The Leipzig Years — Kapitel 7
SIEBEN
Es ist perfide, aber irgendwie auch typisch für mich, wahrscheinlich sogar typisch für die männlich sozialisierten unter uns, dass es eine Aktion von mir ist, dass ich es bin, der etwas macht und danach sagt, so jetzt war es das mit Hanna, jetzt gibt es kein zurück mehr. Ich habe einen Punkt erreicht, den sie, trotz all der Gespräche und der Ablehnung nicht erreicht hat, was, nunja, das gehört nunmal auch zu Wahrheit, mitunter auch daran liegt, dass Gespräche schön und gut sind, wenn man sich dann aber eine Woche später wieder küsst, wieder fickt, bedeutet das ja dann doch was anderes. Wollte ich zumindest immer hoffen. Aber Ende. Mir gehts gut. Mir gehts wirklich gut. Ungelogen. Es ist für mich vollkommen in Ordnung, mit Felipe und Sara in der Küche zu sitzen. Ich habe mich seit dem Gespräch mit Salma, mehrmals mit Dirk getroffen ohne Hannas Namen auch nur zu erwähnen, mich für ihn gefreut, wenn er von der Anna erzählt hat. Es ist für mich vollkommen in Ordnung, zu wissen dass ich Hanna am Freitag sehen werde, wie Sara mir heute in der Küche gesteckt hat. Party bei Sara und ihrer Mitbewohnerin Liv. Vollkommen in Ordnung. Ungelogen.
Ich bin heute mit Lou verabredet. Wir treffen uns im Cafe Bubu, spielen Schach, reden nicht über seine Unzufriedenheit in Leipzig, nicht über meine, reden nicht darüber, dass ich Hanna aufgegeben habe, reden nicht darüber, wie es mir damit geht und trotzdem nenne ich Lou meinen besten Freund. Das mag komisch klingen. Ist es vielleicht auch. Aber um ehrlich zu sein, habe ich auch keine Lust darüber zu reden, ich weiß nicht, was Lou mir noch sagen könnte, was ich noch nicht gehört habe, was mir noch helfen könnte. Ich will nicht darüber reden. Er hätte was zu sagen, aber das hatte Salma auch, das hatte Dirk auch und Lou würde was sagen, wenn ich es bräuchte. Aber als ich es gebraucht hab, da haben es Salma und Dirk schon gesagt. Jetzt ist es wirklich ok. Ungelogen. Noch dazu, weiß Lou eh wie es mir geht und ich weiß, wie es ihm geht. Wir kennen uns so gut, wissen, wie der andere drauf ist, ohne dass wir darüber reden müssen. Naja, bis auf diese Unzufriedenheit in Leipzig und im ganzen Leben Sache. Die ist aber so elementar, so tiefpersönlich, dass es einen ganz anderen Grund gibt, warum wir da nicht darüber reden. Als wir Freunde wurden, mit 16, da waren wir zu jung, da gab es in unserer Welt die Begriffe emotionale Öffnung und offene Kommunikation noch nicht. Oft habe ich diese Ebene mit Jugendfreunden später noch erreicht. Auch wenn ich Phil Maler, der jetzt in Berlin wohnt oder Thala auch emotional verschlossen, männlich sozialisiert Probleme in uns reinfressend kennengelernt habe, sind wir diesen Schritt später gemeinsam gegangen. Lou und ich sind das nie.
Wir sind für 14 Uhr verabredet, ich komme um 14.15 Uhr, Lou um 14.30 Uhr.
Er musste noch mit Lia telefonieren.
‘’Sorry bro, ich musste noch mit Lia telefonieren."
‘’Kein Stress Mann. Kam auch gerade erst. Ich hol mir, glaub ich, ne Linsensuppe, willst auch eine?’’
‘’Ne, aber kannst du mir nen Cappucio mitbestellen?’’
