Bohema Magazin Wien

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Sparta

Von lang Vergangenem bis tief Vergrabenem. Über Sehnsucht, Vergangenheit und Ambivalenz. This is Sparta.

/// Viennale (c)

In Ulrich Seidls „Bruderfilm“ zu Rimini folgen wir Richie Bravos jüngerem Bruder Ewald. Dieser lebt gemeinsam mit seiner Freundin in Rumänien und besucht nur manchmal seinen Vater in einem österreichischen Pflegeheim. Im trauten Heim sowie im gemeinsamen Bett läuft nicht alles rund bei ihm. Ewald wird von gewissen Trieben geplagt und muss mit seinen eigenen aufkochenden pädophilen Tendenzen kämpfen.

Vorangestellt sei hier noch etwas zu dem Spannungsfeld zwischen Kunst und Künstler gesagt: Den meisten sollten die im Raum stehenden Vorwürfe rund um den Produktionsprozess dieses Films bekannt sein. Diese werden in dem folgenden Gespräch aufgegriffen und auch dem Film kritisch gegenübergestellt. Dadurch, dass momentan nicht klar ist, ob oder inwiefern diese Anschuldigungen korrekt sind, ist dieses Zusammenspiel zwischen Kunst und Künstler ein umso mehr angespanntes. Es ermöglicht uns persönlich aber - zumindest für den Moment - auch positive Aspekte im Film selbst zu erkennen und hervorheben zu können. Das trifft aber nicht für alle Menschen zu, und sollte deshalb beim Lesen unbedingt im Hinterkopf behalten werden.

Ein Gespräch zwischen Dominik und Christoph, einen Tag nach der Sichtung:

Dominik Schwaab: So, Christoph. Wir haben jetzt beide Sparta in unterschiedlichen Vorstellungen gesehen. Was sagst du, ist Seidl hier ein subversiver Geniestreich gelungen? Oder würdest du lieber in dein Auto rennen und aus Verzweiflung weinen?

Christoph Brodnjak: Nein, also das Weinen überlass’ ich ruhig dem Protagonisten. Wenn man sich das Rundherum wegdenkt, war er rein filmisch betrachtet überraschend zahm und zurückhaltend. Oder wie siehst du das? 

D: Ja, da hatte ich einen ähnlichen Eindruck. Wir haben stilistisch natürlich wieder die typische Seidl-Tristesse, wenn auch mit relativ wenigen Symmetrie-Moneyshots. Ich hatte aber schon das Gefühl, dass Seidl dem Thema des Films mit besonderer Behutsamkeit begegnet. Vor allem, wenn man im Vergleich an seine Dokumentarfilme wie im Keller denkt. Die Zurückhaltung schien mir hier vor allem durch die Verwendung von Auslassungen zu erfolgen. Wie hast du das gesehen? Hätte er radikaler sein sollen?

C: Ja, bei dieser Thematik - gerade wenn es um Kinder geht - muss man sich ja fast wie auf Eierschalen bewegen. Da steigt man schnell jemandem auf die Zehen. Man braucht da gar nicht lange zurückdenken, beispielsweise etwa Mignonnes. Ich denke, dass die Zurückhaltung dem Film sicher geholfen hat. Man ist sich nie hundertprozentig sicher, wie weit Ewald dann tatsächlich geht. Vieles kann man natürlich auch als Metaphern betrachten, wie beispielsweise die Szene mit der Schaukel.

D: Die Zurückhaltung sehe ich auch als die große Stärke des Films an. Seidl urteilt zwar nicht direkt über den Protagonisten und inszeniert ihn zuweilen auch als Opfer, aber er entschuldigt ihn nicht. Beim genauen Hinsehen sieht man - vor allem Richtung Ende - doch eine deutlich kritische Einordnung seines Verhaltens.

