Bohema Magazin Wien

View Original

The Leipzig Years — Vorwort und Kapitel 1

VORWORT

 

Gewidmet allen Personen, die mich dazu inspiriert haben, diese Geschichte zu schreiben.

Elena Debachinsky © für Bohema

Ich schreibe dieses Buch über erfundene Menschen, erfundene Menschen, mit echten Ängsten, erfundene Menschen, mit einer echten Vergangenheit, einer verdammt echten Gegenwart und einer verdammt unsicheren Zukunft.

Ich schreibe dieses Buch über erfundene Geschehnisse, erfundene Geschehnisse mit echten Folgen, erfundene Geschehnisse und echten Gefühlen, über echte Ängste, echte Freude, echte Liebe und echte Trauer, Geschehnisse die einen Menschen geprägt haben, Teil seiner echten Vergangenheit sind, seiner verdammt echten Gegenwart und zu seiner verdammt unsicheren Zukunft führen.

Die Menschen die mich zu dieser Geschichte inspiriert haben, die traurigen Hedonisten aus dem Leipziger Osten, die werden sich wiederfinden in den Charakteren, in den Gefühlen und in den Tagen, aber die werden auch merken, dass alles eine große Lüge ist, dass nur die Gefühle echt sind und der Rest verschwimmt, zwischen Realität und Fantasie, zwischen Tag und Nacht, zwischen Literatur und Leben. In der Welt des Hedonismus gibt es keine Grenzen, nicht zwischen Staaten und genau so wenig, zwischen Kunst und Leben, warum also hier, jetzt?

Diese Geschichte handelt von Menschen, die man wohl zur ‘’Gegenkultur’’ zählen könnte, wenn denn die Kultur der gesellschaftlich vorgeschriebene Weg sei, was sie in meinen Augen nicht ist. Kultur hat keine Grenze, kein richtig und falsch. So ist also die Gegenkultur, in meinen Augen, viel eher der Bänker, mit seiner reinen Existenz, der nach der Schule den Bachelor gemacht hat, ohne Leben dazwischen, nach dem Bachelor den Master, ohne Leben dazwischen. Die Menschen in diesem Buch, sind also viel mehr, die der Kultur und ich kümmere mich auch um keine anderen, will mich eigentlich nur mit denen beschäftigen, die auch nicht ganz sicher sind warum und wohin aber die tief in sich wissen, es lohnt sich, das fließen lohnt sich, die Angst, die Sorge, alles lohnt sich und wird aufgewogen. Nicht wie im bürgerlichen ‘’Nicht-Leben’’, alles wird aufgewogen und alles lohnt sich.

Diese Geschichte handelt von Bob Dylan, der in “Positively 4th Street” geschrieben hat,

 

“I know you lost your faith, but that’s not where it is”

 

und mir gezeigt hat, dass auch das niederschmetternde Gefühl der Hoffnungslosigkeit im Leben nicht zur Folge haben muss, ein zynisches, verlorenes Arschloch zu sein.

Das hier ist ein Buch für Leute, die Angst haben zu Scheitern, es aber trotzdem in Kauf nehmen, wenn sie doch dafür nur ein klein wenig leben, nein das stimmt nicht, wenn sie dafür LEBEN, LEBEN, LEBEN, nicht ein klein wenig, ins Extrem wollen sie gehen, ja alle wollen ins Extrem, oder müssen, weil ihnen eine kleine Stimme im hintersten Teil ihres Kopfes sagt, dass es keine andere Möglichkeit gibt, außer extrem zu sein, auch wenn es heißt, ein Leben lang zu tanzen, auf dem Grat zum Gipfel, der Leben bedeutet, der verdammte Lust und Liebe und Spaß und Freiheit bedeutet, zu tanzen auf dem so schmalen Grat, an dessen Abhängen es steil hinab geht, in Sucht, in verschwendetes Potential, in “so hab ich mir das alles nicht vorgestellt, als ich ein Kind war.”

Das ist ein Buch für alle, die wissen, dass Abende entweder viel zu lang oder viel zu kurz sind, nie genau richtig.

Das hier ist ein Buch für alle, die schonmal Parties geschmissen haben, nur um sich von dem Pfand der zurückbleibt, Nudeln mit Pesto leisten zu können, und zwar nicht nur einmal, sondern Woche um Woche um Woche.

