Bohema Magazin Wien

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Vienna Shorts Tag 1-3: Review Collage

Die erste Hälfte des Vienna Shorts Filmfestivals ist vorbei und wir sammeln unsere ersten Eindrücke.

Donnerstag - ERÖFFNUNG

Donnerstagabend wurde das 20-jährige Jubiläum des Vienna Shorts Filmfestival mit zwei in Erinnerung bleibenden Filmen. It´s a Date ist eine ukrainische Hommage an den französischen Kurzfilm Klassiker C´etait un rendez-vous. Wie im Vorbild, wurde hier eine Kamera an die Stoßstange eines Autos befestige, welcher panisch durch die Straßen Kiews rast. Zu Beginn noch relativ unspektakulär, holt uns ein Gefühl von Tristesse ein, wenn an Straßenbarrikaden, Panzer und Militärfahrzeuge vorbeigerast wird. Die Erinnerung an den herrschenden Krieg fügt dem ganzen eine neue Dramatik hinzu, welcher in dem Treffen von zwei Frauen mündet, die sich herzlichst umarmen.

Neighbour Abdi (orig. Buurman Abdi) war der nächste fantastische, aber auch zutiefst bedrückende Film, der bei der Eröffnung gezeigt wurde. Es handelt von Abdi, ein gelernter Schlosser, der in Somalia während eines Bürgerkrieges groß geworden ist. Mit den Worten „Du solltest einen Film über mein Leben machen“ werden wir durch Abdis harte Kindheit, seine Ankunft in den Niederlanden und sein Weg in die Kriminalität begleitet. Um Abdis Vergangenheit zu erzählen, wird eine Miniaturversion von seinem Dorf gebaut, welche als Kulisse für den Greenscreen gilt. Hier entfaltet der Filme seine wahre Kreativität. Mit vielen Match Cuts werden wir immer wieder aus den traumatischen Ereignissen seines Lebens herausgerissen und genau da, wo die Spannung am höchsten ist, wird man geerdet und zurück zum Greenscreen gebracht. Obwohl die Feier nach dem Screening groß war, konnte ich ein bedrückendes Gefühl nicht leugnen.

Oğulcan Korkmaz

© Vienna Shorts

Freitag - LEBE LIEBER UNGEWÖHNLICH

New York, die  Stadt in der man alles oder nichts sein kann charakterisiert sich durch die verschiedensten Kulturen die sie bewohnt sowie durch die architektonischen Wolkenkratzer.

Victoria Schmid präsentiert uns durch eine vermeintliche 3D Brille in „NYC RGB“ die Großstadt in einer etwas anderen Art und Weise. Mehr Dokumentation als Narration lässt der Kurzfilm Freiraum für eigene Gedankenspiele. Durch die besondere Farbtrennungstechnik, in der Schmid einen rot grün blau Filter über die Aufnahmen legte, verschafft sie der allbekannten Skyline eine „Instagram filter artige“ Note.

Stephanie Madeleine Grechenig

Samstag - BIS EINER VON UNS ZUSAMMENBRICHT

Der Samstagabend im Stadtkino war von guten Filmen und Gelächter geprägt. Das von Neil Young kuratierte Programm „Bis einer von uns zusammenbricht“ präsentierte sechs österreichische Kurzfilme, die alle in irgendeiner Form Klasse und Räume betrachten und miteinander verknüpfen. Drei Filme fielen hierbei besonders positiv auf. „Hardly Working“ des Filmkollektivs „Total Refusal“ wählt einen sehr originellen Ansatz und folgt dokumentarisch den Alltagsroutinen von nicht spielbaren, computergesteuerten Figuren des Videospiels „Red Dead Redemption 2“. Hier werden dann beispielsweise die Straßenkehrerin, die jeden Tag stundenlang mit dem unzerstörbaren Staub auf einem Quadratmeter Boden ringt oder der Hafenarbeiter, der in einem endlosen Zyklus Nägel in den Holzboden versenkt, beobachtet. Die politische Verknüpfung dieser sinnlosen Arbeitslogik mit unserem kapitalistischen System ist zwar sehr offensichtlich, aber trotzdem einleuchtend und im Kontext der Subversion eines durchkommerzialisierten Videospielprodukts äußerst effektiv. Viel stärker ist jedoch der empathisch-dokumentarische Ansatz, der wie einige der besten „realen“ Dokumentarist*innen keinen Zeitaufwand scheut, um sich den Figuren an die Essenz ihrer Persönlichkeit zu nähern. Sehr beruhigend ist hierbei, dass auch diese menschengemachten Design-Kreaturen ihre Makel haben. Manchmal schlägt man eben auch einen Nagel schwebend in die Leere. Ganz nach dem Motto: „It’s not a bug, it’s a feature“! Einen feature (film) kündigte das Kollektiv sogar an. Es gilt diesen zu verfolgen! Weitere Highlights waren die Punkstudentin X Bauarbeiter Romanze „Bye Bye, Bowser“, die einen absoluten - für den Film geschriebenen – Banger-Song in den Mittelpunkt stellt und mithilfe sehr authentischer Figuren und Partyszenen einen Diskurs über Kunst und Liebe, die Bedeutung von Gebäuden und die Widersprüche der studentischen Sympathie mit der Arbeiterklasse öffnet. Abgeschlossen wurde das Programm schließlich mit der intimen „Besichtigung“ von Jan Soldat, die den masturbierenden Walter durch dessen geräumige Wohnimmobilie begleitet. Ein intensives Kennenlernen durch die Offenbarung der Räume des Lebens und des Körpers sowie die gestische Artikulation mit der Hand am Schwanz.

