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The Leipzig Years — Kapitel 5 und 6

Mit jedem Schritt ins Dunkle, mit jeder Zigarette, frisst die Wahrheit den Kern der Sterne und wir tanzen weiter wie Motten ums Licht. Emil Bodmers Roman Debüt “The Leipzig Years” jetzt Exklusiv jeden 2. Sonntag als Fortsetzungsroman bei Bohema.

Elena Debachinsky © /// Bohema

FÜNF

Einen Kater von Alkohol zu haben, ist schlimm. Einen Kater von zu viel Alkohol plus Koks zu haben, ist schlimmer. Einen Kater von zu viel Alkohol, plus Koks, plus mit der kleinen Schwester der großen Liebe rumknutschen, der ist nochmal schlimmer. Wahrscheinlich nicht am schlimmsten, ich kann mir vorstellen, dass wenn ich das Koks mit, zum Beispiel Meth tauschen würde, dann wäre das noch schlimmer, das wäre dann vielleicht am schlimmsten. Nein, natürlich können auch schlimmere Dinge vorfallen, als mit einer Person rumzuknutschen, die man sehr gerne mag und die Augen wie den Walchensee in der Nähe von Murnau hat, davon gehe ich schon aus. Während sich meine Gedanken darum kreisen, dass es jetzt vorbei ist, dass jetzt alles vorbei ist, ganz sicher, ich kann nicht mehr hoffen, dass es ein zurück gibt, nicht nachdem ich was mit Kaja hatte, ich muss jetzt einfach damit leben, während sich meine Gedanken also darum drehen, dreht sich auch mein Magen, ich muss kotzen, schaffe es nicht mehr rechtzeitig aufzustehen, kotze neben mein Bett, neben meine Matratze auf dem Boden, ich Ekel, ich Sau, ich schaff es nichtmal jetzt aufzustehen, bleibe liegen dreh mich um, und weine, weine nicht weil ich gekotzt hab, vielleicht ja auch, auch aber, weil ich mich schäme, schäme vor mir, vor meinem Opa, dessen Lieblingsenkel ich war, der immer wollte, dass ich mal was aus mir mache, vor meiner Mutter, die mit ihrem großen Herzen und tränenden Augen ihren kleinen Jungen in die große Welt losgelassen hat, meine Mutter die immer nur das war, immer Mutter für mich, die ihr Leben in meines gegeben hat, auch wenn ich das nie wollte, schäme ich mich, schäme mich, dass ich in der großen Welt seit Jahren nichts mache, außer zu saufen, zu ballern, auf die Uni zu scheißen, Ziel und planlos in den Tag hinein zu leben, ich hab nichts, was ich stolz vorzeigen könnte, ich schäme mich so, ich hab neben mein Bett gekotzt, lieg neben meiner Kotze, mach sie nicht weg, ich schäme mich so, ich schäme mich so, vor meinen Lehrern aus der Schule, wenn die wüssten, was ich nach dem Abi so gemacht habe, ich schäme mich so vor meinem Vergangenheits Ich, dem kleinen Jungen, so still, immer unsicher und doch voller Hoffnung, voller Träume , die Träume leb ich nicht, meine Träume waren das hier alles nicht, auch weine ich, weil ich Hanna so liebe, weil ich Hanna so liebe wenn sie neben mir liegt, Das Kapital liest und einfach schmunzelt, wer macht das denn, wer macht das, außer ihr? Ich liebe Hanna so dafür, dass sie mir gezeigt hat, dass ich nicht alleine bin, ich liebe sie dafür, dass sie als Kind zur Weihnachtszeit jeden Abend durch die verschneiten Straßen ihrer Heimatstadt gelaufen ist, um sich die Weihnachtslichter anzuschauen. Ganz still ist sie gelaufen, allein, auch dafür liebe ich sie. Ich weine, weil jetzt einfach alles vorbei ist, ich hab die Schwelle überschritten, an der ich mir noch selber hab sagen können, das wird, irgendwann wird das werden.