Es gibt eine Geschichte über Oliver Kahn, den alten Torwart von…, was schreibe ich, jeder weiß, wer Oliver Kahn ist, naja, es gibt diese Geschichte, er kam nach einer Aufnahme in den Backstage und meine: ‘’AHHH, jetzt brauch ich erstmal an großen Cappucio.’’ Legendärer Satz. Seitdem, immer Cappucio, nie Cappucino.
Wir sitzen da, Lou seinen Cappucio, ich meine Linsensuppe, wir spielen Schach, Lou eröffnet Italienisch, ich will eigentlich sagen: ‘’He Lou, bist du wirklich so unglücklich hier?’’, ich sage ‘’He Lou, apropos italienische Eröffnung, wollen wir Dirk und Stan dazuholen, damit wir den Urlaub planen können. Salmas Auto können wir haben.’’
‘’Ja easy, lass das machen'', sagt er, ‘’Wollen wir nicht darüber reden, ob wir uns aus Leipzig verpissen?’’, will er vielleicht gerade sagen, will er wahrscheinlich sagen. Würde es einer von uns sagen, wäre alles so viel leichter.
Stan und Dirk kommen, Stan trinkt einen Cappucino, er kennt die Geschichte nicht, er war leider arbeiten, als wir darüber gesprochen haben, Dirk trinkt einen Gin Tonic.
‘’Wir können Salmas Auto haben.’’, sag ich.
‘’Geil Mann!’’ sagt Dirk.
‘’Das weißt du doch schon’’, sag ich.
‘’Ja klar, aber ich freu mich halt immernoch.’’, sagt Dirk.
Dirk und ich hatten Sorgen, dass Lou oder Stan oder beide noch kurzfristig abspringen, aber nichts, sie freuen sich, sie haben Bock.
‘’Wann fahren wir?’’
‘’Nächstes We?’’
‘’Geht nicht, da ist Party, bei der schönen Sara und Liv.’’
‘’Kein Grund, nicht nach Italien zu fahren.’’
‘’Doch, ich möcht dahin.’’, sag ich und fühl mich schlecht, nicht weil wir nicht da dann nicht schon nach Italien fahren können, ne, dann würde ich mich ja schlecht denen gegenüber fühlen, das tue ich nicht, ich fühle mich mir gegenüber schlecht.
‘’Dann das Wochenende danach, dann arbeite ich die Woche noch, greif bisschen Trinkgeld ab und wir düsen Freitag in der früh los.’’
‘’Klingt gut. Aber wo düsen wir hin?’’
‘’Ich war noch nie in Venedig.’’
‘’Venedig suckt ass.’’
‘’Ja, aber Venedig muss man schon mal gesehen haben.’’
‘’Lass uns nach Venedig, das für einen Tag anschauen, und dann fahren wir weiter.’’
‘’Ja.’’
‘’Ok.’’
Freitag früh.
Eigentlich hätten wir heute schon nach Italien fahren können, aber ich musste ja unbedingt auf die Party heute Abend. Warum? Was erwartet mich denn anderes, als immer und immer und immer wieder das Gleiche? Italien ist besser als das, was immer ist. Wobei ich ja nichtmal ein großer Italien Fan bin, ich plädiere eher zu Spanien, Italien ist in meine Augen, eher ein Tchibo-Spanien, aber Spanien ist leider ein Verdammt-weit-weit-Spanien, deswegen wirds Italien, aber eben nicht heute, erst nächste Woche, weil ich auf die verdammte So-wie-immer-eben-Party muss.
Thala kommt demnächst zu mir, ich bin nicht fertig, doch, ich bin fertig, komischerweise derselbe Begriff für komplett gegensätzliches. Ich liege fertig im Bett, will nicht aufstehen, duschen, mir ist kalt. Die Dusche lässt sich zwar warm machen, natürlich, so schlimm ist Leipzig dann doch nicht, aber bevor die Dusche warm wird, da werden kalte Tropfen, Abpralltropfen, aus dem von mir weggehaltenen Duschkopf, wartend bis das Wasser warm wird, abprallend vom Boden der Dusche auf meine ungeschützen kalten Füße, Schienbeine, tropfen. Ich hasse dieses Gefühl, ich will nicht aufstehen, ich wäre lieber in Italien, zumindest auf dem Weg. Wir würden jetzt die Berge sehen, vielleicht schon die Berge sehen, Dirk und Stan wären außer sich, die kennen die Berge nicht, die kennen nur die Ostsee, das hätte ich lieber als jetzt aufzustehen und kalte Tropfen auf meinen Füßen zu spüren.