Das hier ist ein Buch für Leute, die sich ihre Familie selbst ausgesucht haben, die wissen, was wahre Freundschaft ist und es trotzdem, so gut wie wenig Menschen sonst verstehen, was es heißt, alleine zu sein.

Das hier ist ein Buch für Menschen, für die Musik nicht aus dem Radio kommt, und Geld nicht aus dem Automaten, für Menschen, die sich lieber in den Kopf schießen würden, als jeden Tag 8 Stunden für die Ideen irgendeines Vollidioten zu arbeiten.

Elena Debachinsky ©

EINS

 

Es ist Freitagvormittag, die Sonne scheint und mein Kumpel Dirk und ich liegen auf dem Sofa im Kutter. Kutter, so heißt deren Wohnung, weil Dirk, der eigentlich Daan heißt, und sein Mitbewohner Stan von der Ostsee kommen. Auch Stan heißt eigentlich nicht Stan, sondern Felix Kastenbauer, daraus wurde irgendwann Kasten und daraus dann eben Stan, das geht schneller von der Hand.

Von draußen dringen die Gebete der Moschee nebenan in den Kutter, von draußen dringt die Hitze in den Kutter, dringen die gut 37 Grad Celsius in den Kutter und wir können nichts anderes tun, als sie gewähren zu lassen, sind ihr hilflos ausgesetzt, wie die vielen, sich schon wellenden, Fotos der langen, viel zu kurzen Jugend, die die Kutterwände zieren, aufgehangen zwischen den Gemälden von Dirk, die voller Monster sind oder voller Farbkleckse zwischen denen geschrieben steht “Mir macht alles Angst.”

Es ist Freitagnachmittag und mein Kumpel Dirk und ich, wir sollten eigentlich nicht auf dem Sofa im Kutter liegen, sondern am See, oder zumindest im Park.

Aber irgendwie ist alles anders als eigentlich, eigentlich sollten wir auch studieren und eigentlich sollten wir wieder Gedichte schreiben, und eigentlich sollten wir glücklich verliebt sein und uneigentlich gehen wir in die Kneipe und spielen dann am nächsten Tag verkatert Playstation.

Aber das ist schon in Ordnung, wirklich, ich mag den Kutter. Hier ist's, wie nochmal Kind sein, zu viel Süßigkeiten essen, zu lange wach sein und Videospiele spielen, Gespräche führen, die keiner hören darf, wie Kindheit eben, nur mit Bier trinken und verkatert sein.

Naja, ganz stimmt das nicht, ich trinke Bier, Dirk trinkt Gin Tonic, Moscow Mule oder Martini. Dirk hat mal zu viel getrunken, immer Bier, sein Mittel dagegen ist, kein Bier mehr zu trinken. Ich weiß nicht, wieviel das bringt. Wenn ich zwei Bier trinke, trinkt Dirk zwei Schnäpse, nach weniger klingt mir das nicht, aber das muss er ja wissen, nicht ich.

Im Kutter und mit Dirk fühl ich mich eigentlich immer am wohlsten, da ist alles irgendwie, wie schon gesagt, in Ordnung.

Nicht glücklich verliebt zu sein, ist Ordnung, wenn man zumindest nicht alleine nicht glücklich verliebt ist, nicht zu studieren ist Ordnung, wenn man zumindest nicht alleine nicht studiert, keine Gedichte mehr zu schreiben ist in Ordnung, wenn man zumindest nicht alleine keine mehr schreibt. Gemeinsam trösten Dirk und ich uns schon ganz gut darüber weg.

Naja, um ehrlich zu sein, an manchen Katertagen, kommt sie schon durch, die Zukunftsangst, da kommen sie durch die Gedanken, ‘’So kann es doch nicht für immer weitergehen’’, ''Wovon soll ich mal leben’’, so ne Sachen eben, kennt man ja.

Dirk beschäftigt das auch sehr, er fährt sich dann mit der Hand nervös durch seinen leicht rötlichen Vollbart, brummelt vor sich hin, dass er das alles nicht kann, mit dem arbeiten, “Ich hab doch viel zu zarte Hände dafür” und ist dann den ganzen Tag ganz nervös und aufgebracht.

Aber bei ihm mach ich mir eher weniger Sorgen als bei mir.

Warum?