Wie ein plötzliches, mich erschreckendes Hupen, erklingt meine innere Stimme, ‘’Raff dich, Junge, raff dich’’, ich versuche zu gehorchen, stehe auf, hole den Eimer und wische die Kotze vom Boden. So aufgestanden, jetzt heißt es irgendwie beschäftigen, dem Kater nicht verfallen, in Bewegung bleiben, ablenken, aber auch nicht aufs Handy schauen. Ich will nicht keine Nachrichten bekommen, will nicht lesen, ‘’Warum warst du so lang mit Kaja auf dem Klo?’’ oder ‘’Emil, hattest du etwa was mit meiner kleinen Schwester’’ ach und ja wahrscheinlich würde ich das alles sowieso nicht lesen, wahrscheinlich interessiert es niemanden außer mich und warum ist da ein kleiner Teil in mir der sich denkt, ‘’Hm, vielleicht merkt Hanna ja jetzt wie sehr sie mich auch braucht’’?

Ich Idiot, man kann es nicht anders sagen, doch, ich Vollidiot.

Ok, natürlich muss ich es wissen, hat Hanna geschrieben?

Nein hat sie nicht, niemand hat geschrieben, außer Dusan, der aber nicht mal mir, sondern in unsere Gruppe, ob jemand seinen blauen Pulli gefunden hat, was ich nicht habe, offensichtlich auch sonst niemand, zumindest antwortet niemand. Vielleicht sollte ich einfach nur schreiben, ‘’Nein hab ich leider nicht’’, nur damit seine Nachricht nicht so verloren alleine steht und er sich ignoriert vorkommt. Vielleicht sollte ich das auch nicht machen, nicht dass er sich verarscht vorkommt. Vielleicht sollte ich mein Handy auch einfach wieder weglegen, aber was machen, mein Kopf ist so leer, naja nicht ganz, aber die Sachen die drin sind, die will ich da gar nicht, über die will ich nicht nachdenken, die will ich verdrängen, aber es darf nicht nur die Leere übrig bleiben, die halte ich nicht aus. Ich denk ich knall mir nen Podcast auf die Ohren. Dazu vielleicht online Schach spielen, ich krieg bestimmt ne Packung, kann keine zwei Meter weit denken, aber so lang ich die nicht ganz zwei Meter zumindest mit Schachgedanken ausfüllen kann, gibt es keinen Platz für was anderes.

Es läuft, wie auch nicht anders zu erwarten miserabel, ich spiele schon extra Blitzschach um nicht mein Haupt Rating, das im Rapid runterzuspielen, im Blitz bin ich viel schlechter, also sind es die Gegner*innen auch, aber ich kriege so dermaßen auf den Sack, ich muss was ändern, doch kein Podcast, der lenkt ab, Musik, keine deutsche, die lenkt ab, da hör ich immer zu, schweife ab und sitz plötzlich wieder mit Lou in der Kneipe, das will ich nicht, also meine gute alte Kater Playlist, die hab ich seit der 10 Klasse, schmalzbehaftete Melancholie, Ohhh ohhhh ich bin so verkatert, ich habe so eine Sehnsucht ohhh ohhhhh.

Ich kriege trotzdem auf den Sack.

Die Musik stoppt, ebenso wie mein Herz, denn das passiert, wenn ich angerufen werde. Das stoppen der Musik, das mit dem Herz eigentlich nicht. Manchmal nur, in solchen Fällen, das könnte ja jetzt schließlich Hanna sein.

Ist sie aber nicht, es ist meine Mutter, die es schafft, immer dann anzurufen, wenn ich verkatert bin. Was statistisch gesehen auch wahrscheinlicher ist. Ich kann da nicht rangehen, ich halte das nicht aus, die Stimme meiner Mutter, die hoffnungsvoll ihren kleinen Jungen sprechen möchte, der kleine Junge der sein Leben wegwirft, seit Jahren einfach nur dabei zusieht wie alles den Bach runtergeht, der nichts dagegen macht, einfach die Zeit irgendwie überbrückt bis zum nächsten Exzess.

Nein Mama, es tut mir leid, ich kann deine Stimme jetzt nicht hören.

Elena Debachinsky © /// Bohema

Ich habe es irgendwie geschafft den Tag bis zum Nachmittag rumzukriegen, wollte mir was kochen aber wurde aus der Küche vertrieben weil da mein Mitbewohner Felipe saß, mit Sara, die haben seit ein paar Wochen was miteinander. Sara ist nicht nur eine der besten Freundinnen von Hanna, ne, sie ist auch wunderschön und das Felipe was mit ihr hat, löst eine gewisse Eifersucht in mir aus, eine, die ich heute nicht tragen will, also nicht in die Küche. Ich hab mir dann was bestellt, ein Sandwich und ne Limo, seitdem ist mir wieder schlecht, aber ich musste nicht mehr kotzen. Hätte ich es gemusst, das habe ich mir selber versprochen, dann wäre ich dieses Mal ins Badezimmer gerannt. Aber Stand jetzt, alles gut, an der Magenfront.

