Bohema Magazin Wien

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Wagner auf dem Klavier?

„Wagner ist kein Beispiel für Kinder”: Nikolai Lugansky über die Beziehung zwischen Kunstwerk und Künstler*in, wie ihn Sviatoslav Richter und Marcel Proust zu Wagner gebracht haben und die Rolle der Kunst in der Gesellschaft.

Wer denkt bei Wagner nicht automatisch ans Opernhaus? So manche denken vielleicht auch (mich eingeschlossen) an konzertante Aufführungen der Wagnerschen Musik. Die Klangwogen des Orchesters bleiben in der Regel dieselben, wenn sie nicht sogar unmittelbarer, unverstellter wirken können. Aber was passiert, wenn der Einzug der Götter in Walhall aus dem Rheingold nicht von 17 schmetternden Blechbläsern, sondern bloß von einem einzigen Klavier intoniert wird?

Wagner, Kunst und Politik

Wie und ob das überhaupt funktioniert, zeigt der russische Pianist Nikolai Lugansky in seinem neu erschienenen Album, das (teilweise eigenhändig) transkribierte Ausschnitte aus Wagneropern enthält. Lugansky hat sich scharf konturiert und mit technischer Meisterschaft bereits Chopin, Prokofiev, Beethoven und natürlich in Gänze dem großen Idol Rachmaninow angenommen. Im Interview blickt er in sicherem Deutsch auf seine neueste Einspielung und die Gretchenfrage von der Trennung zwischen Kunstwerk und Künstler bzw. Kunst und Politik.

Bohema: Gab es bestimmte Erfahrungen oder Momente in Ihrem Leben, die Ihre Verbindung zur Musik Wagners geprägt haben?

Nikolai Lugansky: In der Sowjetunion war er vielleicht etwas weniger populär als in Deutschland, Österreich und in Europa. Aber man hat Ausschnitte, Highlights gespielt, und ich erinnere mich, ich bin viel ins Ausland geflogen ab 88/89 und das war die Zeit als die CDs angefangen haben. Ich habe sehr viele CDs gekauft und darunter war das Cleveland Orchestra mit George Szell „Highlights from the Ring“. Seitdem habe ich aber so vieles von ihm gehört und gesehen.

B: Würden Sie sich selbst als Wagnerianer bezeichnen?

NL: Nein (lacht), Chopinianer vielleicht... In den letzten Monaten habe ich sehr, sehr viel über Wagner und von Wagner gelesen. Das ist unglaublich interessant, ich bin sehr neugierig, aber Wagnerianer bin ich nicht. Ich schätze seine Musik ab Tannhäuser – total genial! Aber ich habe ein Gefühl, dass ich in meinem Privatleben besser nicht sein Freund sein würde (lacht).

B: Wie haben Sie Ihr Album zusammengestellt, hier insbesondere der Schwerpunkt auf dem Ring und der Götterdämmerung?

NL: Die eine Seite mit meinem Wagner-Anfang habe ich schon erzählt. Die andere Seite ist: im Jahr 2002 war ich zum ersten Mal eingeladen, am Festival „Soirées de Decembre“ in Moskau im Puschkin-Museum teilzunehmen. Ein sehr nettes Festival, das von Sviatoslav Richter gegründet wurde. Jeden Dezember gibt es ein neues Thema. 2002 war das Thema: Lieblingsschriftsteller von Sviatoslav Richter, wissen Sie wer das war?

B: Ich könnte nur raten…

NL: Das ist ziemlich unerwartet. Es war Marcel Proust. Wenn wir die Persönlichkeiten vergleichen, sind Marcel Proust und Richard Wagner da weit auseinander, aber doch: wenn man Proust liest, trifft man regelmäßig auf Wagnermusik am Flügel. Es ist ganz einfach: Wie viele Opernhäuser konnten Ende des 19. Jahrhunderts seine Opern aufführen? Drei, vier, fünf in Europa? Einige konnten, aber wollten nicht. Hauptmöglichkeit, seine Musik zu spielen, das war das Klavier. Franz Liszt war der erste, er war eine unglaubliche Person – sein Freund zu sein, war eine große Ehre und Chance. Wagner war sein Freund und das war ein großes Glück für Wagner!