Dirk hat zarte Hände, keine Frage, aber er hat mit diesen Händen den Kutter eingerichtet und der platzt, das hab ich schon geschrieben, aus allen Nähten, voll mit Dirks Kunst.

Mein Kumpel Dirk kann irgendwie alles, er malt, und er malt gut, er schreibt, und er schreibt gut, er macht sogar Musik, und… Naja, das kann ich nicht beurteilen. Er macht Techno (er würde jetzt sowas sagen wie, “Ich mach kein Techno, ich mach House” oder so, aber ich kenne den Unterschied nicht) und das kann ich nicht ab. Leider macht unsere ganze Stadt Techno und das kann ich nicht ab. Leider macht unsere ganze Generation Techno und das kann ich nicht ab.

Je nachdem, ob Dirks Musik jetzt gut ist oder nicht, der wird mal Leben können von seiner Kunst, da bin ich ganz sicher, der muss nur seinen Arsch hochkriegen und den Scheiß mal ordentlich verkaufen. Nicht irgendwie alle drei Monate mal an Theresa von Instagram, sondern richtig, die Bilder an Galerien oder reiche Leute von Instagram, die das dann ihren reichen Freunden aus der echten Welt empfehlen, die Bücher, die er geschrieben hat, an Verlage, die Musik an den Sperrmüll usw. !

Das kann wirklich was werden.

Wie schon gesagt, mach ich mir da bei mir mehr Sorgen. Klar ich schreib auch, ich schreib auch nicht schlecht, also finde ich, aber ich schreibe nicht in dieser Intensität wie Dirk, der kann sich hinsetzen und 5 Stunden schreiben, der ist wie Jack Kerouac, nur ohne das Meth, der ist wie Hemingway nur ohne die Schrotflinte, der ist wie Stuckrad-Barre nur ohne das Koks, also so wie Stuckrad- Barre jetzt, der ist jetzt aber ein alt gewordener Langweiler und das ist Dirk natürlich nicht. Ihr wisst ja, wie ich das meine.

Bei mir ist das eher so, dass ich 10 Minuten schreibe, dann fragt eine Stimme in meinem Kopf, was in einer komplett veganen Zukunft passieren würde, ob dann alle Kühe aussterben würden und plötzlich sitze ich mit meinem Kumpel Lou Schach spielend in der Kneipe und hab keine Ahnung, wie das passiert ist.

Wie dem auch sei, das Gute am Kutter ist, dass solche Gedanken, bezüglich der unsicheren Zukunft, eigentlich nicht aufkommen.

Eigentlich, ihr seht schon, nichts ist mehr eigentlich.

 

Noch besser am Kutter ist, dass das Wohlfühlen, das ok sein, bei mir hier keinen Druck auslöst. Das mag jetzt erstmal komisch klingen, aber normalerweise ist das so: Sobald mir auffällt, dass ich mich gut fühle, fange ich an, mir über meinen Zustand Gedanken zu machen, das führt dann oft dazu, dass ich mich nicht mehr gut fühle. Ich empfinde also sofort einen enormen Druck, kein schlechtes Gefühl zuzulassen, und Druck an sich, der ist schon auch nicht so positiv. Teufelskreis also.

Im Kutter, wie schon gesagt, ist das anders. Da ist einfach alles in Ordnung, kein Druck, einfach Kindheit, nur mit Zigaretten rauchen, der Kutter ist eine Blaupause für mein ganzes Leben, seitdem ich nach Leipzig gezogen bin: Irgendwann, nach der Schule, mit zu Freunden nach Hause gegangen und einfach nie wieder zu mir nach Hause gegangen.

Elena Debachinsky ©

 ‘’Lust ne Kippenrunde durchs Rabet zu drehen?’’

Dirk und ich drehen oft eine Runde durch den kleinen Stadtteilpark, eigentlich nur drei Wiesen, zwei kleine Hügel, ein Spielplatz und ein kleiner Skatepark.

Ich rauche meistens eine Kippe, Dirk zwei. Er raucht Menthol und wenn ihn Leute drauf ansprechen, was überraschend oft passiert, sagt er ‘’Sommer des Menthols'', aber er sagt das schon, seitdem ich ihn kenne, was mittlerweile vier Jahre sind, und er sagt das auch im Winter. Wenn die Leute Dirk nicht so gut kennen, dann lächeln sie verunsichert, wenn sie ihn gut kennen, dann fragen sie ihn gar nicht erst.