Auch wenn also bis jetzt vieles in Ordnung lief, mit diesem Kater der so schlimm begonnen hat, auch daher, bewusst, in Ordnung lief und nicht gut, denn wie könnte es gut sein, wenn er damit begann, dass ich neben meiner Kotze lag, wenn es also in Ordnung lief, bis dahin, dann wird es jetzt schwieriger, wird anstrengend. Der Nachmittag der ja gemeinhin bekannt, der sich ziehende Vorbote des ewig währenden, sorgenumwobenen Abends ist, bringt mir einiges an Gedankengut, was ich am liebsten hinter feste Mauern würde verbannen wollen würde.

Das ist schon wirklich eine verdammt ausweglose Situation, in die ich mich da hineinbuxiert habe. So ganz allgemein. Wenn man sein Leben mal betrachtet, dann MUSS das Ziel ja eigentlich sein, glücklich und zufrieden zu sein. Alles Andere ist ja einfach nur Mittel, das was wir allgemeinhin als Lebensziele und so bezeichnen, das ist ja alles andere, nur kein Ziel. Es ist ja niemals das Ziel irgendwas zu arbeiten, es ist nur Hoffnung, durch diese Arbeit Erfüllung zu finden, die dann eben Glück bedeutet, oder ist es eben das Mittel Kohle zu verdienen, die dann jetzt eben Erfüllung bedeutet. Welche wieder Glück bedeutet.

Nach dem Glück zu streben, bedeutet ja auch, wieder der Sehnsucht nachzugehen und Sehnsucht hab ich ziemlich dolle, ich weiß nur nicht genau, nach was. Irgendwie ankommen, an einem Ort, aber auch in mir. Ich spüre auch ein ziemliches Feuer, dieser Sehnsucht nachzugehen, das ist gut. Was aber nicht besonders gut ist, ist, dass dieses Feuer immer schwächer wird, seit Jahren wird es immer schwächer und ich habe Angst meine Sehnsucht zu verlieren, mich einfach abzufinden. Dabei ist die Sehnsucht das, was mich überhaupt erst antreibt. Wenn dieses Feuer mal erlischt sollte man denken, bin ich angekommen, aber gerade denke ich eher, ich würde die Sehnsucht dann vermissen, würde mich noch leerer fühlen und dass ist ne verdammte Zwickmühle, das ist wirklich nicht in Ordnung, man sollte sich nicht auf einem Weg befinden, auf dem man Angst hat davor, anzukommen.

Was passiert, wenn ich ankomme? Was werde ich denken, nach was werde ich streben, was werden meine Ziele sein? Werde ich dann noch schreiben können? Ist die Kunst nicht immer nur ein Ausdruck der Suche? Oder ist das nur meine Kunst? Gibt es vielleicht kein allgemeines Ankommen, sondern nur ein partielles, geht die Suche immer irgendwie weiter, und wenn ja, wie unglaublich stressig ist das denn? Muss man sich wirklich damit anfreunden, seine Sehnsucht nie ganz auszufüllen, ist das Ziel vielleicht einfach schon, dieses Brennen in sich zu spüren, dem nachzugehen, aber irgendwann zu bemerken, dass man es nie löschen wird und das auch nicht will?

Ich versuche es, ich versuche es wirklich, meine Gedanken verkatert im Zaum zu halten, sie einzusperren, heute nicht, heute wird sich abgelenkt, aber es läuft nicht, es funktioniert nicht, wenn man zu nichts anderem in der Lage ist, außer liegen, dann kommen sie, die Gedanken, und die treiben einen echt umher, die Gedanken, die gehen mir auf den Sack, und es gibt eine ganz einfache Möglichkeit wie ich die Sorgen und Ängste für heute schlafen schicke und die Möglichkeit liegt in meiner Schublade und heißt Tavor.