C: Versauert wird das Ganze natürlich leider durch die im Raum stehenden Vorwürfe. Sollten diese stimmen, würde das eine gewisse „Scheinheiligkeit“ abbilden. Auf der einen Seite Wasser predigen und betont behutsam mit der Darstellung umgehen, hinter den Kulissen aber dann sehr fahrlässig agieren und Kinder für sie überfordernde Situationen aussetzen. Es stellt sich die Frage, wie glaubhaft die den Charakteren entgegengebrachte Menschlichkeit ist, wenn gleichzeitig den Schauspielern und Kindern hinter den Kulissen kaum Respekt gezollt wird. Oder ob diese Menschlichkeit bloß zu einem ästhetischen Mittel verkommt.

D: Die Widersprüchlichkeit zwischen Film und (vorgeworfenem) Produktionsprozess lässt sich in einer Szene sogar direkt sehen. Wir sehen, wie ein gewalttätiger Vater seinen Sohn dazu zwingt, „böse“ oder „gemein“ zu handeln, da er ihm zu feminin und verweichlicht ist. Der Film kritisiert hier natürlich diese Art von Einstellung. Die Vorwürfe gegen das Produktionsteam und Seidl ließen aber darauf schließen, dass der Regisseur am Set selbst die Rolle des Patriarchen eingenommen habe, der die Kinderdarsteller rücksichtslos über ihre Grenzen zwingt. Da hilft sicherlich auch nicht, dass in der ersten Vorstellung nach dem Film eine unangenehme Rede von Michael Köhlmeier abgespielt wurde, der Seidl zum verkannten Genie erklärte und das Weinen eines Kindes am Set mit Bezug auf den Tod unzähliger flüchtender Kinder relativierte.

C: Zur Rede kann ich nichts sagen, die gab es bei meiner Vorstellung nicht. Interessant finde ich aber auch eine Szene, in der ein Tier geschlachtet wird. Die Schlachtung selbst wird nicht On Screen gezeigt. Das spiegelt diesen ganzen Konflikt, glaube ich, besser wider als von irgendjemanden beabsichtigt. Ein Tier für einen Film zu töten, kommt mittlerweile nicht mehr wirklich gut an. Aber wer weiß, ob das Tier nicht trotzdem hinter den Kulissen dafür gemeuchelt wurde. Es spielt wiederum gut in das Motiv der Auslassung mit rein.

D: Ja, also die Rede war ein einseitiger Versuch, jegliche Vorwürfe ohne Einsicht abzuwimmeln. Da wurden dann Aristoteles und Kafka heraufbeschworen, um Seidl zu verteidigen. Er macht uns zu Mittätern und gönnt uns keine Katarsis… Es wird auf der Viennale noch das Panel „Narrative und Manipulation“ geben, vielleicht wird da ja noch kritisch auf Sparta eingegangen. Bei dem Screening gab es da nun gar nichts.

C: Du hattest als deine „One Word Review“ glaub’ ich das Wort „Ambivalenz" gewählt. Das passt gut. Ich würde als mein Wort noch „Sehnsucht“ hinzufügen. Weil es, glaube ich, vordergründig nicht unbedingt nur um Pädophilie geht. Sondern vielmehr auch um Kindheit, den Kontakt mit anderen Kindern und darum, das eigene Kind in sich selbst zu suchen und als einer der ihrigen zu gelten. Die Grenze zum explizit sexuellen ist da natürlich abermals verschwommen - um nicht zu sagen ambivalent. Ewald scheint oftmals mehr ein Getriebener seiner eigenen Psyche zu sein. Gegen Ende erkennt man aber doch irgendwie eine Art Kalkül hinter seinen Taten.

D: Der Begriff der Sehnsucht passt gut! Gerade durch die vielen Auslassungen hatte man teilweise das Gefühl, dass es überhaupt nicht um Sexualität geht. Eine Sehnsucht ist also auf jeden Fall zu spüren. Ich glaube aber, dass diese Sehnsucht von Ewald aufgrund seiner Pädophilie unerreichbar gemacht wird. Das sieht man daran, dass der Kontakt zu Kindern vor allem zu Beginn oft mit einem psychischen Zusammenbruch seinerseits endet. Mit dem Ende sieht man dann aber, wie du sagst, jene kritische Einordnung, die bei diesem Thema trotz aller Zurückhaltung und Empathie nicht fehlen darf. Übrigens entsteht durch Ewalds Verhalten auch das pessimistische Bild eines sicheren Rückzugsortes, der sich dann aber doch als Höhle eines zumindest potenziellen (sexual) predators herausstellt - eine Welt ohne Sicherheit. Eine problematische Freisprechung geschieht hier keinesfalls, wenn auch das alles wieder etwas heuchlerisch sein mag.