''Klar."

 Wir drehen uns beide ne Zigarette von Dirks Drehzeug und wollen losgehen, stimmt nicht, ich will losgehen, Dirk zieht zwar seine Schuhe an, sagt dann aber, zu einer Zeit, die für jede andere Person ebenso unpassend erscheinen muss, wie für mich, er müsse noch Zähneputzen.

Zähneputzen mit Schuhen an, während ich schon fertig angezogen da stehe und jetzt warten muss, wie so ein Kind und mich frage, ob er wirklich Zähneputzen muss, oder ob er einfach will, dass das ein Ding von ihm ist. ‘’Hey da ist Dirk, der, und das ist echt abgefahren, der putzt immer Zähne bevor er das Haus verlässt!’’

 

Im Park sieht man immer dieselben Leute.

Neben eigentlich ALLEN aus dem Leipziger Osten die anstatt in die Uni zu gehen ihre Sommertage mit Sekt und Joints auf einem der beiden Hügel verbringen, wären da noch die Jungs, die vor dem Aldi Drogen verkaufen, die säuseln immer leise wenn man vorbeigeht und wenn man dann zu ihnen schaut, dann nicken sie einem zu,  ‘’Marihuana, Koks?’’, und man schüttelt dann den Kopf oder holt sich eben was. Aber das kann ich eigentlich nicht empfehlen, da sollte man schon bessere Connections haben.

Als Robby König und ich neu in der Stadt waren, da wollten wir feiern gehen und wollten uns Nasen reinziehen. Koks konnten wir uns damals nicht leisten (nicht dass es jetzt anders wäre), also wollten wir bisschen Speed kaufen. Wir also, neu in der Stadt, laufen zu den Aldijungs, Robby König fragt nach Amphe. Amphe, so hieß das bei uns in München früher, bevor wir nach Leipzig gezogen sind, also Speed, hier, im Osten, ist damit eher Methamphetamin gemeint.

Das Zeug sah schon komisch aus, unverschämt teuer war es auch, gezogen haben wir es trotzdem. Die Quintessenz des ganzen war, wir konnten zwei Tage nicht pennen, der Kater hat sich angefühlt als würde das Gehirn einmal komplett auf links gedreht und durchgeknetet werden, Entfernungen liesen sich nicht mehr einschätzen, alle Konturen flossen ineinander und die Angst kroch aus jeder Pore meines Körpers.

Auch wenn man sagen kann, dass das ja auch irgendwo unsere (bzw. Robbys) Schuld war, schüttel ich jetzt eher den Kopf, wenn ich das säuseln vernehme. Man weiß ja nie.

Man sieht auch immer die selben Menschen  skaten, die interessieren mich aber nicht sonderlich und es gibt auch  nicht viel über sie zu erzählen. Oh Gott, wenn die das wüssten. Skater leiden immer unter dem Main Charakter Syndrom, die denken bestimmt nicht, dass es nichts über sie zu erzählen gibt.

Ansonsten läuft man im Park immer Tom über den Weg, Tom lebt auf der Straße und raucht Heroin. Tom sieht nicht mehr so gut aus wie vor zwei Jahren, aber das ist auch fair, ich tus ja auch nicht. Bei Tom mach ich mir allerdings Sorgen, dass er in zwei Jahren gar nicht mehr aussieht. So schlimm ists bei mir dann doch noch nicht. Neben Tom gibt es da noch den blonden Typen, mit den schulterlangen Haaren und der grünen Bomberjacke, über den ich nur weiß, dass er aus Bremen kommt und dass er im selben Atelier malt oder schreibt oder was auch immer wie die Inka Treter. Als sie mir das erzählt hat, hat sie mir auch erzählt, wie er heißt, aber das hab ich vergessen. Außer, dass ich ihn jedes Mal sehe, wenn ich das Haus verlasse, findet zwischen uns auch keine weitere Interaktion statt. Bis auf die Häufigkeit seines Erscheinens reiht er sich nahtlos in ein in die Gruppen gut betuchter, sich jedoch gegenteilig kleidender Studierender ein. Die sind es jetzt auch, die Dirks Unmut erwecken.