Klar, nicht zu oft, aber manchmal, vor allem wenn Drogen wie Koks, Speed oder MDMA  im Spiel sind, dann gönn ich mir das. Das beruhigt, das lässt schlafen und das gebietet einem Abend Ruhe, der ohne Tavor seine Grenzen nicht zu kennen scheint, der so lang daherkommt, der seine eigenen Ängste mitbringt, seinen Schrecken verteilt, einen ewig nicht pennen lässt, und wenn dann doch, dann nur solang, bis man in panischen Wachträumen erwacht, oder eben halb erwacht, vor sich hinsiecht in Zwischenwelten, mit dem namenlosen Schrecken direkt vor Augen und doch so ungreifbar,nur ein Gefühl. Kein Gedanke kommt zustande, nur das Wissen, es geht vorbei mit dir, es geht vorbei mit dir, jetzt hast du es übertrieben, du hättest aufhören sollen, als es noch ging, jetzt ist es zu viel, du hast dich entschieden und es war der falsche Weg. So verbringst du die Nacht, bis der Morgen dich irgendwann erlöst, dann stehst du neben dir, den ganzen Tag, die Umgebung wird verschwommen sein, Angst immer noch ein steter Begleiter, was will der Typ auf der anderen Straßenseite, der kommt sicher gleich rüber und haut dir aufs Maul, du wirst schwach auf den Beinen sein und den ganzen Tag besorgt gen Abend blicken, hoffentlich kannst du heute schlafen.

Das alles wird besser, wenn du nur heute mal diese kleine Tablette nimmst, wie soll man denn da nicht ab und an schwach werden, das ist das normalste der Welt und auch nur fair. Eine Substanz löst die Angst aus, dann kann ich sie ja wohl mit einer anderen beseitigen, nicht wahr?

Elena Debachinsky © /// Bohema

SECHS

Katertag zwei ist grau, kein Regen, nur unbefriedigendes Grau. Mir geht es ein bisschen besser. Klar, der Dopaminspeicher füllt sich langsam wieder. Mir geht es nicht so gut wie gestern Abend. Klar, die Tablette wirkt ja nicht mehr.

Es ist 11 Uhr, auf meinem Handy sind zwei Nachrichten, Dusan hat in der Gruppe eine Antwort bekommen, Liv hat seinen Pulli leider nicht gefunden, noch dazu will sie wissen ob am Wochenende jemand mitkommen möchte ins Institut für Zukunft, also die ganze Nacht ballern und tanzen, worauf ich keine Lust habe. Wie bei der Dusansache überlege ich wieder kurz, ob eine kurze Antwort, ‘’Nein leider nicht, aber viel Spaß’’, nett wäre, oder überflüssig, vielleicht sogar gemein ist, ich antworte besser nicht und les die Nachricht von Salma.

‘’Lust auf Kaffee und vielleicht Schach?’’

Nein, ich habe keine Lust auf Kaffee und Schach bei Salma, aber ich hab Lust auf Tee und Schach bei Salma, hab Lust mich auf ihr Sofa zu legen, Musik zu hören, Salma mein Herz auszuschütten, wie früher als wir uns kennengelernt haben, Stunden über Stunden nur geredet haben. Sie war damals neu in Leipzig, wir kannten uns zwar schon aus München, aber wie man halt jemanden kennt den man ab und an auf Partys sieht, ohne je mehr als zwei oder drei Sätze zu sprechen, kennengelernt haben wir uns also in ihrem Zimmer in der Inselstraße in Leipzig, damals, als sie noch kein Sofa hatte und wir Stunden über Stunden auf ihrem Teppich lagen und geredet haben, Musik gehört haben, gekocht haben, Rotwein getrunken haben und ich mich das erste mal seit langer Zeit wie in einem echten zuhause gefühlt habe, anders als in meiner ersten Wohnung in Leipzig, der Schanze, damals mit Robby König und Sam Furth, das war leider oft kein Zuhause, sondern nur eine Wohnung, eine gute Zeit, die ich jetzt, im Nachhinein, nicht missen möchte, aber zu Partylastig, zu dunkel, zu schmutzig, das war kein Zuhause.

Salma ist für mich schnell zu einem Zuhause geworden, war schnell beste Freundin, Schwester, fast Mutter manchmal, sie kann riechen wenn es mir nicht gut geht, es hat keinen Zweck sie anzulügen, weil sie das weiß, bevor man nur den Mund aufmacht. Salma ist so oft eine Arche in meiner Sinnflut der Depression gewesen. Ich kam aus dem strömenden Regen, kam vom draußen herumirren ohne Ziel zu ihr, hab ihr in die Augen geschaut und einfach nur geweint. Salma ist der beste Teil im Leben einer jeden Familie.