B: Die wohl berühmteste Wagner-Liszt-Transkription haben Sie ja auch auf Ihrem Album.

NL: Ja, Isoldes Liebestod! Etwas ganz besonderes, weil es einer der schönsten Momente der Musik überhaupt ist und ich finde auch eine der besten Bearbeitungen von Franz Liszt selbst. Es gibt natürlich sehr viel: Tannhäuser-Ouvertüre, Walhall, und so weiter. Aber das war das einzige von Liszt, was ich unbedingt spielen wollte. Danach gab es natürlich noch viele andere Bearbeiter, ich weiß nicht ob man Wagnerianer sagen kann oder nicht. War Hans von Bülow Wagnerianer?

B: Später nicht mehr (lacht).

NL: (Lacht) ja, er hat viel Tragisches davon gehabt. Aber doch: nachdem ihn Cosima verlassen hat, hat er weitergemacht mit Dirigieren von Wagnermusik und Wagner-Bearbeitungen! Es gibt also eine große, große Auswahl. Ich habe immer etwas Wagner am Flügel gespielt, für Freunde und mich selbst, und dann habe ich das im Puschkin-Museum gespielt.

Jahrzehnte später haben mich die Leute von meinem recording label gefragt, was können wir machen? Vieles ist schon gemacht, und dann bin ich wieder auf Wagner gekommen. Ich habe die Orchesterpartituren studiert, und es ist wunderbar: an den leisesten Stellen schreibt Wagner, hier NUR zwei Harfen benutzen (lacht). Also musste ich einen score schaffen und das war eine ganz neue Sache für mich.

Seit meiner Konservatoriumszeit vor 30 Jahren habe ich kaum mit Bleistift Noten geschrieben.

B: Wie sehen Sie die Verbindung zwischen Ihrer Herangehensweise, Ihrer musikalischen Interpretation und der ursprünglichen Ästhetik Wagners, Stichwort Musikdrama und Gesamtkunstwerk? Anders gefragt: Funktioniert Wagner abseits der Bühne?

NL: Ja absolut, das funktioniert! Es ist für mich natürlich schwer zu sagen, was Wagner davon halten würde. Weil für ihn war natürlich das ideal, was er geschaffen hat, also Bayreuth, seine selbst geschriebenen Texte, Bühnendekorationen, alles war seine Entscheidung und das ist eindrucksvoll. Aber ich finde, dass unabhängig von seinen Ideen und Vorstellungen, Musik überall funktioniert, wenn sie genial ist. Sie beginnt ihr eigenes Leben. Sie klingt in der Luft, in unserem Kopf und in unseren Seelen. Und das ist auch die interessante Aufgabe für einen Pianisten.

B: Wenn man jetzt bedenkt, dass Richard Wagner nicht nur einen Einfluss auf die Musik hatte, sondern ja auch für seine politischen und weltanschaulichen Ansichten bekannt war, glauben Sie, dass es wichtig ist, das persönliche Leben eines Künstlers von seiner Kunst zu trennen?

NL: Ich denke, seine politischen Ideen waren sehr spontan und sehr verschieden. Es ist für mich natürlich sehr traurig, weil ihn die Politiker nachher benutzt haben. Für mich ist aber viel wichtiger, dass seine letzte und vielleicht großartigste Oper Parsifal war, dirigiert von Hermann Levi (jüdischer Dirigent, Anm.), sie waren unglaublich gut befreundet. Wagner hat 17 Bände geschrieben, und wenn man ununterbrochen schreibt, dann schreibt man natürlich nicht nur geniale Sachen, da gibt es auch sehr dumme Sachen.

Für mich sind diese dummen Sachen nicht wichtig, viel wichtiger ist seine Musik.

B: Sie trennen also die Person Wagner von der Musik Wagner?