Es hilft aber alles nichts, ich habe mein Los eigenhändig gewählt.
Mein Gesicht sieht alt aus, ich habe das Gefühl, langsam Falten um die Augen zu bekommen, aber wahrscheinlich bilde ich mir die ein, ich habe das Gefühl ein Auge von mir ist größer als das andere, das bilde ich mir nicht ein, das ist so, vielleicht aber nicht schlecht. Bei Patti Smith ist das auch so, bei Lionel Messi auch, ist schon ok, aber wenn schon asymmetrische Augen, dann hätte ich die Asymmetrie lieber wie David Bowie. Verschiedene Farben, das wäre krass, verschiedene Größen ist solala.
Dass ich mittlerweile fertig bin, jetzt meine ich das ‘’gute’’ fertig, ich bin bereit, von mir aus, kanns losgehen, ich bin, wie gesagt, fertig und das ist störend, weil Thala noch nicht da ist. Ich hasse es auf Leute zu warten, ich hasse, hasse, hasse das, ich habs gehasst auf Lou im Cafe zu warten aber da hatte ich mindestens was zu tun, im Cafe sitzen, Leute beobachten, Zuhause tigere ich die ganze Zeit nur durch mein Zimmer, setze mich auf mein Sofa, schlag mir dabei den Ellenbogen an den Kissen blutig, stehe wieder auf, öffne ab und an das Fenster und schaue in beide Richtungen die Straße runter, mit gemischten Gefühlen. Auf der einen Seite hoffe ich, die Person, die ich erwarte kommt, auf der anderen Seite hoffe ich das natürlich nicht, sonst würde sie mich so verloren, verzweifelt aus dem Fenster schauen sehen. Wenn Leute nicht da sind, aber ich weiß sie kommen bald, dann kann ich nicht entspannen. Da ist es egal, ob ich alleine auf eine Person warte, oder ob wir schon zu fünft sind, aber der Andre, den Dirks Kumpel Leon beim Kegeln in Halle kennengelernt hat, will eventuell, noch auf ein Bier vorbeischauen. Wenn es sich abzeichnet, dass die Gruppe noch größer wird, dann kann ich mich einfach nicht entspannen. Das fühlt sich für mich so unabgeschlossen an. Alles kann passieren. Wie wird sich der Abend, wie wird mein Leben sich gleich entwickeln? Ein permanenter Cliffhanger. Das ist auch der Grund, warum ich es hasse, mit offenen Türen zu chillen. Macht die zu, wenn ihr reinkommt und vor allem, kommt, wenn ihr sagt, dass ihr kommt.
Leider komme ich auch immer zu spät, das tut mir leid.
Ehrlich.
Thala ist bester Laune, was auch fair ist, Thala sieht fantastisch aus. Während ich Thala umarme, blicke ich kurz nochmal in den Spiegel, die verdammten Augen, warum sieht man das heute so stark?
‘’Na mein bester? Alles gut?’’
‘’Joa schon. Bin bisschen müde, sieht man sicher an meinen Augen, oder?’’
‘’Weiß nicht, was du meinst! Laden wir uns gleich einen auf oder was?’’
