SLASH Kurzkritiken, Teil 1
Tierhorror, Menschhorror, Nicht-Horror: filmische Kurzeindrücke der ersten vier SLASH-Tage.
Vermin (R: Sébastien Vaniček)
Trap und TNs. Und Spinnen.
Um es aus seiner Siedlung am Rand der Stadt zu schaffen handelt Kaleb mit Sneakern. Mit der neuen Ware holt er sich und seinem Wohnblock aber auch eine Spinnen-Plage ins Haus. Die Polizei rückt an und riegelt das Gebäude auf Gedeih und Verderb ab. Ein weißer Schwan. Vermin inszeniert Community und Entrepreneur-Kapitalismus im Spannungsverhältnis. Zwar nehmen die Spinnen zunehmend Hochhaus und Bildfläche ein, doch vordergründig schwelt der social Horror einer rassistischen Wirtschafts- und damit leider immer noch Gesellschaftform.
Content Note: Erschreckend!
Good Boy (R:Vilmar Røe)
Von Anfang an präsentiert sich Good Boy als Liebesgeschichte- mit einem absurden Twist. Denn auch wenn die Studentin Sigrid wirklich gut mit ihrem Date Christian auskommt, gibt es nur einen Haken: Christians Mitbewohner kleidet und benimmt sich wie ein Hund. So vielseitig man diese Prämisse jedoch auslegen könnte, von Body Horror über Schwarze Komödie hin zum Slasher- Good Boy entscheidet sich leider für die langweiligste Option. Die Geschichte ist so vorhersehbar, dass man an der Intelligenz der Charaktere zweifeln muss und Spannung schwer aufkommt. Auch inszenatorisch wagt der Film kaum etwas, und behält die gesamte Laufzeit über eine Seifenoper-Ästhetik: seichte Musik, seichtere Kamera, flaches Licht. Allein die Tatsache, dass sich im Verlauf der Geschichte die Erzählperspektive langsam von Christian auf Sigrid übertragen wird, lässt ein wenig mitfiebern und macht das verschenkte Potenzial noch frustrierender. Denn am Ende scheint Good Boy davon auszugehen, dass eine verrückte Grundidee allein einen Film interessant macht- und hätte dementsprechend trotz seiner Laufzeit von nur 76 Minuten als Kurzfilm wahrscheinlich besser funktioniert.
Deep Sea (R: Xiaopeng Tian)
Deep Sea erzählt sich so gut durch seine Bilder, dass die tatsächliche Geschichte komplett hintenüber fällt. Und das ist nicht schlimm. Die kleine Shenxiu fällt bei einer Fährreise mit ihrem entfremdeten Vater über Bord und macht sich auf eine fantastische Unterwasserreise, um ihre noch entfremdetere Mutter zu finden. Und ab diesem Zeitpunkt werden Figurenmotivationen egal, denn zusammen mit der Welle, die die Protagonistin ins Meer spült, wird das Publikum von einem visuellen Taifun erfasst, der sich aller Kniffe bedient, die die moderne Animation zu bieten hat. 2D und 3D-Animationen greifen ineinander, dunkle Schatten, bunte Korallenwälder, überfüllte Innenräume, Strudel aus Farben und dynamische Bewegungsabläufe gehen mit einem dermaßenen Tempo miteinander über, dass die Story nicht anders kann, als nebenbei herzuplätschern und ein wunderschönes Setpiece nach dem Anderen etwas holprig einzuleiten. Wem Filme gefallen, bei denen visuelles Spektakel groß geschrieben wird, dem sei empfohlen, die Folgetermine im Filmcasino wahrzunehmen und durch die Leinwand den Kopfsprung in den Ozean von Deep Sea zu wagen.
Tiger Stripes (R: Amanda Nell Eu)
Die Pubertät ist schwer- insbesondere, wenn man in einer Gesellschaft lebt, die Körpervorgänge wie die erste Periode als peinliches Tabu behandelt. Tiger Stripes treibt die Verwirrung über den sich verändernden Körper und die gesellschaftlichen Vorurteile gegenüber jungen Frauen und Mädchen auf die Spitze und lässt die Protagonistin zum Tierwesen mutieren. Dem Ein oder Anderen mag die Geschichte sicher zu fragmentartig erzählt sein. Häufig doppeln sich Szenen in ihren Aussagen, andere scheinen wiederum nicht zusammenzuhängen oder wechseln mittendrin den Ton. Aber es ist genau diese Arkwardness, die Tiger Stripes so effektiv darin macht, jugendliche Ängste wiederzugeben. Und so verliert man sich, gemeinsam mit der jungen Hauptfigur, in Innen- und Außenwelten, deren Logiken nie ganz stabil sind.
