Bohema Magazin Wien

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„The most sweete and harmonious musicke“

Ein Schlusschor, wie eine wundersam traurige Wollustwoge, gesungen von einem der besten Chöre der Welt: John Eliot Gardiner mit seinem Monteverdi Choir bei den Salzburger Festspielen.

The lament of Jephthahs daughter by George Elgar Hicks /// Wikiart (c)

„Such melodious delightful musicke that Cicero with all his eloquence could never discribe the sweetnesse of this more than sweete and harmonious musicke“: Francis Mortoft konnte dieses Musikstück in seinem Reisebericht aus Rom aus 1659 kaum genug loben. Der berühmte Universalgelehrte Athanasius Kircher (Erfinder des Katzenklaviers, das Katzen mit Nägeln ‘Klänge‘ erzwingt, dark times…) lobte die gleiche Komposition ebenfalls über den grünen Klee. Tatsächlich ist Giacomo Carissimis Oratorium Jephte ein entzückendes Stück, bis auf den letzten Chor: Der ist nämlich einfach nicht von dieser Welt.

Oh nein, schon wieder ein Orgasmusvergleich…

Es soll Leute geben, die bei jedem anständigen Orgasmus in Tränen ausbrechen. Wenn so eine*r nach ein paar Jahrzehnten Abstinenz endlich den langersehnten Wollusthügel erklimmt, am besten noch auf irgendeiner psychedelischen Droge, das muss eine ähnliche Fülle von wundersam trauriger Herrlichkeit auslösen, wie dieses Meisterwerk, das den Tod einer jungen Frau beklagt.

Ich habe alle möglichen YouTube-Aufnahmen durchgehört, aber keine gibt das Gefühl auch nur annähernd wieder, das John Eliot Gardiner mit seinem exquisiten Monteverdi Choir bei den Salzburger Festspielen auslöste. Für die volle Wirkung hätte ich wohl das ganze Stück anhören sollen, natürlich ist so etwas live auch immer besser. Aber so eine feine Balance, so ein goldrichtiges Tempo habe ich im Netz einfach nicht gefunden.

Es war das erste Mal, dass ich Gardiner live hörte, sein Ruf jagt mich aber schon lange. Eine erstaunliche Menge an teils überraschenden Menschen empfahlen mir diesen englischen Musikstar, mir war das fast schon suspekt. Nach diesem Konzert verstehe ich aber alle.

John Eliot Gardiner mit seinen Ensembles /// SF, Marco Borrelli (c)

Nach der riesigen Eröffnung mit Prominenz und Currentzis am Vortag, war es schön, auch eine andere, intimere Seite der Festspiele mitzubekommen. Dass es die gibt, hatte ich schon im Vorjahr beim Abschlusskonzert des Young Singers Project erlebt, auch dort war das Publikum bunter, weniger fancy und generell gefühlt musikaffiner. Auch bei diesem Konzert in der Kollegienkirche war die Zuhörerschaft im Schnitt eher barockbegeistert als Festivalfan, wobei sich beide Gruppen natürlich überlappen können. Schön war es auch, in diesen Zeiten von halbleeren Sälen restlos ausverkaufte Reihen zu sehen, und das bei so einem anspruchsvollen Programm. In Salzburg ist das aber wohl immer noch die Regel…

Ein Hoch auf die englische Chorkultur

Domenico Scarlattis Stabat Mater kam auch ohne Solist*innen aus, hier stand der Chor voll im Mittelpunkt. Und was für einer! Ich habe schon oft die englische Chorkultur gepriesen und werde nicht müde, das weiterhin zu tun. Grundsätzlich sind wir in unseren Breitengraden in den meisten Aspekten der klassischen Musik Spitzenklasse, bei den Chören allerdings nicht wirklich. So viel Nuance und Klarheit bei so einer homogenen Flüssigkeit habe ich das letzte Mal mit dem Tenebrae Choir genossen, noch so ein englischer Elitechor.

Nach den äußerst bewegenden Musikalischen Exequien von Heinrich Schütz entließ uns Gardiner mit einer einfach nur himmlischen kleinen Zugabe von Johann Christoph Bach in die Salzburger Nacht. Die verlinkte Aufnahme kann das Erlebnis wieder nicht ganz nachstellen, reinhören lohnt sich trotzdem.