‘’Irgendwer muss es ja tun, wa?’’ Das ist so ein Spruch, den hat mein alter Mitbewohner, Robby König, immer gesagt, bevor er, wie ich eventuell schon erwähnt habe, eventuell aber auch noch nicht, nach Berlin gezogen ist, um dort eine Ausbildung zum Koch zu machen, die er, auch wenn er es nie zugeben würde, nur macht, weil ich einmal meinte er könne nicht wirklich gut kochen, woraufhin er kochen zu seinem Hobby Nummer 1, eventuell, Nummer zwei, neben sich berauschen machte. Die Ausbildung zum Koch bot dann die perfekte Gelegenheit, diese beiden Hobbies zu verbinden.
‘’Weißt du noch, als wir früher in München immer bei mir im Badezimmer gekifft haben und da dieses Foto von meinem Opa hing?’’, fragt Thala, sitzend auf meinem Sofa, die Beine auf dem Holztisch überschlagen, in der einen Hand eine Wodka - Mate Mischung, in der anderen ne Kippe.
‘’Ja klar, der Naziopa. Alter, haben wir uns das ausgedacht, oder gab es diese Theorie schon, dass Tote durch ihre Fotos noch in die Welt sehen können? Wenn das stimmen würde, dann wäre dein Opa so abgefuckt davon, dass seine Nachkommen die ganze Zeit nur am Kiffen im Badezimmer sind.’’
‘’Ja, oder am scheißen, sonst hat der ja echt nichts gesehen.’’
‘’Wo stehen denn andere Fotos von dem? Der muss ja noch irgendwas gesehen haben. Und können Tote dann eigentlich hin und her wechseln, sich aussuchen, was die anschauen, oder sehen die alles gleichzeitig, was super stressig wäre?’’
‘’Digga ich denk aussuchen… Aber weiß natürlich auch nicht so genau. Ey und weißt du noch, dass wir immer diese Fragen beantwortet haben? 1000 Fragen, die man sich selber mal gestellt haben muss.’’
‘’Voll. Jeden Mittwoch haben wir das gemacht, jeden Mittwoch eigentlich dasselbe, gekifft, über die Fragen geredet, bis wir uns in einer so verloren haben, dass wir ganz woanders gelandet sind, dann hab ich bei Janni gepennt, am nächsten tag übel verklatscht in die Schule. Das klingt im Nachhinein gar nicht so erstrebenswert, trotzdem hab ich das Gefühl, da war die Welt irgendwie noch in Ordnung. Klingt derbe abgedroschen, aber damals hatte ich das Gefühl, die Welt steht mir so richtig offen, wartet nur darauf, von mir verändert zu werden. Jetzt hab ich das Gefühl, es ist scheißegal was ich mache, die Welt geht vor die Hunde und ich mit ihr. Ich hasse das älter werden, das ist so desillusionierend. Ich glaub ich bin dazu geboren ein Youngster zu sein, nur ein Youngster, mehr nicht.’’
‘’Ich weiß was du meinst. Weißt du, woran ich denke, wenns mir so geht?’’
‘’Haus raus.’’
‘’An dich, mein lieber, an deinen Text ‘’Suchen’’. Wenn du die Welt nicht retten kannst, dann schau in die Augen eines hungernden Kindes, darin siehst du eine ganze Welt, eine Welt die du retten kannst.’’
‘’Stimmt. Ich war schon mal ein bisschen weiter als ich es jetzt bin. Schön, dass du daran denkst, Thala, wirklich, das freut mich sehr. Danke dir!’’
‘’Wer sollte dich spielen, wenn man dein Leben verfilmen würde?’’
‘’Wa.., keine Ahnung. Meine Zahnärztin meinte mal, ich seh aus wie Tom Beck, der früher bei Cobra 11 war. MEINE Zahnärztin ist natürlich etwas weit aus dem Fenster gelehnt, ich war da auf jeden Fall mal.’’
‘’Das war eine von den Fragen, da war echt so heftiger Bullshit dabei. Aber paar waren auch voll in Ordnung. Schade, dass wir unsere Antworten damals nicht aufgeschrieben haben, wäre nice, das jetzt so zu vergleichen.’’
‘’Voll. Aber dafür bräuchten wir Janni.’’