Dominik Schwaab

© Vienna Shorts

Samstag - FESTIVAL-HITS 2

Verloren in den Zwanzigern. Unschlüssig über Beruf und Leben.  Neue Beziehungen enden, alte blühen wieder auf. Nicht zu wissen, was man möchte. All das wird in dem spanischen Kurzfilm Castells behandelt.  Mit visuellem und ästhetischem Ehrgeiz inszeniert Blanca Camell Galí eine Ode des jungen ungewissen Lebens, das zugleich vertraut wirkt und die einfachen Momente hochleben lässt.

Stephanie Madeleine Grechenig

Samstag - PARK LANES

Park Lanes von Kevin Jerome Everson ist nicht nur aufgrund seiner enormen Länge von acht Stunden (solch ein Film auf dem Vienna Shorts klingt fast nach der Prämisse eines Witzes) ein besonderer Film. In geduldigen, unkommentierten Einstellungen sehen wir Arbeiter*innen in einer Fabrik für Bowling-Equipment ankommen, wir sehen sie beim Schrauben, Flexen und Sprühen, bei der Mittagspause, vermutlich (zugegeben: ich habe „nur“ die ersten 3,5 Stunden gesehen) beim Verlassen der Fabrik. Es ist ein genauer Film, einer, der nicht so sehr an politischen Suggestionen als an einem Portrait der Arbeitenden sowie des Arbeitsumfelds als Ort der Zusammenkunft, der stillen Gesten und kleinen Handgriffe interessiert ist. Was man als Zuschauer dabei wahrnimmt, ist ambivalent, durch die langen Einstellungen sehr subjektiv. Für den Bowlingfabrik-Laien wird selten wirklich klar, was genau eigentlich geschieht – da wird an irgendeinem Ding herumgewerkelt, an irgendeiner Platte oder Stange, die für sich gesehen keinen Sinn zu ergeben scheint – Arbeitsteilung eben, in der der einzelne Arbeiter selbst ein unidentifizierbares Teil in einem abstrakten großen Ganzen ist. Was machen die da eigentlich, das kann man sich durchaus fragen. Auch, weil eben nicht erklärt wird, weil der Kamera-Blick so viel offenlässt. Der Film entzieht sich jedoch solchen Festschreibungen – während das Gefühl der Sinnlosigkeit beim Zuschauen legitim ist (bei mir trat es durchaus auf), kann man sich genauso gut fasziniert zeigen von den präzisen Arbeitsschritten, vom stoisch-repetitiven, fast traumwandlerischen Arbeitsrhythmus in dieser Fabrik, die selbst zur Hauptfigur wird, in der die Arbeitsgeräusche, die Blicke und Handlungen der Arbeiter*innen polyphonisch ineinandergreifen und eine eigene Schönheit entwickeln – Ort, Mensch und Maschine hier voneinander zu trennen, fällt schwer. Der Ort wird durch die agierenden Menschen geprägt, die Menschen durch den Ort und ihre Arbeitsgeräte. Und auch man selbst als Zuschauer wird schließlich ein Teil des Ganzen, verfällt dem Rhythmus, ist mal geistig mittendrin, mal abschweifend in der Ferne.

Anton Schroeder

© Vienna Shorts

Samstag - TRÈS CHIC

Das nachfolgende von Eva Krenner und Tom Kiesecoms kuratierte Late-Night-Programm „Très Chic“ schlug eine gänzlich andere Richtung ein und zeigte eine bunte Mischung aus kreativ-absurden Kurzfilmen und Musikvideos. Einige davon spielten mit Genre-Mechanismen wie etwa das amüsante Kurzmusical „Live Forever“ von Gustav Egerstedt, dass den stereotypen Opfern bekannter Horrormechanismen ein Denkmal setzt, indem es diese im Sterbeprozess – vom verspeist werden bis zur klassischen Axt im Kopf – ein letztes selbstreflexives Lied singen lässt. Andere Filme waren hingegen einfach konzeptuell besonders kreativ und gekonnt bis großartig inszeniert, wie die sehr komische tragische Mensch-Hand-Romanze „Seeds of Love“ oder der schwedische Genrediamant „The Diamond“ über einen einsamen armen Mann, der mithilfe eines absurd kleinen Krankenhauspatienten sein Glück sucht. Als Highlight und folglich auch als Gewinner des Publikumspreises entpuppten sich dann jedoch zwei etwas ungewöhnlichere Filme. Der erste hiervon ist der österreichische Film „Issues with my other half“ von Anna Vasof, der den Körper der Regisseurin mithilfe sehr gekonnt umgesetzter Effekte neu konfiguriert und in lose zusammengebundenen Sequenzen die Hand zum Kopf werden lässt, die Gliedmaßen verdreht oder das Gesicht vom Kopf in das Smartphone versetzt. Das andere Highlight war auch hier ein Film von Jan Soldat. In „The Act of Dying“ hat er – analog zu seinem Film „Staging Death“ über Udo Kier - einen Haufen qualitativ relativ unterschiedlicher Todesszenen von Nicolas Cage zusammenmontiert und diesen einen neuen Kontext gegeben. Tragik wurde hier fast immer in Komik verkehrt und der Tod wurde zum Grund für das Lachen! Ein Mechanismus, der das Programm wohl perfekt zusammenfasst!

Dominik Schwaab

© Vienna Shorts