An dieser Stelle, danke, wirklich danke für alles.

 

Elena Debachinsky © /// Bohema

Auf dem Weg zu ihr laufe ich durch das Rabet, sehe den Typen mit den schulterlangen blonden Haaren, werde von den Aldijungs angesäuselt, erschrecke mich als ich beim überqueren der Straße fast von einem Auto überfahren werde, einem scheiß Auto, das viel zu schnell und viel zu laut die Eisi runterrast, ich habe Kopfhörer drin, trotzdem ist es viel zu laut, scheiß Eisi, scheiß Macker in ihren scheiß Autos. Vor ein paar Wochen haben sie hier auf der Eisi ein illegales Rennen veranstaltet, ein Auto hat sich dabei gedreht und Rio erwischt. Rio war mit dem Fahrrad unterwegs, ist auf der Frontscheibe gelandet. Rio ist nichts passiert, aber dafür konnten die Rennfahrer nichts und ich hasse sie und alle hassen sie nur sie wissen das nicht, vielleicht wissen sie es auch, aber es ist den Eisimackern egal. Die sind die größten, sie sind die Könige des Egoismus, die sind mir sowas von zuwider.

Kurz nach dem ‘’Leck mich am Arsch war das knapp’’ Moment, trete ich fast in Hundescheiße, leck mich am Arsch war das knapp, dann denke ich dass gleich 4 Meter weiter noch ein Haufen liegt, aber es ist ein Blatt, es ist Laub, braun ist es, vom Baum, es ist Sommer, aber anscheinend nicht mehr so lang, die Erstis, die Blätter die aussehen wie Scheiße, die Zeichen verdichten sich und wir müssen in Urlaub, jetzt, jetzt bevor es zu spät ist.

Wobei, Dirk würde schnauben und verächtlich sagen: ‘’Zu spät Digga, zu spät, der Sommer ist die einzige Jahreszeit, in der es hier auch geil ist, warum sollen wir denn da wegfahren, warum fahren denn da alle weg, sind die dumm, lass uns im Winter fahren, wir müssen im Winter in den Süden, wie die Vögel, die Natur ist immer klüger als wir.’’
Naja, das Letzte würde Dirk wahrscheinlich eher nicht sagen, dass mit der Natur, er denkt schon, dass er klüger ist als die Natur. Aber er hat auch einen Punkt, die Natur kann ja schließlich nicht denken, da läuft ja mehr oder weniger alles zufällig oder bedingt sich halt zwangsläufig, wir sind da etwas freier… entscheiden uns nichtsdestotrotz viel zu oft für Bullshit, 40 Stunden Woche, für dich kein Medizinstudium, weil du eine zwei in Geschichte hast, für dich kein Visum weil Rassismus, oder eben, der Dirk hat schon recht, im August in den Urlaub fahren. Wer da jetzt klüger ist, die Natur oder wir, das vermag ich letzten Endes nicht ganz zu sagen.

Leider sitzen wir nicht bei Salma auf dem Sofa, sondern auf dem Balkon, wir spielen auch leider kein Schach sondern reden mit Salmas Mitbewohnern, Leo und Paul, die beiden sind auf jeden Fall klüger als die Natur und sie reden über Hegel, oder Kant oder irgendwas, ich hör nicht zu, nicke nur manchmal und ziehe an der Zigarette die mir Leo angedreht hat, auch wenn Katertag zwei eigentlich noch etwas früh ist, für eine Zigarette, aber naja, ich muss beschäftigt wirken. Salma gibt offen zu, sich mit der Thematik nicht wirklich auszukennen, aber sie sagt kluge Sachen und ich frag mich, wie so oft, warum ich jemals dachte, Studieren und wissenschaftlich arbeiten sei das richtige für mich. Leo und Paul, das sind Intellektuelle, das sind Leute die studieren, Salma, die ist eine die studiert, die hat Lust sich da reinzufuchsen, zu philosophieren, zu lernen, ich schweif lieber ab und schiebs dann auf mein Adhs, falls es auffällt.