D: Was mich noch interessieren würde: Ich habe Rimini ja nicht gesehen. Wie würdest du denn die Filme zueinander einordnen?

C: Ich muss gestehen, dass ich mir unsicher bin, wie diese zwei Filme als ein einziger ganzer funktioniert hätten. Das war ja schließlich einmal der Plan. Seidl konnte es sich offensichtlich auch nicht ganz vorstellen.

In beiden Fällen geht es stark um die eigene Vergangenheit und gewisse Ideale, die man sich zurückwünscht oder vielleicht gar nie wirklich gehabt hat. Die Figur des Vaters spielt hierbei auch eine zentrale Rolle. Wobei in Rimini der Protagonist weniger an seiner eigenen Kindheit hängt, sondern selbst die Rolle der Vaterfigur einnimmt. Damit verbunden aber eine Gegenfrage: Da du Rimini nicht gesehen hast, wie siehst du die Figur von Ewalds Vater und seinen Platz in dieser Geschichte?

D: Ich habe ihn als Komplementärfigur zu Ewald wahrgenommen. Eine Person, die in erster Linie durch eine höchst problematische, gesellschaftlich geächtete Eigenschaft charakterisiert wird - Pädophilie einerseits, nationalsozialistisches Gedankengut andererseits. Trotzdem werden beide als Figuren inszeniert, mit denen man empathisieren oder Mitleid empfinden soll. Denn auch der Vater wird vor allem als Figur gezeigt, die traurig durch den Alltag trottet und durch nicht kontrollierbare Alterskrankheiten wie Demenz geplagt wird. Das bildet natürlich einen klaren empathiefördernden Gegenpol zur Nazi-Einstellung, die nur mit Verachtung rezipiert werden kann. Beide sind eben dann letztendlich doch Figuren der Ambivalenz.

C: Da ist es eben interessant, Rimini gesehen zu haben. Der Vater ist quasi das Bindeglied, (unfreiwillig) in der Vergangenheit feststeckend - der ewige Gestrige.

Allerdings sind die Szenen mit dem Vater in Sparta zu gut ⅔ genau dieselben wie in Rimini, möglicherweise oftmals sogar derselbe Take. Auf diese Weise büßt das Ganze leider etwas an seiner Schlagkraft ein. Wenn man das quasi eh schon alles gesehen hat, wirken diese Szenen teilweise etwas redundant. Es macht natürlich dann schon Sinn, wenn man sich die beiden als einen einzigen ganzen Film denkt. Haben bei dir die Leute eigentlich auch komisch gelacht, wie er das Deutschlandlied gesungen hat? 

D: Das weiß ich ehrlich gesagt gar nicht mehr, aber vermutlich ja. Ein paar vereinzelte Lacher und Schmunzler waren auf jeden Fall dabei. Und natürlich viel Applaus für den Film und Seidl - von den Vorwürfen war da nicht viel zu spüren.

C: Das wohl, ja. Wobei der Film im Ganzen in seiner Tonalität doch viel ernster als Rimini ist. Der hatte ein bisschen mehr Komik eingebaut. Den fand ich auch insgesamt etwas abgerundeter als den hier jetzt.

D: Mir fehlt da leider der Vergleich. Ich fand Sparta rein für sich genommen doch ziemlich stark. Aber die (vorgeworfenen) Produktionsbedingungen rücken den Film nochmal in ein anderes Licht. Vor allem, weil sie der “Message” - empathischer, respektvoller Umgang mit allen Menschen - stark widersprechen.