Bohema Magazin Wien

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Are we a joke to you?!

Me-Too-Skandal, Blackfacing, Putinpropaganda, aber volles Haus: Die Besetzung der kurzfristig geänderten Saisoneröffnung der Wiener Staatsoper stellt die bittere Frage, wie viel ein ausverkauftes Haus wert ist.

Eigentlich bin ich Team Roščić. Ich finde sogar, wenn man unter 30 ist, ist man ein undankbares Irgendwas, wenn man den gar nicht mehr so neuen Staatsoperndirektor grundsätzlich hatet. Er hat nämlich wirklich viel getan für uns junge Leute. Die U27-Angebote sind ein Hit, wer schon mal kurzfristig für 20 Euro in der ersten Kategorie saß oder bei einer Generalprobe auf dem gefüllten Rang mit lauten Gleichaltrigen brandneue Opern genoss, weiß, was ich meine. Es gibt mehrere fetzige Jugendprogramme, man kann Podcasts machen, Opern produzieren, alles gratis und dank der neuen Direktion. Ich habe sogar schon mitgemacht und es war mir eine Freude. Auch die allgemeine Erneuerung des Regiestils, die Roščić vorantreibt, finde ich im Großen und Ganzen gelungen. Und trotzdem kann ich mich jetzt nicht zurückhalten, und muss über den Eröffnungsabend am 5. September lästern, und zwar aus vollem Herzen.

Eigentlich wäre es ein spannender (wenn wohl auch kein ausverkaufter) Abend gewesen, Halévys La Juive wurde seit Jahren nicht mehr gespielt. Erst vor kurzem plädierte ich für eine Meyerbeer-Oper in Bayreuth, dessen damals ebenso beliebter jüdischer Kollege gehört definitiv auch mehr gespielt. Als die zwei Stars der Oper (Roberto Alagna und Sonya Yoncheva) angeblich krankheitsbedingt absagten, wurde nun stattdessen die alte Bohème-Inszenierung von Kitschweltmeister Franco Zeffirelli angesetzt. War es denn wirklich so schwer, Ersatz zu finden?

War da was mit Blackfacing? Never mind

Das wäre an sich nur bedauerlich, die Besetzung ist es, die mich so auf die Palme bringt. Die zwei Stars sind nämlich Anna Netrebko und Vittorio Grigolo. Erstere ist auch mit über 50 DIE Primadonna schlechthin, kurz nach der Ankündigung war der Abend ausverkauft. Das hat aber einen Preis: Sie unterstützte 2012 Putin aktiv im Wahlkampf, posierte 2014 lächelnd mit der Flagge der prorussischen Separatisten aus dem Donbas und distanzierte sich erst nach Monaten halbherzig vom Ukrainekrieg. Immerhin tat sie es (wurde dafür angeblich von russischen Theatern gecancelt), um dann im Sommer für einen Blackfacing-Skandal zu sorgen: Sie trat trotz internationalen Protests in Verona mit schwarzer Schminke in der Aida auf. Es sei nicht einfach, eine alte Inszenierung zu ändern, war die lahme Ausrede. Angel Blue, ihr afroamerikanischer Costar reiste empört ab, davon profitierte die Nina Minasyan, die einsprang und jetzt in der Bohème die Musetta singt.

Denn Fall von Vittorio Grigolo finde ich noch unangenehmer, er singt den Protagonisten Rodolfo. Seit 2019 darf er nach Me-Too-Vorwürfen und einer belastenden internen Untersuchung weder an der Met in New York, noch beim Covent Garden in London auftreten. Das sind zwei der wichtigsten Häuser der Welt, zu denen auch die Staatsoper gezählt wird (auch wenn man sich bei so einem Abend eher an irgendein Haus der östlichen Provinz erinnert fühlt). Hier darf er aber fröhlich weiterträllern. Zu allem Überfluss trat er Ende Mai, also mitten im Ukrainekrieg, als Stargast auf einer Gala in St. Petersburg auf. Musste das wirklich sein?

Erinnert an die üble Geschichte mit Plácido Domingo. Der 81-jährige Startenor sang letzte Saison auch in der Staatsoper (auch wenn er seinen Auftritt unterbrechen musste, weil er keine Stimme mehr hatte, Surprise Surprise), obwohl er wegen zahlreicher Belästigungsvorwürfe in den USA längst nicht mehr auftreten durfte. Neuerdings kam sogar ein Tape zum Vorschein, der ihn mit einem illegalen argentinischen Prostitutionsring in Verbindung bringen soll. Trotzdem stehen seine Termine im Festspielhaus Baden-Baden und in der Elbphilharmonie im Herbst noch. In Wien steht er nicht auf dem Spielplan. Trotzdem zeigt das, wie die ganze Branche an ihren Stars hängt, unabhängig davon, ob sie noch singen können oder ob ihre Skandale sie eigentlich zur Persona non grata machen sollten.

Die Bohème-Besetzung vervollständigt übrigens Günther Groissböck, der mit dubiosen Kritiker*innen der Coronamaßnahmen auf die Straße ging und noch kurz vor dem Krieg aus Moskau auf Twitter gegen die Regierung und die Polizei Stimmung machte.

Was ist das bitte für eine dubios-kontroverse Besetzung?  

Es ist ohnehin nicht einfach, junge Menschen für die vermeintlich verstaubte, konservative Hochkultur zu begeistern, ich versuche mich dran seit Jahren und weiß, wovon ich rede. Aber bei so einer Sauerei fange ich an zu zweifeln: In diese verkehrte Welt soll ich meine Generation hereinlocken? Hinter den Kulissen kursieren auch über weitere Starsänger Belästigungsvorwürfe, die ihre Me-Too-Geschichten nur scheinbar erfolgreicher vertuschen konnten. Was dagegen tun? Darüber schreiben? Verklagt und vernichtet werden? Selbst wenn nicht, in Wien wurden die Domingos und Grigolos dieser Welt bis jetzt trotz allem bejubelt.

Einzeln würden all diese Fälle vielleicht nur für Kopfschütteln sorgen. Direktor Roščić machte schon im April klar, dass Netrebko zurückkehren würde, und das tat sie auch schon an anderen Häusern, wenn auch begleitet mit Protesten. Ich sage auch nicht, dass sie gar nicht mehr in Europa singen sollte, mich nervt der Fall Grigolo mehr. Der trat auch schon in der letzten Saison auf, und der Groissböck wird für seine Ansichten höchstens belächelt. Aber wie das alles zusammenkommt, gerade bei der pompösen Saisoneröffnung, das ist schon schmerzhaft. Und dann haben wir noch gar nicht davon gesprochen, dass die Netrebko in wenigen Tagen 51 wird. Ob ihre einst tatsächlich besondere Stimme noch für die Rolle der Mimì reicht? Zweifelhaft. Aber große Namen zählen offensichtlich mehr als Skandale oder musikalischen Fähigkeiten.

Die Jugendprojekte der Staatsoper sind notwendig, gelungen und erfolgreich. Wenn Direktor Bogdan Roščić seine Bemühungen um ein junges Publikum ernst meint, muss er aber auch dafür sorgen, dass auf der Bühne Künstler*innen stehen, denen man mit gutem Gewissen applaudieren kann.