 

Ich hab mich in Salmas Zimmer zurückgezogen, hab gesagt ich müsste telefonieren, sitz aber nur rum, spiel Schach auf dem Handy, warte bis Salma kommt, trink meinen Tee.

‘’Na duzi, wie hast du das Wochenende überstanden?’’

‘’Ohhh Madame, viel wichtiger erscheinen mir die Ausführungen Hegels!’’

‘’Lustig, Emil. War doch interessant.’’

‘’Geistig arm ists, wenn man immer nur über die Gedanken anderer nachdenkt, ganz ehrlich.’’

Ich weiß nicht, warum ich so pissig bin, heut ist irgendwie nicht mein Tag, ich bin sauer, bin sauer auf meinen niedrigen Serotoninspiegel, sauer auf mich, weil ich was mit Kaja hatte, sauer auf Paul und Leo, weil sie immer so rum schwadronieren müssen, sauer auf die Eisenbahnstraße, diese beschissene Kakophonie aus Schmutz und Lärm, sauer auf Salma ohne überhaupt zu wissen wieso. Salma kriegt das irgendwie oft ab, dass ich sauer bin, weil… ich glaub weil ich mich bei ihr emotional so oft fallen lasse, das Gefühl hab sie würde mich schon auffangen, das ist unfair und es tut mir leid, es ist aber, auf eine ganz verschobene Art und Weise, tatsächlich ein Zeichen von tiefer, inniger Liebe, tiefem Vertrauen.

‘’Wohooo, so zornig heute oder wie? Da hab ich ja gleich richtig Lust, mit dir anzuhängen.’’

‘’Voll, sorry Salma. Weiß auch nicht genau, bin irgendwie angefressen, aber nicht von dir oder so natürlich, einfach allgemein!’’

‘’Könnte es unter Umständen damit zu tun haben, dass du mit Kaja rumgeknutscht hast?’’

‘’Nee auf keinen Fall, das war ja nur so, außerdem mag ich Kaja, nee das ists echt nicht. Hm, naja, doch, vielleicht ists das auch.’’

‘’Klar ists das auch, du Depp! Das ist Hannas Schwester, das Eisen ist zu heiß, Finger davon!’’

 

Salma hat Probleme mit Sprichworten, manchmal verändert sie sie nur ganz leicht, wie in dem Fall gerade, manchmal erfindet sie aber auch komplett neue. ‘’Die Ecken sind schon schwarz bestrichen’’ ist ein unrühmliches Beispiel, weil ich nicht im Ansatz verstehe, was das heißen soll, ich weiß den Kontext leider nicht mehr, aber ich erinnere mich, dass ich es auch damals nicht verstanden habe. Viel gelungener dagegen finde ich, ‘’Die Wahrheit frisst den Kern der Sterne’’, nicht weil ich den Sinn verstehen würde, aber wie schön kann etwas klingen? Chapeau, Salma.

 

‘’Irgendwie hab ich Angst, dass es das jetzt komplett war, dass ich das Tischtuch zertrennt habe, dass jetzt die Hoffnung ein für allemal begraben wurde. Vielleicht ists aber auch nicht schlecht, weißte wie ich mein, vielleicht muss ich die Hoffnung ja irgendwann auch einfach für immer begraben, das kann ja so nicht weitergehen, mit dem am Arsch sein von Montag bis Donnerstag, dem sich blamieren von Freitag bis Sonntag, dem am Arsch sein von Montag bis Do…’’

‘’Nein Emil’’, unterbricht Salma mich, ‘’so kann das wirklich nicht weitergehen. Du musst echt wieder lernen du selbst zu sein, stolz auf dich zu sein, die Sachen zu machen, die dich eigentlich auszeichnen, nicht der Typ, der eigentlich immer darüber redet, wie unglücklich verliebt er ist und wie fertig ihn das alles macht. Das tut mir leid, dir das jetzt so direkt zu sagen, ich weiß es ist hart für dich, aber Emil, du bist nicht der einzige der ne Herzschmerzphase durchmacht, du bist nicht der einzige der leidet. Es ist in Ordnung zu leiden, es ist in Ordnung den Kopf auch mal hängen zu lassen, aber eine Person darf NIEMALS über dein komplettes Sein bestimmen. Nicht wenns gut läuft und schon gar nichts wenns schlecht läuft. Dass du was mit Kaja hattest, das war nicht schlecht finde ich, das ist vielleicht wirklich endlich ein Schlussstrich. Das ist das was du brauchst Emil, ich weiß das ist hart, das tut weh, das will man nicht akzeptieren, naja äußerlich nicht akzeptieren, aber tief in dir, da weißt du es doch eh oder? Da weißt du doch, dass es keine glückliche Zukunft für dich und Hanna gibt, dass es dir nur weh tun wird, mit jedem Tag an dem du noch daran hängst.’’