‘’Ja. Ich vermiss Janni so krass, das glaubst du gar nicht.’’
‘’Ich kanns mir vorstellen. Geht mir ähnlich.’’
Janni ist Thalas Cousin, einer meiner engsten Freunde. Ich glaube sogar, neben Hanna, hab ich mich keinem Menschen so verbunden gefühlt wie Janni. Das klingt jetzt alles so, als wäre er gestorben. Das ist er nicht, er ist nach Kanada gezogen, was aber für den Alltag fast dasselbe bedeutet. Auf seinen Reisen, nach der Schule, da hat er sich verliebt, in Lysanne aus Kanada. Nach so ca. einem Jahr Fernbeziehung hat er beschlossen, nach Kanada zu ziehen, hat dort, mit Lysannes Familie ein ein Gartenprjoekt hochgezogen, ich weiß nicht genau was das heißt, aber seine Erzählungen klangen verdammt cool. Jetzt wohnt er in einer Jurte, einfach auf irgendeiner Lichtung im Wald.
Als wir jünger waren, waren wir beide so unglaublich fehl am Platz, so fremd. Janni hat seitdem so gut wie alles geändert, was man ändern kann, ich bin in eine andere Stadt in Deutschland gezogen, sonst ist eigentlich alles gleich. Vielleicht ist genau das der Grund, warum es mir geht, wie es mir geht, vielleicht ist es nicht der einzige, aber zumindest einer der Gründe.
Ich vermisse Janni.
Mittlerweile hab ich ganz schön einen im Tee.
Ich trinke schneller, mehr, weil ich aufgeregt bin, ich bin aufgeregt, Hanna, das erste Mal wieder zu sehen, das erste mal Kaja zu sehen, seitdem wir rumgeknutscht haben, dann auch noch beide zusammen, verdammt ich bin aufgeregt.
Thala und ich latschen zu Fuß, lauer Sommerabend, die Eisi lebt, die neuen Erstsemester machen ihre ersten vorsichtigen Schritte im Nachtleben, sitzen aufgetakelt vor LE Späti, jetzt geht die Zeit ihres Lebens los, wir laufen, abgetakelt, zu Liv und Sara, wir wir sind mitten in der Zeit unseres Lebens, oh wie verdammt geil diese Nacht riecht, nach Party riecht sie, nach Scheiße riecht sie, nach Müll riecht sie, Leipziger Osten, yeah, die Zeit unseres Lebens, yeah, yeah.
Außer Thala und mir, ist bis jetzt nur Felipe da, der hat da geschlafen, also natürlich nicht nur er, Sara und Liv sind auch da, und ich hoffe, ich hoffe wirklich dass jetzt nicht nur Hanna oder nur Kaja als nächstes kommt, Sara und Felipe, die sind ja irgendwie ein Ding gerade, Liv und Thala ja sowieso, das würde mein sensibles Hirn nicht verkraften wenn es sich gleich Tripledate mäßig anfühlen würde, wahrscheinlich nur für mich, nur ich würde das denken, aber ich fänds unangenehm.
Wir sitzen in Livs Zimmer, es gibt auch nur Livs Zimmer und die Küche, Saras Zimmer ist zu, der Kater, Carlo ist dort drin, er wird zu nervös, wenn er unter uns allen weilen würde. Ich hab nichts übrig für Katzen. Für Kater sowieso nicht, aber wer schon, das Wort ist ja so gut wie nie positiv konnotiert.
Thala zeigt den anderen irgendein DJ Set, Felipe sagt, typisch für den berauschten Felipe, so Sätze, die klingen, als würde er sie vorher aufnehmen und sie jetzt nur abspielen, ohne sein Gehirn anstrengen zu müssen, automatisiert. Beispiele wären, ‘’Das schmeckt ja nur noch’’, oder ‘’Dazu wird jetzt abgesteppt’’. Liv lacht immer wieder kurz auf, macht so ‘’Wooh’’ Geräusche und ich frag mich, was das alles schon wieder soll. Ich halts da mit Sara, die ist relativ ruhig, das fühl ich.
