Bohema Magazin Wien

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Tragisch, nicht dabei zu sein!

Schicksalsmarsch und Kuhglocken, gefolterte Hörner und ein tödlicher Hammer. Teaser zu Mahler 6, zu hören am 29. März im Konzerthaus.

Hot young Mahler /// Wikimedia (c)

Nein, ich finde, man muss kein*e Klassikkenner*in mit Persönlichkeitsstörung sein, um sich an einem Mittwochabend mehr als 80 Minuten lang von Gustav Mahler in die Seele bohren zu lassen. Es reicht voll und ganz, Mensch zu sein (und den Weg in die Lothringerstraße 20 zu finden). Am 29. März 2023 gastiert die Tschechische Philharmonie unter Semyon Bychkov im Großen Saal des Wiener Konzerthauses mit Mahlers 6. Symphonie; inoffiziell als „Tragische“ bezeichnet, was man keinesfalls als abschreckenden Hinweis auf einen deprimierenden Konzertabend missverstehen darf. Ganz im Gegenteil: die Sechste wirkt wie eine griechische Tragödie, am Ende steht der unausweichliche Triumph des Schicksals, Katharsis, Seelenreinigung. Wer den Mut hat, sich darauf einzulassen, wird überrascht feststellen, was so eine spätromantische Mahler-Symphonie unterhaltungsmäßig zu bieten hat. Soviel vorweg: Thor-Fans wie größenwahnsinnige Hobbyheimwerker dürften spätestens im Finale voll auf ihre Kosten kommen.

„Symphonie heißt mir eben: mit allen Mitteln der vorhandenen Technik eine Welt aufbauen.“

Mahler kann überfordernd sein. Lange Aufführungsdauern, komplexe musikalische Strukturen, klangliche Ausreizung bis ins Extrem. Was wiederum abschreckend wirken mag, ist gleichzeitig der größte Reiz an seinen Symphonien. Sie erschaffen Welten in ihrer eigentümlichen Universalität. Es liegt an uns, mutig in diese Welten einzutauchen und aus eigener Erfahrung kann ich sagen, wie unglaublich viel Spaß das macht. Natürlich kann es neben dem romantischen Sich-Verlieren hilfreich sein, eine gewisse Vorahnung von Entstehung und Anlage des Werkes zu haben, vielleicht macht es das Erlebnis sogar noch intensiver.

Work in Progress - Mahler in Action

Die Sechste entstand in den Sommern 1903/04 als ihr Schöpfer am Höhepunkt seiner Karriere als Dirigent und Operndirektor stand, zugleich Ehemann der schönsten Frau Wiens und Vater zweier kleiner Töchter. Mahler wird bis zu seinem Tod 1911 genau drei Aufführungen der Sechsten leiten, darunter die Uraufführung, die ihn seelisch aufwühlte wie nie zuvor. Er schrieb, die Sechste würde Rätsel aufgeben. Seine Alma wird später das ihrige zum Werkverständnis beitragen, etwa dass kein Werk ihm so unmittelbar aus dem Herzen geflossen sei wie dieses oder dass er sie im ersten Satz sogar in einem Thema festgehalten habe (Seitenthema mit leidenschaftlichen Sforzati in F-Dur ab Takt 77).

Die Werkanlage erscheint auf den ersten Blick ungewöhnlich konventionell: Viersätzigkeit, weder Chor noch Solisten, Ecksätze in Sonatenform, sogar die Exposition im 1. Satz soll wiederholt werden. Klassische Tragödie erfordert eben klassische Form, das soll das Publikum mitbekommen. Die gesamte Symphonie wird von einem Marsch beherrscht, der uns schon in den ersten Takten mit seiner rhythmischen Unerbittlichkeit gefangen nimmt (Gänsehaut garantiert!). Bald im 1. Satz werden wir auch das symbolische Motto des Werkes hören: ein gellender Dur-Akkord, der sich bitter nach Moll eintrübt (erstmals in Trompeten und Oboen). Dieses Schicksalsmotiv, das sich wie ein roter Faden durch das Werk zieht und im Übrigen auch auf höherer Ebene stattfindet (glorreicher Dur-Ausgang des 1. Satzes versus schmerzliches Moll im Finale), verrät uns alles, was wir wissen müssen. Es nimmt vorweg, dass diese Symphonie nur „tragisch“, nur mit dem Sieg des Schicksals enden kann. Das Finale wird uns bitter dafür verspotten, wenn wir am Ende des 1. Satzes oder auf der Insel der Ruhe im intermezzoartigen 3. Satz voreilig anderes erträumen.

Den zu dieser Aufgabe berufenen Orchesterapparat sollte man sich auf der Zunge zergehen lassen: neben den Streichern u.a. fünffach besetzte Holzbläsergruppen, acht Hörner (die besonders im wuchtigen Scherzo wie gefoltert aufheulen dürfen), sechs Trompeten, Bassposaune und Basstuba, Celesta und Harfen (unglaublich spooky im Finale), eine fast grenzenlose Schlagzeuggruppe (ua Triangel, Becken, Herdenglocken, Xylophon, Rute, Tam-Tam, Glockenspiel und natürlich der berühmte Hammer).

Gustl, der Prophet

Die ursprünglich fünf, dann drei, schließlich zwei Hammerschläge sind Kulminationspunkt der Symphonie, die Anmerkung in der Partitur verlangt einen kurzen, mächtigen, aber dumpf hallenden Schlag von nicht metallischem Charakter wie ein Axthieb. Die Erweiterung des Instrumentariums um einen Hammer mag bizarr wirken, gibt auch genug Anlass zum Witzeln, wird von Mahler aber bitterernst gemeint. Die Erzählung lautet wie folgt: Der Held wird von drei Schicksalsschlägen getroffen, von denen ihn der dritte fällt wie einen Baum. Für Alma war dieser Held Mahler selbst, der durch die Sechste prophetisch sein Schicksal „anticipando“ musizierte (ähnlich die Kindertotenlieder). 1907 verstirbt seine ältere Tochter, er tritt als Hofoperndirektor ab und ein Herzleiden wird diagnostiziert - drei Schicksalsschläge, der dritte fällt ihn. Hm, sehr mythisch. Ob man sich dieses Bild beim Hören vorstellen sollte, bleibt jedem selbst überlassen. Mythos Mahler hin oder her, der Hammer fetzt (wenn auch nur zweimal)!

Dass die ehrwürdige Tschechische Philharmonie unter Leitung ihres Chefdirigenten und Mahler-Experten Bychkov dem musikalischen Jahrhundertgenie am 29. März gerecht werden wird, davon kann ausgegangen werden. Wer die „Symphonie mit dem Hammerschlag“ vorab ein wenig erkunden möchte, dem/der sei die beeindruckend düstere Aufnahme von Leonard Bernstein und den Wiener Philharmonikern empfohlen. Mahler-Hammer-Fetischisten sollten zur (nicht ganz ernsthaften) Konzertvorbereitung auch hier reinschauen!

Restkarten gib es wie immer für U27 um 12 €, see you there!