 

‘’Man sieht, dass der Sommer sich dem Ende neigt. Zumindest mal seinen Zenit überschritten hat.’’

‘’Ich weiß ja nicht. Es ist Mitte August, da von Zenitüberschreitung zu sprechen erscheint mir echt ein wenig voreilig.Ich würde sagen wir befinden uns auf der Zielgeraden hin zum Zenit, drüber aber noch nicht.’’

‘’Emil, dafür, dass du dir selber so eine gute Auffassungsgabe bescheinigst, merkst du wirklich wenig. Das Wintersemester geht bald los. Die Erstis kommen, ziehen in Scharen in die Stadt, versuchen so auszusehen, als würden ihre Eltern nicht ihr WG Zimmer bezahlen. So ne Looser’’
‘’Bezahlen nicht deine Eltern auch dein Wg Zimmer’’
‘’Ne, das zahlt der Staat.”

Dirk bekommt Bafög, das ist auch der Grund, warum er sich noch nicht dazu durchringen konnte, sein Studium komplett, also offiziell, zu schmeißen. Er hat ne zeitlang Soziologie studiert, hat aber recht schnell gemerkt, dass seine Hände auch dafür zu zart sind, was sehr fair ist, wie ich meine.

 “Aber vor Allem kauf ich mir von meinem Bafög keine depperten Klamotten, die schon kaputt aussehen, darum gehts doch! Ich betreib kein ökonomisches Blackfacing!’’
‘’Da hast du einen Punkt.’’

‘’Klar hab ich da einen Punkt. Und noch einen, weil der Sommer seinen Zenit überschritten hat.’’

‘’Ja, Dirk, und den auch noch.’’

‘’Ich freu mich über die Punkte. Punkte ist gleich Selbstvertrauen und Selbstvertrauen kann ich heut brauchen. Hab später noch ein Date. Mit der Anna.’’
''Ah, schau an. Dachte die hat sich nicht mehr gemeldet.’’

‘’Doch, jetzt schon. Spazieren will sie gehen. Was machst du heute noch?’’
‘’Ich glaub nicht, dass ich noch sonderlich viel machen werd. Ich check jetzt dann heim, ess was, versuch ein zwei Seiten zu schreiben, verzweifel dann, weils wieder nichts wird und das wars dann, denke ich. Viel Spaß mit der Anna!’’

‘’Danke! Dein Plan klingt auch gut.’’

‘’Ja.’’

 

Die Kippenrunde ist vorbei, Dirk geht nach Hause, um sich für sein Date schick zu machen, wahrscheinlich seine Zähne nochmal zu putzen, sein Zimmer aufzuräumen, besonders schicke Kunst neben sein Bett zu stellen, nur für den Fall. Ich drehe noch eine Runde. Vielleicht habe ich grad eben so locker gesagt, dass ich jetzt heimgehe, aber eigentlich will ich alles außer das. Zuhause wartet nicht viel, nicht viel, außer der Leere in meinem Zimmer, die sich so quälend ausbreitet, zwischen dem schweren hölzernen Schreibtisch, der Ikeakommode, der einen, kurz vor dem abnippeln stehenden Pflanze, auch von Ikea, dem Sofa mit den, überraschend ungemütlichen, Kissen und meiner am Boden liegenden Matratze. Um der Leere doch noch ein bisschen Leben einzuhauchen, habe ich ein Bild von Bob Dylan an der Wand hängen, ein Plakat von den Rolling Stones, welches mir Thala mal in einem Cafe gestohlen hat und dann noch ein von Dirk gemaltes Gemälde. Das hat er mir zum 22 Geburtstag geschenkt und da ist auf schwarz weißen Hintergrund in wirren Buchstaben geschrieben: Es geht mir richtig gut. Haha. Ungelogen.

Alles zwecklos, gegen das fahle Laminat, die schmutzigen dunklen Nordfenster und so hat die Leere, die ich jetzt so gerne vermeiden möchte, bestand.