Es klingelt und ich bin wirklich scheiße nervös, ich hör die Stimme von Tami Keller, die hört man immer zuerst, egal wie groß die Gruppe ist. Jetzt kommen sie, zu neunt, Hanna und Kaja sind dabei, die Stimmung ist, natürlich, sofort ganz anders, das DJ Set noch lauter, ich kann nicht mehr sitzen weil alle jetzt stehen und das dumm aussehen würde, ich will zum Kater, ich werd doch auch so leicht nervös, schnell noch ein Bier, das reicht noch nicht, ich muss mehr machen, ich rauch noch eine, seh mich um, ich bräuchte eine feste Bezugsperson, sonst sitz ich so verloren im Raum, das sieht doch blöd aus, was denken denn dann alle über mich? Nichts wahrscheinlich, aber erneut, ich pack das einfach nicht, ich glaub nicht, dass die sich nicht denken ‘’Öhhh Emil, der weirdo’’.
Thala legt auf, Liv raucht einen Joint und quatscht mit Jojo und Hanna, Felipe und Sara sind auf der Couch, Kaja, Inka Treter und der Rest tanzen, verdammt, was mach ich, was mach ich ganz grundlegend mal hier, ich hätte in Italien sein können, ich wusste doch, dass es hier so wird, wie es immer ist, und weil alles ist wie es immer ist, trink ich viel zu viel zu viel.
Nachdem ich mich auch beim Tanzen versucht habe und wieder das passiert ist, was mir sonst bei Techno auch passiert: Ich genieße es ganz kurz, denke mir ‘’Ey, irgendwie ja doch ganz geil’’, und zack, werd ich mir der Monotonität des Beats und der sich immer wieder wiederholenden Vocals bewusst, die mich in einen Gedankenstrudel hinabsaugt, an dessen Ende recht selten was Positives steht. Also aufhören zu tanzen, erstmal in die Küche, neues Bier, vielleicht ergibt sich ja da irgendwas, wann kommen eigentlich Tommi, Finn und Salma?
Mit neuem Bier setz ich mich aufs Bett, schaue mir die Bücher an, die auf Livs, Nachttisch liegen, sie liest gerade ein feministisches Graphic Novel, was witzig ist, weil, ich bis vor ca. einem Monat, nichts über die Existenz von Graphic Novels wusste, es gab Bücher und Comics, aber keine Mischform, in meiner Welt versteht sich, und jetzt, jetzt seh ich, an jeder zweiten Ecke, irgendein Graphic Novel.
Wie dem auch sei, ich fühl mich immernoch komisch fehl am Platz heute, Hanna und ich haben noch kein Wort miteinander geredet und alles ist doch irgendwie komisch und scheiße.
Jetzt tanzen eigentlich alle, nur ich sitz auf dem Bettrand, Sara kommt aus der Tanzmeute, lässt sich neben mich aufs Bett fallen.
‘’Du bist ruhig heute, aber das ist nicht schlimm, bin ich auch oft. Hoff nur dir gehts gut!’’
Ich bin betrunken und antworte, ‘’Du bist mein Spirit Animal, Sara’’, sie schaut erst leicht verwundert, lächelt dann und sagt ‘’Danke!’’, steht wieder auf und geht tanzen, ich habe bestimmt wieder besoffenen Scheiß geredet, bestimmt erzählt sie das Lippi und ich muss mir unangenehme Fragen anhören.
Ich will grad die, schon gefasste, Entscheidung, nach Hause zu gehen, umsetzen, als sich Kaja neben mich setzt.
‘’Emiiiiil, Junge, tanzeeeeen.’’
‘’Kajaaaaaaa, ich mag nicht.’’
‘’Wasn los, du Räuber?’’