It lives inside (R: Bishal Dutta)
Bei It lives inside handelt es sich um ein Regiedebüt- und das merkt man an jeder Ecke. Gleichzeitig beweist Bishal Dutta jedoch auch, dass man auf seine nächsten Projekte durchaus gespannt sein kann. Denn auch, wenn It lives inside zu viele Genreklischees bedient, Charaktermotivationen nicht immer organisch scheinen und der Cast in vielen Szenen etwas unsicher wirkt, macht der Film auch sehr viel richtig. Vor allem in der ersten Hälfte wird mit minimalistischen Mitteln sehr effektiver Horror erzeugt. Unsichtbare Angreifer, verschwindende Schatten und klaustrophobische Gefängnisse, die sich räumlich nicht einordnen lassen, gruseln um einiges mehr, als die zweite Hälfte, in denen der Film mehr auf mittelmäßig choreographierte Action baut. Aber Horror hin oder her, das wahre Herz von It lives inside ist die Beschäftigung mit Zweistaatlichkeit und dem kulturellen Alltag der indischen Diaspora. Und diesem Element wird glücklicherweise mit so einer so spürbaren Leidenschaft nachgegangen, dass auch in Momenten der fehlenden Spannung eine deutliche künstlerische Stimme zu spüren ist.
Divinity (R: Eddie Alcazar)
Es ist wirklich frustrierend, wie Divinity mit seiner Retro-Futuristischen Atmosphäre umgeht. Denn rein stilistisch ist der Film wirklich wunderschön. Surreale Wüstenlandschaften, abgelegene Sets, hypnotisierende Synthesizer-Musik und fantastische Kameraarbeit kreieren eine Welt, die traumhaft und greifbar zugleich ist. Eine esotherische Welt, die sich anfühlt wie eine Ruine von Vergangenem und dem, was noch zu kommen ist. Nur leider stellt diese Esoterik die größte Schwäche des Films dar. Denn nicht nur der Stil, sondern auch einige politische Messages wirken wie überkommene Überbleibsel, die in der Vergangenheit hätten bleiben sollen. Eine dargestellte Gesellschaft, die durch ein Jugendserum verändert wurde, ist eine der Promiskuität. Und das wird vom Film auf oberflächlichste Art und Weise kritisiert, ohne sich in seiner Darstellung von Menschen und vor allem von Frauen von den dystopischen Werbevideos zu unterscheiden, die immer wieder eingeblendet werden. Weibliche Figuren, entweder Prostituierte oder reine Gottwesen werden durchgehend von Kamera und männlichen Figuren begafft. Das größte Problem mit dem Jugendserum ist nicht die Last des ewigen Lebens, sondern die Nebenwirkung weiblicher Unfruchtbarkeit. Und dass am Ende noch Anti-Abtreibungs-Metaphern eingebaut werden, setzt dem üblen Beigeschmack die Krone auf. Alles im Allem zeigt Divinity, in welche Fettnäpfchen man bei der Emulation vergangener Genres treten kann, wenn man nicht reflektiert, in welchen soziokulturellen Kontexten diese ursprünglich kreiert wurden.
Frogs (R: George McCowan)
Ob Frogs merkwürdig gealtert ist, oder schon bei seiner Premiere vor circa 50 Jahren nicht wirklich gruselig sein sollte, ist schwer zu sagen. So oder so macht es wahnsinnigen Spaß, Schlangen, Fröschen und Echsen dabei zuzusehen, das Picknick einer reichen Familie voller Umweltverschmutzer*innen zu crashen. Die Attacken sind dabei in ihrer Unsinnigkeit und der Beiläufigkeit, mit der sie passieren, besonders charmant. Die Opfer werden nicht brutal gefressen oder niedergemetzelt, die Natur passiert den weltfremden Schnöseln einfach- Widerstand wird nicht einmal versucht. Die tonale Dissonanz zwischen den vorgeschlagenen Bildern von Tod und Verwüstung und dem Überverwenden von eigentlich sehr niedlichen Tieraufnahmen aus dem Archiv macht das Chaos perfekt. Auch wenn streckenweise sehr wenig passiert, bietet Frogs eine wunderbare B-Film-Erfahrung, die mehr zum Mitlachen als zum Mitfiebern einlädt.
Tarantula (R.: Jack Arnold)
Jack Arnold hat Tarantula in den 50ern als Reaktion auf Gen-Experimente der Zeit gedreht. Ein Wissenschaftler tüftelt mit Chemikalien an Tieren herum, um billige und effiziente Nahrung für den Menschen der Zukunft zu entwickeln – es passiert, was passieren muss, eine Spinne, durch das Mittelchen enorm gewachsen, entkommt Frankenstein-ähnlich dem Labor und sorgt für Angst und Schrecken. Allzu gut gealtert ist Tarantula sicherlich nicht, besonders das Geschlechterbild wirkt inzwischen verstaubt, vieles wirkt eher lachhaft als gruselig, dennoch ist Tarantula auch rund siebzig Jahre nach Erscheinen sehenswert, was vor allem an den liebevollen visuellen Effekten liegt, dank derer die immer größer werdende Spinne als Silhouette durch die schwarzweiße Dämmerung huscht.