Auf meiner erneuten Runde bemerke ich, dass Tom etwas verloren auf die Straßenecke blickt, aufgestützt auf seinen Rollstuhl, in dem er entweder sitzt oder sein Hab und Gut durch den Leipziger Osten fährt. Ich verstehe erstmal nicht, wieso er so verloren auf die andere Straßenseite schaut, aber recht schnell fällt mir auf, dass die Telefonzelle nicht mehr da ist. Scheint jetzt erstmal nicht sonderlich wichtig zu sein, so eine Telefonzelle, aber für Tom war sie das. Für ihn war sie eine Art Wohnzimmer, ein Schutz in einer für ihn sonst so schutzlosen Welt. Auch wenn die Telefonzelle aus Glas war und ihn alle sehen konnten, ging er davon aus, dort von urteilenden Blicken geschützt zu sein.

Jetzt ist sie weg und ich will mir gar nicht vorstellen, was in Tom vorgeht.

‘’Hey na, ich gehe einkaufen Tom, brauchst du irgendwas?’’

‘’Packung Kippen, weißt ja, Malboro Gold. Danke dir.’’

Ich wusste ja. Als er mir das erste Mal gesagt hat, dass er Marlboro Gold raucht, hab ich mich gewundert, nach all den Jahren auf der Straße und dem Heroin und allem, hätte ich irgendwie was stärkeres erwartet. Hab mich auch recht schnell für den Gedanken geschämt, was fällt mir ein, über das Rauchverhalten eines Menschen zu urteilen, nur durch das Wissen, dass er auf der Straße lebt. Aber ja, ich weiß ja, Marlboro Gold.

 

Weil ich immer noch nicht nach Hause möchte, steig ich, ohne festes Ziel, in die Straßenbahn Nummer drei, die in den Westteil der Stadt fährt. Der Westen ist am weitesten weg von meiner Bude, wie es eben gerade geht. Während der Osten ein teilgentrifizierter, von brachliegenden Flächen, Kneipen, selbstorganisierten Hausprojekten und desillusionierten Studierenden überzogener Stadtteil ist, ist der Westen irgendwie schon fertiger. Auch wenn das leider fertig gentrifiziert heißt, aber da ist alles irgendwie geregelter, ruhiger, da gehen Ökoeltern in Biomärkte, da gibts zwar auch n paar Kneipen, aber die haben irgendwie ein Konzept, nicht nur Kerzen in leeren Weinflaschen auf den Tischen. Der Westen der Stadt ist auf ne alternative Art und Weise spießig, wenn man aber mal der verlorenen Heruntergekommenheit des Ostens entfliehen möchte, bietet er sich gut an.

 Die Bahn ist voll, so voll, dass sitzen nicht zur Debatte steht und stehen zu Debatten führt. Wer steht auf wessen Fuß? Darfst du meinen Stehplatz am Rand klauen, wenn ich nur aussteige, damit du einsteigen kannst?
Mir fällt ein Mann auf. Er steht hier, ganz ruhig und…irgendwie sieht er komisch aus. Nicht auf die klassistische, von oben herab Weise komisch.

Elena Debachinsky ©

Nein, ich finde, er ‘’passt nicht zusammen’’.

Er sieht aus, als wäre er dem Alkohol schon recht lang verfallen, ist sehr gekrümmt, tiefe, etwas blutunterlaufene Augen, aber er ist irgendwie schick. Er hat recht neue Sportschuhe an, eine selbsgehäkelte, vielleicht aber auch gestrickte, ich weiß bei Gott nicht, was der Unterschied ist, Mütze und Handschuhe, deren Finger abgeschnitten sind. Ein bisschen so, als würde er das Alkoholiker-Dasein selber inszenieren. Gegen diese Inszenierung spricht jedoch, dass er in der Hand eine Flasche Bombay Gin Saphir hält. Das sprengt mein Bild. Würde er sich inszenieren wollen, dann hätte er doch eher einen Korn in der Hand oder so, aber doch keinen teuren Gin. Vielleicht spielt er ja eine andere Rolle, vielleicht IST er ja tatsächlich eine andere Rolle, nein nicht Rolle, eine Person. Vielleicht ist er einfach eine andere Person. Vielleicht sollte ich ihm nicht einfach eine Inszenierung unterstellen, nur weil ich mit 18 im Steppenwolf gelesen habe, dass in ‘’jedem Menschen nicht zwei, nicht drei, nicht tausend, sondern abertausend Seelen hausen.’’

