Bohema Magazin Wien

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Und die Liebe höret doch auf

Ein chaotischer Abend zwischen gewaltvollen Darstellungen und freudiger Blasmusik: Die Premiere von „Kasimir und Karoline“ im Burgtheater polarisiert.

Karoline hits rock bottom /// (c) Matthias Horn

Karoline (Marie-Louise Stockinger) hat große Ambitionen, während ihr Freund Kasimir (Felix Rech) gerade als Chauffeur gekündigt wurde. Das Paar, welches vor der Entscheidung steht, aufgrund von unterschiedlichen sozialen Umständen getrennte Wege zu gehen, findet sich im Konflikt wieder. Dazu schmeißt Regisseurin Mateja Koležnik das Publikum in ein buntes Oktoberfest-Wirrwarr. Wenn man sich schon einmal selbst in den betrunkenen Meuten des Oktoberfestes wiedergefunden hat, erscheint diese Inszenierung sehr realistisch: Pöbelnde Mengen, laute Musik, Hände nicht da, wo man sie haben möchte – ein Abend, der dazu gemacht wurde, unangenehm zu sein.

Trieb, Sex, Exzess

Das Publikum erhascht durch bewegliche, milchige Glasscheiben flüchtige Blicke auf unterschiedliche Situationen – Ob man wirklich hinsehen möchte, bleibt dahingestellt. So entwickelt sich ein Hin und Her zwischen Sehen und Nicht-sehen, Zuschauen und Wegsehen wollen.

Obwohl der Titel des Stücks bereits vermuten lässt, wer hier die Protagonist*innen sind, stehen nicht nur Kasimir und Karoline im Mittelpunkt des Geschehens. Die Zuschauenden lernen unterschiedliche Figuren kennen, die sich mit ihren ganz eigenen Problemen auseinandersetzen müssen, während im Hintergrund das Oktoberfest nur so sprudelt. Apropos Sprudeln: In diesem Chaos aus Liebschaften, Streitereien, Kennenlernen und Party-Machen scheint der Exzess grenzenlos. Ob es sich um Alkohol oder andere Substanzen handelt, wirklich klar im Kopf scheint gegen Ende der Aufführung keine Figur zu sein. Dem Publikum geht es nicht anders.

Das Überschreiten von Grenzen

Nicht nur moralisch scheinen die Vorgänge auf der Bühne alle Grenzen zu überschreiten, auch das Bühnenbild ist in zwei geteilt: Wir blicken auf zwei Ebenen, die obere scheint Teil des Festplatzes zu sein, während die untere den Eingang zu öffentlichen Toiletten zeigt. Diese klare Trennung wird jedoch im Laufe des Abends immer wieder unterbrochen, indem Figuren aus den ‚Abgründen‘ der unteren Etage nach oben sehen und kommunizieren können.

Eine andere Art von Grenze überschreitet diese Inszenierung, wenn es um high quality trash geht. Der trockene Humor in einer betrunkenen Karoline und auf Knien rutschenden Spannern im zweigeteilten Bühnenbild sprechen für sich.

„Menschen ohne Gefühl haben es viel leichter im Leben!“

Ein weiteres Element, das diesen Abend so unangenehm machen sollte, waren die stets übergriffigen Verhaltensweisen der Männer* gegenüber den Frauen*. Auch abgesehen von der klaren Vergewaltigungsszene - Chapeau an Mavie Hörbiger für ihr durchdringendes Schauspiel - wurde es im Laufe des Abends beinahe zur Normalität, wie die weiblichen* Figuren behandelt wurden. Und hier kommt der springende Punkt: Selbst im Jahre 2023 werden sexuelle Übergriffe und Gewalttaten tabuisiert und totgeschwiegen, weshalb es gerade auf einer so großen und repräsentativen Bühne Sinn macht, diese zu thematisieren.

Ob es da nicht eine reichhaltigere Reflektion statt nur der bloßen Darstellung gebraucht hätte, sei dahingestellt. Und, wie so oft im Burgtheater, hätte eine Trigger Warnung bei solch sensiblen Themen zu Beginn nicht geschadet. Dennoch wirken sie tagelang nach, vor allem, wenn man bedenkt, dass es sich um eine Regisseurin handelt, die diese gewaltvollen Szenen auf die Bühne des Burgtheaters bringt: Die Frauen, die gelernt haben, dass sie ihre Gefühle verstecken sollen, wenn sie etwas erreichen wollen, sei es auch einfach nur, in Ruhe gelassen zu werden, nutzen jede Mitfahrgelegenheit in eine bessere Zukunft. Sozialer Stand ist alles, Emotionen sind wertlos. Wenn man eine Frau* ist.

Durchhalten, es lohnt sich!

Bei „Kasimir und Karoline“ handelt es sich um ein Stück, das man aushalten muss. Wer schwache Nerven hat, ist hier im falschen Theatersaal. Dieses Aushalten-müssen hat aber seine Berechtigung und gesellschaftliche Relevanz, weshalb dieser Abend vor allem in Hinblick auf die hervorragende Leistung der Schauspielenden und der passend eingesetzten Komparserie in jedem Fall zu empfehlen ist.

Kasimir und Karoline ist diese und nächste Spielzeit im Burgtheater zu sehen.