwas beweisen, warum also nicht einfach die Instrumente an den Nagel hängen?

Am vierten von fünf Konzertabenden standen nun also Schostakowitschs Quartette 10, 11 und 12 auf dem Programm. Alle über zehn Jahre nach Stalins Tod komponiert, als sich Schostakowitsch nun freier dieser Gattung, seiner ganz „persönlichen Bekenntnismusik“ widmen konnte, sich sein Gesundheitszustand aber schon deutlich verschlechterte.

Lukas Hagen und seine Kollegen begannen das 10. Quartett in As-Dur etwas verhalten und zögerlich, mussten sich erst einmal sammeln. Sehr gelegen kam da der zweite Satz (Allegretto furioso), von manchen mit dem zweiten Satz von Schostakowitsch 10. Sinfonie verglichen, der als musikalisches Portrait Stalins gedeutet wird. Ähnliches hier, absolute tonale Grausamkeit in Geigen und Bratsche, das Cello fährt unbarmherzig darüber, walzt alles nieder. Niederschmetternd und durchdringend dabei Clemens Hagens wie immer großartiger Celloton. In diesem zweiten Satz spielten sie sich den Schmerz der ganzen Welt aus der Seele. Auffallend, aber logisch danach die etwas längere Pause der Kontemplation, um sich nach diesem Ausbruch wieder zu sammeln und zum dritten Satz überzugehen. Die Melodie, die zu Beginn dieses das Cello führt und dann von der Geige übernommen wird, ist schrecklich und wunderschön zugleich. Irgendwie kann doch auch nach dem größten Übel alles wieder besser (gut?) werden.

Das 11. und das 12. Quartett sind in ihrer formalen Konzeption schon deutlich weiter vom klassischen Modell der Viersätzigkeit entfernt. Das 11. in f-Moll besteht aus sieben Sätzen, mit Titeln wie Rezitativ, Etüde, Humoreske oder Elegie überschrieben. Jeder mit seiner ganz eigenen Charakteristik und Stimmung, jede einzelne vom Hagen Quartett sehr differenziert herausgearbeitet. Die Etüde gelang packend, die Humoreske schon fast grausam grotesk. Das 12. in Des-Dur besteht überhaupt nur aus zwei Sätzen, wobei der zweite circa dreimal so lang dauert wie der Erste. Es ist von den drei Quartetten wahrscheinlich das am schwierigsten zugängliche, das enigmatischste. Schostakowitsch baut hier, obwohl der Dodekafonie als Konzept eigentlich eher abgeneigt, immer wieder Zwölftonreihen ein. Auch in diesem Quartett: kammermusikalisches Musizieren auf höchstem Niveau.

Bitte noch viele Jahre weitermachen!

Um aber nun zu den Fragen des Beginns zurückzukehren. Ja, das Hagen Quartett muss niemandem mehr etwas beweisen. Außer vielleicht sich selbst. Und so machen sie einfach das, was ihnen am Herzen liegt. Und sei das eine zyklische Aufführung der zehn bekannten Streichquartette Mozarts letztes Jahr im Konzerthaus oder die geradezu enzyklopädische Aufführung aller 15 Streichquartette Dmitri Schostakowitschs dieses Jahr. Wer auf so hohem Niveau miteinander musiziert, nicht in eine Einheitsroutine verfällt, der darf und soll bitte noch viele Jahre weitermachen.

Und gilt ihnen auch höchster Dank, in der aktuellen Situation vor so einem Konzert nicht zurückzuschrecken. Ihr Zugang mag generell ein eher etwas ruhigerer, zurückgenommener, mehr in sich gekehrter gewesen sein, aber dadurch wurde das innere Ringen mit der Musik für alle im Publikum deutlich spürbar.

Ich bin froh, nicht in der Position zu sein, darüber entscheiden zu müssen, ob russische Künstler auftreten sollten oder nicht. Aber russische Musik nicht mehr zu spielen, bei Gott, nein! Und dann war es auch irgendwie logisch, nichts zu sagen und einfach zu spielen. Die Musik wirken zu lassen als ein allzeit gültiges, (Ja!) universell verständliches, in Töne gegossenes Statement. Noch dazu ein besseres als alles, was man vor dem Konzert hätte sagen können.

Спасибо!