Sonnentanz mit Ausblick
Seitdem die Erde nicht mehr flach ist, steht SIE im Mittelpunkt. Und wird heute heißer denn je diskutiert. Doris Uhlich schlüpft in SONNE in die Rolle des imposanten Himmelskörpers.
"I'm a star", hallt es laut durch die Sphären des Wiener Volkstheaters. In der Performance SONNE, welche im Sommer ihre Uraufführung in St. Pölten feierte, verkörpert die renommierte Wiener Tänzerin und Choreografin Doris Uhlich den für uns wohl einflussreichsten Himmelskörper. Dabei wird eines deutlich: Sie tanzt keine Illusionen in den Himmel, sondern holt uns zurück auf den Boden der ernüchternden Tatsachen. Tänzelnd und mit Witz gepaart, wirft sie uns die bittere Realität vor die Füße. Einmal mehr wird sonnenklar: Wir alle sind Teil dieses Spektakels, nicht nur als Zuschauende, sondern auch als Teil der Handlung.
Katastrophe oder die Rettung?
Ein dunkler Raum, in völlige Stille gehüllt. Dann, ganz plötzlich: Ein kleiner, schwach scheinender Fleck. Hell. Licht. Er ist gut platziert, weiht das Publikum ganz angenehm ins Geschehen ein. Dann wird er beengend heller, spuckt eine Gestalt aus. Sie beginnt sich zu verformen. Ihr Blick spurt durch den Raum, ein Lächeln spielt auf ihren Lippen. Die Personifizierung der Sonne offenbart sich. Sie spreizt ihre Finger zu pulsierenden Klängen und schleudert, ins gelbe Kostüm gehüllt, Strahlen ins Publikum. Die Intensität der Bewegungen nimmt zu und entführt die Zusehenden in ihren Kosmos. Dann wird dem Sog blitzartig jemand entgegengestellt: Ein junges Mädchen betritt die Bühne. Unschuldig spielt es mit einem blauen Ball, welcher passend die Blauäugigkeit der Protagonistin repräsentiert. Die nahende Katastrophe stößt auf kindliche Unbeschwertheit.
Es wirkt fast schon naiv, wie das junge Mädchen Lieder über die schöne Sonne singt, die da vor einigen Sekunden noch bedrohlich ihre glühheiße Macht demonstrierte. Turnend und singend legt die zehnjährige Romy Nagel die Sorgen der zukünftigen Generation, welche sie symbolisiert, im Garten der Kindheit ab. Es beginnt ein tänzerischer Austausch zwischen der Sonne und dem Kind. Dieses schlüpft dabei ebenfalls in die Rolle des Alter Egos von Doris Uhlich, erzählt in einem ernsten Ton Anekdoten aus Uhlichs Leben. Doch die Performance funktioniert auch ohne viel Gerede. Gespräche werden übersetzt in fließende Bewegungen, mal hektisch, mal sanft. Effekte wie Rauch und Stroboskop kommen zum fast schon überschüssigen Einsatz und lauter Gesang ertönt. „I will swallow you“, brüllt Uhlich, während sie das Publikum blendet und in Rauch hüllt. Der feurige Schlussakt lässt zweifeln, ob die erhoffte Lösung gefunden werden kann oder ob doch die große Katastrophe folgt.
Eine Stimme für die Zukunft
Das Verhältnis des Menschen zur Sonne ist ambivalent. Uhlich gelingt es mit dieser Performance einmal mehr, den Fokus auf drängende Themen wie den Klimawandel, Nachhaltigkeit, sowie menschlichen Egoismus zu lenken. Die kritische Auseinandersetzung mit dem technologischen Fortschritt und den Auswirkungen auf unsere Welt und künftige Generationen schafft einen beachtlichen Beitrag für die Performanceszene. Und auch die zehnjährige Romy Nagel führt in diesem keineswegs ein Schattendasein. Ihre brillante Darbietung überzeugt und macht sie zum Sprachrohr für eine gesamte Generation, für die der Inhalt der Performance und der Drang zu Handeln längst zur unausweichlichen Realität geworden ist.