Bohema Magazin Wien

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Trink mich pur wie Cognac, Babe

Wie mir die Wiener Indie-Pop-Band Buntspecht ein Stückchen Normalität und feuchte Augen schenkte und Tanzen einen Abend lang wieder zum Grundbedürfnis wurde.

Foto: Alex Gotter, Florentin Scheicher

Von langen Nächten wurden wir verschlungen. Nicht nur von langen Nächten - das Publikum beim Buntspecht Konzert im Wiener Konzerthaus wurde von Melancholie, kreativen Wortreihungen und sehr viel Charme gekonnt ummantelt. Vertreten im Saal war jung & alt - betagteres Alter hinderte übrigens niemanden daran, vom Stuhl aufzuspringen und die Hüften in Gang zu setzen.

Zu Anfang: Mich schreckte erst die Location ab - Buntspecht und Wiener Konzerthaus? Wie passt das? Ich hatte mir mein erstes Buntspecht-Konzert eher open air auf einer Wiese mit barfuß tanzenden Menschen vorgestellt (gab es natürlich schon). Im Endeffekt war der Kontrast zwischen Indie-Gypsy-Band & schnörkeligem Mozart-Saal gelungen. Und die Akustik war sowieso der Hammer.

Dein Ruf eilt dir voraus

Die Show war eines der Album-Release-Konzerte von Buntspechts frischester Brut Spring, bevor du fällst (erschienen am 11. Juni 2021). Der Titel macht keinen Sinn, Buntspecht gibt ihm einen. Mit unüberseh- und hörbarer Leidenschaft stehen die sechs Entfesselungskünstler auf der Bühne und reißen die Menge in ihrem Höhenflug mit. Dabei startete der Abend Corona konform mit sitzendem Publikum - spätestens beim erfolgreichen Song Rotweinmund ihres letzten Albums Draußen im Kopf (2019) wurde aus leichtem Rumgezapple am Stuhl eine im Takt tanzende und mitschwitzende stehende Menge.

Bei meinem persönlichen Lieblingslied der Truppe - Unter den Masken (auch vom letzten Album) - wurden meine Augen feucht. Der Song trifft jedes Mal mitten ins Herz; den von der Band selbsternannten "Schlager" aus voller Kehle in Richtung Bühne zurückzuschmettern, das war schon sehr befreiend. Als mein erstes Konzerterlebnis seit fast einem Jahr war dieser Moment für mich einer der schönsten des Abends. Toll anzusehen war auch, als ein vor der Bühne tanzender junger Mann eine ältere Dame aufforderte und sie sich dann gemeinsam unter das spontane Tanzaufgebot vor der Bühne mischten.

Das Paradies, wenn du die Augen schließt

Von den insgesamt 11 Songs des Albums sind definitiv einige tanzbar, am besten natürlich beim live-Erlebnis. Mit Gitarre, Klavier, Kontrabass, E-Bass, Cello, Saxophon, Flöte, Trompete, Melodica, Schlagzeug und Percussion ausgestattet zwitschert Buntspecht alle, die hinhören weg von den Sorgen des Corona-Alltags. Beim Sound vermischt sich die spritzige Instrumentenzusammensetzung mit der geschmackvoll klagenden Stimme des Leadsängers Lukas Klein. Gesungen wurde an dem Abend in gemütlichem Hipster-Look und teilweise barfuß. Es ging um Gier, Lust, Liebe, Naivität - alles mit einer Note Leichtigkeit. Die Konstellation der Band passte, zu danken ist einer glücklichen Begegnung: Drei der Bandmitglieder kannten sich bereits und lernten zufällig den Cellisten Lukas Chytka am Donaukanal kennenlernen. Die Geburtsstunde von Buntspecht.

Schön ist das Ende

Schlussfolgernde Frage: Wann wieder Konzert? Buntspecht breitet die Flügel aus und wird in einigen österreichischen sowie deutschen Städten, aber auch der Schweiz, dieses sowie nächstes Jahr Publikum bespielen. Das Sextett hat vermutlich einiges nachzuholen und scheint auch ziemlich Bock aufs Kommende zu haben. Den Bock haben nicht nur sie - einer der letzten Songs des Abends (Kurzes Spiel vom neuen Album) trifft’s: Alles vorbei! Schön ist das Ende! Hoffentlich ist auch wirklich bald alles vorbei, damit wir ohne Maske & frei tanzend Musik und Beisammensein wieder in vollen Zügen genießen können.