Damals hab ich mich verstanden gefühlt und auch plötzlich nicht mehr so komisch, so hilflos, wie ich mich lange gefühlt hab. Wenn in jedem Menschen so viele Seelen hausen, dann ist es total normal immer jemand anderes zu sein, das eigene Leben zu spielen, sich selber manchmal so verhalten wie man sich im Film verhalten würde. Ich schreibe zum Beispiel am liebsten abends, mit Kerzenlicht, französische Lieder laufen leise im Hintergrund, J’attendrai von Rina Ketty, ein Meisterwerk, fühle mich dann wie ein kultivierter Autor und keine 12 Stunden später, finde ich mich koksend in der Toilette der ranzigsten Rockkneipe der Stadt wieder.

Aber so ist es eben. Jeder Seele die Hauptrolle in ihrem Film und alle Filme bin ich.

Was für ein scheiß Geschwätz über Seelen und verschiedene Aspekte meiner Persönlichkeit, aber die deutlichen Unterschiede geben mir einfach manchmal zu Denken.

Meine Therapeutin meint, ich würde einfach ‘’merken, wie mein Gehirn funktioniert..’’ Aber das glaub ich nicht so. Wenn ich das merken würde, dann würde ich doch wissen, warum ich bin, wie ich bin.

Ich glaube eher, ich fliehe mich in verschiedene Charaktere, weil ich dann sein kann, wie ich nicht wirklich sein kann. Schon als Kind wollte ich nicht verstehen, dass in ein Leben nur ein Leben passen soll, ich wollte so viel mehr, hab meine Träume gelebt in den Büchern die ich gelesen hab, den Geschichten die ich, oft gemeinsam mit meinem Kindheitsfreundin Luisa erfunden habe oder sogar in einer Parallelwelt, die hieß Waschland.Waschland hieß sie, weil meine Freundin Luisa und ich als Kinder oft unerlaubterweise in die Waschküche unseres Mehrfamilienhauses gegangen sind um dort zu spielen und unserer Phantasie freien Lauf zu lassen. Jetzt sind es eben die verschiedenen Charaktere. Nein, ich glaube nicht, dass ich einfach merke, wie mein Gehirn funktioniert. Ich lasse meiner Sehnsucht freien Lauf. Das ist das Los der Träumer, sie versuchen die Sehnsucht zu stillen, in der Literatur, der Filmwelt, der Musik. Und manchmal, da sind eben die Grenzen zwischen dieser magischen Welt der Kunst und die der Realität fließend.

Für eine Welt ohne Grenzen.

 

 Angekommen im Westen, werden mir die Grenzen  relativ schnell wieder bewusst, als ich in eine zufällig ausgewählte Kneipe gehe.

Für jemanden, der nicht nach Hause möchte, ist die Kneipe oft die letzte Zuflucht.

Schutzsuchend begibt man sich unter die scheinbar Gleichgesinnten, hofft auf einen Wink des Schicksals, der dafür sorgt, dass man die nächsten Stunden nicht mehr an Zuhause denkt, nicht mehr ans Alleinsein denkt, nicht mehr an sich selbst denkt. Wenn dieser Wink nicht kommt, dann hofft man eben, dass der Alkohol an seine Stelle tritt.

In meinem Fall sieht es leider so aus, dass ich auf einem Platz ganz in der Ecke sitze und relativ wenig Schicksalsgewinke um mich herum habe.

Ich trinke ein Bier, eines, welches ich mit ‘’irgendein Bier bitte’’ bestellt habe, weil ich natürlich nicht wusste, was die hier so haben.

Hat mich dann aber schon geärgert. Ich wirke wie ein Trinkanfänger und die sind in Kneipen immer die Außenseiter.

Seis drum, ich trink also mein Bier hier in der Ecke und beobachte das Treiben. Die ‘’Glashütten’’ hat, glaube ich, Stammkundschaft. Auf jeden Fall sind die meisten so 50+ und wirken, als ob sie sich gut kennen. Es gibt eine Jukebox, eine elektronische, für 1 Euro kann man dort drei Lieder auswählen. Die Jukebox ist aber durchgehend besetzt von so nem gegelten Typen, der ein Deutschland T-Shirt trägt. Kein Trikot, ne ein Shirt, auf dem Deutschland steht. Arschloch. ( Nicht, dass ihn ein Trikot entarschlochifiziert hätte.)

Der lässt einen Schlagertrack nach dem nächsten laufen. Arschloch. (Nicht, dass ihn gute Musik entarschlochifiziert hätte.)