Nightman (R: Mélanie Delloyes)
Nightman beginnt in der psychotherapeutischen Praxis – natürlich mit der Beschreibung eines Traums. Die junge Alex erzählt von nächtlichen Bildern, die den Tod ihrer Mutter wieder und wieder durch ihren Kopf ziehen lassen. Kurze Zeit später zieht sie gemeinsam mit Partner Damian ins irische Landhaus seiner Eltern. Auch hier entfaltet sich der Horror vor allem nachts: Damian, zunächst als netter Vorzeigemann präsentiert, treibt es schlafwandelnderweise wiederholt aus dem Haus, im Ort verschwinden Menschen – und Alex ahnt mehr und mehr, dass ihr Freund ein Anderer ist, als er vorgibt. Er dementiert (gaslightet!). Mélanie Delloyes Film ist athmosphärisch inszeniert, recht gekonnt werden Backwoods-Horror und Folk-Sagen zum psychologischen Tauchgang ins Unbewusste seiner Figuren verwoben. Bloß die Auseinandersetzung mit seinen psychisch/psychoanalytischen Themen (Traum, Trauma, Mutterfiguren) wird mit zunehmender Filmdauer etwas plumpen Horror-Effekten geopfert, zudem gelingen Narration und Kameraarbeit arg vorhersehbar bis klischeehaft, nach den meisten Schnitten ahnt man an der gewählten Einstellung bereits, was nun wohl passieren wird. Fast immer liegt man richtig.
Mad Fate (R: Soi Cheang)
Ein psychotischer, fieser Film. Mad Fate handelt vor allem vom Schicksal und der Hoffnung, ihm zu entkommen. Im Zentrum des Films stehen so zwei Figuren: ein Wahrsager, der sich die Weichenverschiebung des ‚vorgesehenen Weges‘ zum Lebensinhalt gemacht hat, ein psychisch, sagen wir mal, spezieller Jungspund zudem, der – so sagt es das Schicksal – morden wird, erstmal auch gar nichts dagegen hat (Morden findet er eh ganz gut). Ins Gefängnis will er dann aber doch nicht, also: Dienste des Wahrsagers annehmen und mal schauen, ob sich der eigene Pfad noch umbiegen lässt. Gleichzeitig geht in der Stadt ein Serienmörder um, der brutal Prositutuierte abmetzelt. Diese Gemengelage zeichnet Mad Fate in hochstilisierten Bildern, auch die Figurenzeichnung erinnert an überzeichnete Comics. Anstrengend ist das allemal, auf eine schräge Art fasziniert die Mixtur aus Hyperbrutalität, unpassend wirkendem Humor und gewöhnungsbedürftigen CGI-Einschüben, die Regisseur Soi Cheang (Limbo) hier auf die Leinwand bringt – zusammenpassen tut hier wenig, gerade das macht Mad Fate jedoch zu einer besonderen Seherfahrung. Spätestens, wenn seine Figuren am Ende des Films zehn Minuten durcheinanderschreien, sie seien eine Blume, Hühner beschwören und und und, weiß man sowieso nicht mehr, wo oben und unten ist.
Kubi (R: Taketshi Kitano)
Auch Kubi verwirrt, aber aus anderen Gründen. Takeshi Kitanos Film erzählt vom Honnōji-Zwischenfall, einem historischen Ereignis, das, so zumindest Olaf Möller, der dringend benötigte Einführungsworte spendet, in Japan jedes Kind kennt. Im 16. Jahrhundert hat dieser Zwischenfall stattgefunden, allzu viel mehr ist sowieso nicht bekannt – es geht um einen Putsch des damaligen Generals Akechi Mitsuhide gegenüber Feldherr Oda Nobunaga, was genau vorfiel, ist seit Jahrzehnten Ausgangspunkt vieler Spekulationen und Interpretationen, die – so Möller – alle nicht so recht aufgehen. Kitano, eine der auch hierzulande bekanntesten Figuren des popkulturellen Japan und seinerseits Regisseur, Komiker, Musiker, Serienschöpfer und vieles mehr, liefert in Kubi seine Sicht auf die Dinge: diese kreist um homosexuelle Samurai, Blödeleien und viele Kuriositäten. Der Film kennt dabei zwei Modi: er ist zugleich bildgewaltiger, dick produzierter Kriegs-Epos und, vor allem in Hälfte zwei, Kitano-Quatsch-Show. Er selbst, Schauspieler obendrein, spielt den Samurai Hashiba Hideyoshi und reißt den Film immer mehr an sich. Kitano bei seinen Albernheiten zuzusehen, ist ein großer Spaß – was eigentlich passiert, bleibt (als Japangeschichts-Laie) vor lauter Namen- und Intrigengewirr undurchsichtig.
Das SLASH läuft noch bis einschließlich 1. Oktober in Metro und Filmcasino.
Texte von Tom Kauth (Vermin), Fabia Wirtz (Good Boy bis Frogs) und Anton Schroeder (Tarantula bis Kubi)