NL: Ich denke, vollkommen kann man das nicht. Aber wenn ich die Libretti von seinem Ring lese, das ist natürlich viel interessanter, viel bedeutender als ein paar seiner wirklich dummen, rassistischen Sachen. Er war absolut nicht selbstkritisch und das ist schade. Alles wollte er sofort niederschreiben und sofort veröffentlichen (lacht). Ich würde es nicht machen, aber Wagner ist Wagner. Und das persönliche Leben von Wagner ist kein Beispiel für Kinder. Aber ich denke, wenn man die Musik liebt, ist das eigentlich nicht so wichtig.

B: Wenn wir schon dabei sind: Glauben Sie, gibt es Momente, in denen Künstler*innen politisch Verantwortung übernehmen sollten oder sollten das immer zwei getrennte Welten bleiben?

NL: Ich denke, dass diese Welten wirklich getrennt sind. Ich finde, es ist eine dumme Idee, dass diese Welten irgendwie verbunden sind, das ist ganz fehlerhaft. Das ist immer sehr interessant für politisch orientierte Leute, diese Beziehung zu suchen und zu finden. Jeder Politiker, unabhängig welcher Richtung, wird von großen Künstlern unterstützt, jede Politik kann sagen, das hilft mir. Wagner schrieb für jede schlechte Kritik sofort eine zehnmal längere Antwort – wir müssen von heute aus ein bisschen mit einem Lächeln daran zurückdenken. Aber zu denken, das sei ein wichtiger Teil von Wagners Leben, das finde ich absolut nicht.

B: Treten Sie deswegen nach wie vor in Russland auf, weil Sie diese Sphären getrennt sehen, Russland als politische, ihre Kunst als die andere Sphäre?

NL: Absolut. Ich finde, dass meine Konzerte in Russland, in Deutschland, in Frankreich absolut getrennt sind von der politischen Situation.

Ich möchte nichts unterstützen, nicht protestieren, nichts damit zu tun haben, das ist nicht meine Sache und das ist meine Position.

B: Das heißt, Sie wollen die aktuelle politische Lage, was Russland betrifft, nicht kommentieren?

NL: Auch die Lage in Amerika oder Deutschland werde ich nicht kommentieren. Ich meine, es gibt Millionen Leute, die im Internet darüber diskutieren, es ist bestimmt genug. Mein Teilnehmen wird nicht helfen.

B: Noch kurz mit Blick in die Zukunft: Können Sie uns vielleicht Einblicke geben, in zukünftige Projekte? Gibt es weitere Komponist*innen, die Sie gegebenenfalls mittels Transkriptionen erkunden möchten?

NL: Über Transkriptionen: ich mache bestimmt eine Pause. Ich habe nicht erwartet, wie schwierig und kompliziert das ist. Es gibt sofort eine Auswahl, was ist besser, was ist schlechter, man muss Harmonisationen machen, nach 15 oder 30 Minuten hat man einen oder zehn Takte. Dann setzt man sich an den Flügel und es funktioniert nicht. Ich muss sagen, seit August/September 2023 habe ich noch viel größeren Respekt für Genies, die Musik geschrieben haben. Versuch mal, selbst sowas zu machen (lacht). Es gibt natürlich Kollegen, die haben das mehr gemacht, Mikhail Pletnev oder Marc-André Hamelin. Wahrscheinlich wird die nächste CD Robert Schumann-Musik, aber ich denke noch nach.

B: Wann kommen Sie wieder nach Wien?

NL: Ich hoffe, dass ich nächste Saison wieder in Wien spiele. Jetzt ist ein Klavierabend im Konzerthaus geplant, Anfang April 2025. Wien ist natürlich eine unglaubliche Stadt und es ist ein großer Wunsch von allen, hierher zu kommen.

Anmerkung: Die Meinungen von Nikolai Lugansky sind keineswegs mit denen des Autors und der Redaktion gleichzusetzen. Wir verurteilen die gewaltsame Invasion der Ukraine durch Russland auf das Schärfste.