Den anderen scheints eigentlich ganz gut zu gefallen, die schwingen sogar das Tanzbein.

Am Tisch neben mir sitzt ein glatzköpfiger Mann mit Ziegenbart, der sich mit einer sehr großen Frau unterhält. Ich hab das Gefühl, sie schauen durchgehend zu mir rüber, ich bin mir aber nicht sicher und will auch keinen Blickkontakt riskieren, die beiden wirken nicht wie die Gesellschaft, die ich für heute Abend haben möchte. Die Gesellschaft, die ich für heute Abend haben möchte, sitzt aber wahrscheinlich auch nicht in dieser Bar. Um ehrlich zu sein, ist die einzige Gesellschaft, die ich heute Abend möchte, die von Hanna. Aber die vögelt wahrscheinlich grad mit Tommi oder Nick oder Muri oder was weiß ich wem. Diese Gesellschaft hat mir auch gerade erst, mal wieder, gesagt, dass das alles eh nichts mehr wird, mit uns.

 

‘’Merhaba’’

Die sehr große Frau beugt sich zu mir herüber, fast schon herunter.

‘’Merhaba’’ antworte ich.

‘’Neden burada yalniz oturuyorsun?’’

‘’Uff hm, das tut mir jetzt sehr leid, aber ich spreche leider kein türkisch.’’

Sie sagt noch etwas auf türkisch und beugt sich dann wieder zurück. Das ist mir echt lang nicht passiert. Früher oft. Ich bin in einer Gegend aufgewachsen, in der kaum Deutsche gewohnt haben. Ich habe sehr dunkle Haare, hatte schon früh einen Bart und naja, damals wurde ich oft auf türkisch angequatscht. Damals hab ich aber genauso wenig verstanden wie jetzt.

Dass das die einzige zwischenmenschliche Interaktion des Abends ist, ist eigentlich ein Zeichen die Zelte abzubrechen und weiterzuziehen, aber nein, immer noch keine Lust auf Leere. Ich hole mir ein zweites Bier, bemerke einen sehr großen, sehr starken Typen, Vollbart, der schaut mich an. Ich schaue kurz zu ihm herüber, frag mich was er will. Kurz darauf sehe ich, dass er mit dem Deutschland T-Shirt Typen quatscht und beide kurz zu mir rüber schauen. Ok, Luft hier drin wird etwas brenzlig. Sieht man mir meine politische Einstellung an? Naja ich habe keine offensichtlichen Aufschriften auf meinen Klamotten, aber für den starken Mann da drüben, muss ich schon aussehen, wie ein Freak, mit meinem bunten Hemd, den vielen offenen Knöpfen, den großen Ohrringen, den ungewaschenen Haaren, die er zwar auch hat aber irgendwie anders, so Nazisäufer mäßig ölig, eklig, richtig eklig, so sehen meine schon nicht aus.

Hoffe ich.

Bevor die Dinge außer Kontrolle geraten, entscheide ich mich für den heldenhaften Rückzug. Bier leeren, und raus. 

Es ist mittlerweile kurz nach 12, morgen ist Party bei Max und Pablo, ich bin immer noch allein und mittlerweile auch angetrunken.

Heim jetzt, Leere annehmen.

Elena Debachinsky ©


Der Roman “The Leipzig Years” ist das geistige Eigentum von Nils Kaiser kaiser.nils1@web.de

Der Nächste Teil erscheint am 01 Dezember 2024

Lektorat Yannik Barth

Collage: Für dieses Kapitel hat die Collagenkünstlerin Elena Debachinsky die allgegenwärtige Angst, die den Text durchdringt, eingefangen. Das scheinbar zufällige Durcheinander von Text, Bildern und Skizzen geht ineinander über und bleibt doch getrennt, was den fragmentierten und desorientierten Zustand des Lebens der Figur widerspiegelt. Einige Elemente der Collagen sind jedoch direkte Anspielungen auf das Kapitel - Zitate aus dem Text, aus dem Lied J'attendrai, eine Packung leichter Marlboro Gold, ein verstecktes Porträt von Bob Dylan. Die verstreuten Beobachtungen und flüchtigen Details, die der Figur auffallen, finden sich in diesen skizzenhaften Collagen wieder. Und inmitten all dessen verweilt ein winziger, gehender Mann.