Salmas Worte treffen mich wie Pfeile, ich hab Tränen in den Augen, hoffe sie merkt das nicht, weiß dass sie recht hat, hoffe ich merke das nicht, ich bin jämmerlich, ich bin wirklich, wie Salma sagt, nur noch damit beschäftigt am Arsch zu sein und rumzuheulen. Ich nicke nur, sage nichts.
‘’Weißt du Emil, früher bist du in den Raum rein gekommen, die Leute die dich nicht kannten, die haben sofort gemerkt, oh wow, der ist besonders, die Leute die dich kannten, die haben sich gefreut weil, naja, wir sind ja Freunde… Es ist nicht so dass ich mich heute nicht mehr freuen würde, aber man merkt einfach, dass du dich verändert hast, dass du keine Freude mehr austrahlst, seit ein paar Monaten, das zerreist mich, das tut mir weh, tut mir leid für dich, ich wünsche dir dass du wieder zu dir findest. Ich hab dich lieb, Milli, ich bin immer für dich da, ich hoffe du weißt das.’’

‘’Ich weiß das Salma, ich hab dich auch lieb. Danke dir.’’

Salma hat mich, ich weiß wirklich, dass es vorbei sein muss, ich weiß wirklich, dass ich etwas verloren habe, was mich ausgemacht hat, ich weiß wirklich, dass jeder Tag mit Hoffnung auf eine Zukunft mit Hanna einer ist, an dem ich das Loch in dem ich mich befinde, noch tiefer grabe. Es macht gute Freunde und Freundinnen aus, dass sie einem die Wahrheit sagen, egal wie schmerzlich die ist, egal wie wenig man die hören will, egal wie sehr man die abstreitet.

Die besten Freund*innen sind die, die nach oben holen, was man, wenn man nur mal ehrlich zu sich selbst wäre, schon lange weiß.

In diesem Sinne, danke Kaja, danke Party, danke Suff, danke Koks, danke, dass ihr mich auf den Weg der Besserung führt. Auch wenn es jetzt am meisten weh tut, noch viel schlimmer kann es nicht werden, ab jetzt gehe ich in die andere Richtung, ab jetzt wird es jeden Tag ein bisschen besser.

‘’Willst du noch eine Tee, vielleicht jetzt noch Schach spielen, ein bisschen auf andere Gedanken kommen?

‘’Nein, um ehrlich zu sein, will ich nach Hause. Nimms mir nicht übel. Du hast zwar recht mit dem, was du sagst, aber, ne nicht aber, sondern deswegen, deswegen muss ich heim, ich muss darüber nachdenken, ich muss, naja ich muss heim.’’

‘’Ok mein Lieber. Meld dich, wenn was ist. Lass dich drücken.’’
‘’Ahja Salma. Der Dirk, der Stan, der Lou und ich, wir wollen nach Italien. Man so ganz inoffiziell, können wir mit deinem Auto fahren?’’
‘’Achsooo ist das, erst lästert Lou dauernd über mein Auto, sagt, das packts keine 100 Kilometer mehr und jetzt… wann wollt ihr denn fahren? Und wie lang?’’

‘’Jaaa der Lou, der sieht den ganzen Plan auch etwas kritisch. Dein Auto packt das schon. Wenn alles klappt, übernächstes Wochenende losfahren und so 10 Tage oder so bleiben. Würde das für dich passen? Können dir auch gern bisschen was dafür zahlen, oder so.’’

‘’Hey, ich denk das passt. Ich überleg nochmal, bis morgen, ob mir irgendwas einfällt, warum nicht und geb dann Bescheid.’’

‘’Danke Salma, machs gut.’’

Elena Debachinsky © /// Bohema


Der Roman “The Leipzig Years” ist das geistige Eigentum von Nils Kaiser kaiser.nils1@web.de

Der Nächste Teil erscheint am 14. Januar 2025

Lektorat Yannik Barth