‘’Weiß nicht, bin irgendwie nicht gut drauf, aber gibt keinen Grund, an sich alles gut. Komm nur einfach nicht so in Partystimmung, werd wahrscheinlich auch demnächst reinhauen.’’
‘’Oh Come on, bleib mal!’’
Der Rest des Abends ist ein rauschverzerrter Erinnerungsbrei, ein Rohbau an Geschehnissen, ein Rohbau, der nicht ganz ausgefüllt ist, Kaja und ich sitzen auf dem Bett, ich bleibe da, wir reden, reden, reden ewig, ich hab keine Ahnung über was, über bestimmt alles, was es irgendwie zu reden geben würde, wir stehen ab und an auf, um uns Getränke zu holen, mal setzen sich Personen zu uns, setzen sich wieder weg, die Konstante bleibt, Kaja und ich sitzen da, reden, Hanna setzt sich dazu, setzt sich hinter mich, wir haben den ganzen Abend kein Wort gewechselt, sie setzt sich hinter mich, lehnt sich an die Wand an, die Knie angewinkelt neben mir, umarmt mich von hinten, wir reden weiter, Kaja, Hanna, ich, wir reden, bis ich nicht mal mehr ein Gerüst an Geschehnissen habe, an welchen ich mich entlang hangeln könnte, meine Erinnerung setzt ein, als ich aufwache, mich nach rechts drehe, das bekannte Bild sehe, das vertraute Gesicht, mit den Ohropaks im Ohr, der Schlafmaske auf, auf dem Rücken liegend, und so still, so still, dass ich mir schon manchmal Sorgen gemacht habe, ob sie wirklich nur schläft.
Hanna und ich trinken Kaffee im Bett, sie erzählt mir von einer Atzin, die sie auf Twitter so lustig findet, versucht die Witze aus ihrem Gedächtnis nachzumachen, ich muss lachen, aber einfach weil die Witze so scheiße sind, oder weil sie sich so schlecht erinnert, Hanna muss auch lachen und vergräbt ihr Gesicht in meiner Brust, naja das geht schwer, vergräbt ihr Gesicht zwischen meiner Brust und meinem Arm und es fühlt sich an wie nach einem ansrengenden Arbeitstag endlich auf dem Sofa zu liegen.
Als ich meinte mir ginge es so ungelogen gut, war das natürlich gelogen, als ich meinte, ich hätte die Hoffnung jetzt komplett begraben, war das auch gelogen, wenn es einer Konstante in den letzten Jahren in meinem Leben gegeben hat oder gibt, dann ist es, dass es mir nur wirklich gut geht, wenn ich mit Hanna bin, dann ist es dass meine Hoffnung darauf, nie ganz gestorben ist und dann ist es, dass ich ganz tief in mir weiß, wie abgefuckt dass alles ist, wie abgefuckt fokussiert ich auf eine Person bin, eine Person, die mir niemals zeigen kann was ich suche, die mir die Einsamkeit, die so tief in mir ruht, nie nehmen kann, weil sie die falsche Person dafür ist, weil es auf der ganzen verfickten Welt nur eine Person gibt, die das vermag und die, die bin ich. Hierbei lässt sich der Unterschied von Verstehen und Wissen ganz gut aufzeigen. Ich WEISS, dass es so ist, aber ich VERSTEHE es nicht, sonst würde ich danach handeln, aber davon bin ich so weit entfernt, wie Stan, davon mit dem Rauchen aufzuhören.
Als ich nach Hause gehe, höre ich “Always crashing in the same car” von David Bowie,
“Every chance,
Every chance that I take
I take it on the road
Those kilometres and the red lights
I was always looking left and right
Oh, but I'm always crashing
In the same car”
mir läuft es kurz kalt den Rücken runter aber ne, ne ne, dieses Mal crasht das Car nicht, dieses Mal wirds besser!
Der Roman “The Leipzig Years” ist das geistige Eigentum von Nils Kaiser kaiser.nils1@web.de
Der Nächste Teil erscheint am 26 Januar 2025
Lektorat Yannik Barth